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DILJA/1351: Wehrpflicht ausgesetzt - Kriegführung der Zukunft mit handverlesenen Soldaten (SB)


Aussetzung der Wehrpflicht kein später Erfolg der Friedensbewegung

Bundeswehr entledigt sich möglicher unliebsamer Zeugen


Seit dem 1. Juli 2011 ist die Wehrpflicht wie auch der bisherige Zivildienst in der Bundesrepublik Deutschland ausgesetzt. Punkt. Am 4. Juli 2011 begrüßte Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière in der Berliner Julius-Leber-Kaserne die ersten 158 Rekruten der "neuen Bundeswehr" per Handschlag. Punkt. Insgesamt gehören der Bundeswehr nun 14.000 Bürger und Bürgerinnen an, die einen bis zu 23monatigen Wehrdienst leisten. Punkt. Freiwillig, wie es nun heißt. Punkt. Bis zu 3.400 dieser Freiwilligen traten ihren Dienst am 1. Juli 2011 an. Punkt. 4.800 von ihnen hatten dies bereits im ersten Halbjahr dieses Jahres getan. Punkt. Den Beschluß, die Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 auszusetzen, hatte die Regierungskoalition bei ihrem letzten Spitzentreffen Ende des vergangenen Jahres getroffen. Punkt. Dabei war auch beschlossen worden, die Bundeswehr von seinerzeit 250.000 Soldaten und SoldatInnen auf 180.000 bis 185.000 zu reduzieren. Punkt. Zur Begründung für die Aussetzung der Wehrpflicht hatte der damalige Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg angeführt, daß die Einberufung zum Grundwehrdienst heutzutage "sicherheitspolitisch nicht mehr begründbar" sei. Punkt.

So oder ähnlich lauten die Nachrichten und Agenturmeldungen, die sich gegenwärtig auf die faktische Abschaffung des Wehr- und Zivildienstes beziehen. Für all diejenigen jungen Deutschen im entsprechenden Alter, denen dieser Zwangsdienst ohne diese Gesetzesänderung bevorgestanden oder gedroht hätte, ist dies eine freudige Botschaft. Kein junger Mensch kann - derzeit - in Deutschland gegen seinen Willen zur Bundeswehr einberufen werden. Ob die Freiwilligkeit, die den Wehrpflichtleistenden nun vorangestellt wird, tatsächlich hält, was sie verspricht, ist eine noch unbeantwortete Frage. In Zeiten einer dauerhaft extrem zu nennenden Arbeitslosigkeit gerade auch unter jungen Menschen sowie einer Ausbildungsmarktsituation, die viele Jugendliche in die faktische Zwangslage versetzt, jeden noch so unliebsamen Strohhalm zu ergreifen, werden die aggressiven Werbemethoden der Bundeswehr ihre Erfolge nicht verfehlen.

Da bereits in den zurückliegenden Jahren nur noch ein recht geringer Prozentsatz der Wehrpflichtigen eines Jahrgangs auch einberufen wurde, schien die nun vollzogene Aussetzung der Wehrpflicht ein Schritt zu sein, der allein aus Gründen der Wehrgerechtigkeit bereits überfällig war. Denkbar ist allerdings auch, daß die tatsächlichen Beweggründe für eine fundamentale Umstrukturierung der Bundeswehr, die mit diesem Schritt weder ihