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DILJA/1341: Venezuela meldet Widerspruch gegen die Dämonisierung Libyens an (SB)


Linksstaaten Lateinamerikas stellen sich der Dämonisierung Ghaddafis entgegen

Die Gefahr eines Krieges der westlichen Staatengemeinschaft gegen Libyen wächst


Am 27. und 28. Februar rebellierte die Bevölkerung gegen eine ihr verhaßte Regierung und die von dieser auf Diktat internationaler Agenturen wie des IWF entgegen vorheriger Wahlversprechen durchgesetzten Sozialkürzungen. Es war eine spontane und weitestgehend unorganisierte Erhebung, ein Aufbegehren armer und buchstäblich hungriger Menschen. Doch die Regierung ließ die Waffen sprechen und setzte das Militär zur Niederschlagung des Aufstandes ein. Das Resultat waren, nach Schätzungen von Historikern, bis zu fünftausend Tote innerhalb von nur zwei Tagen [1]. Internationale Proteste gegen dieses Vorgehen gab es nicht, jedenfalls nicht von den führenden Staaten der sogenannten internationalen Gemeinschaft, die dem Verantwortlichen für diesen vielfachen Mord, dem damaligen sozialdemokratischen Präsidenten Venezuelas, Carlos Andrés Pérez, durch ihr beredtes Schweigen und ihre konsequente Nichteinmischung faktisch den Rücken stärkte. In die Geschichte Venezuelas sollten diese beiden Tage - es waren der 27. und 28. Februar des Jahres 1989 - als "Caracazo" eingehen.

Pérez hat nichts anderes getan, als die ihm und seinem Land vom Westen auferlegte Strukturanpassungspolitik in die Tat umzusetzen, folglich galten die in die Geschäfte der reicheren Stadtteile stürmenden hungrigen und ob des Wahlbetrugs wütenden Menschen in der internationalen Mediendarstellung als "Plünderer" ganz so, als hätte diese Bezeichnung eine nachträgliche Rechtfertigung für das mörderische Vorgehen des Militärs schaffen können. Ohne diesen Aufstand bzw. dessen blutige Niederschlagung wäre, so darf vermutet werden, die weitere Entwicklung Venezuelas wohl gänzlich anders verlaufen, hat doch die spätere Bolivarische Bewegung, die mit dem heutigen Präsidenten Hugo Chávez durch dessen Wahlsieg Ende 1998 das vorherige System ablösen konnte, in diesen bedrückenden und einschneidenden Erfahrungen der armen Bevölkerung Venezuelas ihre Wurzeln.

An diese für Venezuela richtungsweisenden Ereignisse soll an dieser Stelle 22 Jahre später erinnert werden, um die Haltung der westlichen Frontstaaten in den aktuellen Konflikten nordafrikanischer Staaten zu kontrastieren und in ihrer Doppelbödigkeit offenzulegen. 1989 wäre niemand, weder die USA, noch die EU oder die Vereinten Nationen, auch nur auf die Idee gekommen, die Regierung Pérez zu verurteilen oder gegen sie Sanktionen zu verhängen wegen der massiven Gewaltausübung gegen das eigene Volk ungeachtet der vielen Toten, die in diesem Krieg im Innern einer parlamentarischen Demokratie nach westlichem Zuschnitt zu verzeichnen waren. Im Jahre 2002 wurde bekanntlich der wenn auch gescheiterte Versuch gemacht, den demokratisch gewählten Präsidenten Venezuelas, Hugo Chávez, und mit ihm den erklärten Gegner des Präsidenten von 1989, Carlos Andrés Pérez, mit tatkräftiger Unterstützung der USA zu stürzen.

Mit "Moral" hat dies alles herzlich wenig zu tun, mit politischen Interessen und Absichten, die leicht auszumachen sind in dem Anspruch der USA, aber auch ihres Freund-Konkurrenten Europäische Union, auf eine alleinige Weltführerschaft, hingegen sehr viel. Die Erhebungen der Bevölkerungen nordafrikanischer Staaten, die in den zurückliegenden Wochen bereits in Tunesien und Ägypten zu Personalwechseln an der Spitze der jeweiligen Herrschaftssysteme geführt haben, stehen bei aller zu Gebote stehenden Vorsicht vor analytischen Fehlschlüssen nicht oder zumindest nicht vollständig unter der Kontrolle westlicher Staaten. In Libyen hingegen ziehen die westlichen Staaten alle Register, um nach den von ihnen bereits mehrfach angewandten zivilgesellschaftlichen und militärischen Strategien einen "Regime change" herbeizuführen unter Nutzanwendung der Proteste der libyschen Bevölkerung, mögen diese nun durch entsprechende Maßnahmen zuvor angeheizt worden sein oder nicht.

Am gestrigen Dienstag warnte Venezuelas Staatspräsident Chávez die USA davor, eine Invasion gegen Libyen vorzubereiten zu dem Zweck, die Kontrolle über die dortigen Ölvorkommen an sich zu reißen. Bekanntlich soll Libyen, einer der größten Ölexporteure der Welt, über die größten nachgewiesenen Ölreserven Afrikas verfügen, woraus sich ein unmittelbares Raubinteresse ebenso ableiten läßt wie die Vermutung, die Regierung Ghaddafi solle gestürzt werden, weil sie sich mittels ihrer Ölreserven eine eigenständige Politik erlauben kann, die aus Sicht Washingtons und EUropas allerdings inakzeptabel ist. Bekanntlich hat Oberst Ghaddafi bei seiner Antrittsrede vor den Vereinten Nationen 2009 aus westlicher Sicht für einen Eklat gesorgt, prangerte er doch den Weltsicherheitsrat als "Terrorrat" an. Ghaddafi erklärte, diese aus nur 15 Mitgliedern, unter denen die fünf Vetomächte auch noch das alleinige Sagen hätten, gebildete Institution stünde im Widerspruch zu den in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Grundsätzen, denen zufolge alle 192 Mitgliedstaaten unabhängig von ihrer Größe und ihrem politischen Einfluß gleichberechtigt seien.

Allein diese Äußerungen machen plausibel, warum Ghaddafi aus Sicht der von ihm plausibel kritisierten Vetomächte besser gestern als heute aus seinem Amt hätte entfernt werden sollen, und so nimmt es nicht wunder, daß die westliche Kamarilla die aktuelle Entwicklung zum willkommenen Anlaß nimmt, sich dieses Ärgernisses zu entledigen. Die Warnungen des venezolanischen Staatschefs sind keineswegs aus der Luft gegriffen, hat doch das US-Militär am Dienstagabend damit begonnen, Kriegsschiffe und -flugzeuge in die Nähe Libyens zu verlegen. Südöstlich von Libyen in der Golfregion und im Arabischen Meer soll die Fünfte Flotte der US-Navy zwei Flugzeugträger im Einsatz haben. Laut AFP werde das Kampfschiff "USS Kearsarge" mit rund 800 Soldaten und einer Helikopterstaffel an Bord, begleitet von zwei weiteren Kriegsschiffen, in Kürze vom Roten Meer in den Suezkanal einfahren.

US-Außenministerin Hillary Clinton hatte ebenfalls am Dienstag erklärt, daß Libyen in den kommenden Jahren entweder zu einer friedlichen Demokratie werden oder in einen langwierigen Bürgerkrieg stürzen werde und daß angesichts des Umbruchs der gesamten Region eine "starke und strategische Antwort der Vereinigten Staaten" entscheidend sein werde. Die US-Repräsentantin ließ es an offenen Kriegsdrohungen gegen die libysche Führung nicht mangeln, erklärte sie doch, daß die USA keine Option vom Tisch nehmen würden, solange die libysche Regierung weiter ihre Waffen gegen das eigene Volk richte.

Die aus naheliegenden Gründen keineswegs als zuverlässig zu bewertende Nachrichtenlage sieht unterdessen so aus, daß es nach wie vor Gefechte zwischen loyalen Truppenteilen und den Aufständischen gibt, möge es sich bei diesen nun um Zivilisten, die sich bewaffnet haben, oder um Truppenteile, die desertiert bzw. zu den sogenannten Oppositionellen übergelaufen sind, handeln. Dieser Nachrichtenlage zufolge ist weitaus plausibler von einem Bürgerkrieg in Libyen auszugehen und nicht von einem militärischen Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen friedliche und unbewaffnete Demonstranten, wie vielfach berichtet wurde. Die libysche Führung bekundete unterdessen ihre Bereitschaft, ein Untersuchungsteam ins Land herein und im Land arbeiten zu lassen, um diese und alle weiteren gegen die Regierung erhobenen Vorwürfe einer Prüfung zu unterwerfen. An die Zusammensetzung einer solchen internationalen Kommission stellte die libysche Führung keinerlei Vorbedingungen.

Aufgegriffen wurde dieser Vorschlag von den westlichen Akteuren, die sich mehr und mehr als ungenannter Dritter in diesem Bürgerkrieg zu etablieren beginnen, jedoch nicht. Nicht anders wurde in der EU und den USA, aber auch bei den Vereinten Nationen, mit dem Vorschlag des venezolanischen Präsidenten Chávez umgegangen. Dieser hatte nicht nur in der UN-Vollversammlung, die, was zum ersten Mal in der UN-Geschichte vorgekommen ist, Libyen als aktives Mitglied aus dem Menschenrechtsrat ausgeschlossen hat, als einziger warnend die Stimme erhoben und eine internationale Vermittlung vorgeschlagen. In der UN-Vollversammlung hatte der venezolanische Botschafter Jorge Valero die Staatengemeinschaft aufgefordert, den Invasionsplänen gegen Libyen Einhalt zu gebieten. Von seiten Washingtons erfolgte daraufhin eine heftige Reaktion, so erklärte die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Susan Rice, die von Venezuela vorgebrachte Kritik sei eine "bewußte und häßliche Verzerrung" der Tatsachen.

Tatsache ist, daß die Ratingagentur Fitsch die Kreditwürdigkeit Libyens abermals herabgestuft hat um drei weitere Stufen von BBB auf BB und damit Ramschniveau. Mit anderen Worten: Auf allen Ebenen - politisch, militärisch und auch wirtschaftlich - soll Libyen bzw. die libysche Führung in die Knie gezwungen werden. Die Kreditwürdigkeit des Landes herabzusenken, hat nichts mit der Bonität des Landes zu tun und offenbart die ausschließlich politisch begründbare Absicht, Libyen zu schwächen, wo und so sehr es nur geht. Tatsächlich hat Libyen als einer der größten Ölexporteure der Welt überhaupt keine Staatsschulden und wäre wegen seiner großen Ölvorkommen auch stets kreditwürdig, würde nicht auch hier "mit anderen Bandagen" gekämpft werden. Ginge es den Akteuren und Drahtziehern dieses Komplotts um die Menschenrechtslage der libyischen Bevölkerung, hätten sie den Vermittlungsvorschlag des venezolanischen Präsidenten längst aufgegriffen, um jedes weitere Blutvergießen zu vermeiden und die gewaltsamen Auseinandersetzungen schnellstmöglich zu beenden. Daß sie eben dies nicht getan haben, spricht Bände, und so nimmt es nicht wunder, daß stattdessen Hugo Chávez von Susan Rice aufs heftigste attackiert wurde.


Anmerkungen

[1] Venezuela gedenkt Caracazo. Demonstration zum Jahrestag des Volksaufstands im Februar 1989. Interpretation als "erste Schlacht gegen den Neoliberalismus". Von Eva Haule, Caracas. Amerika21.de, 28. Februar 2011,
http://amerika21.de/nachrichten/2011/02/24987/demo-caracazo

2. März 2011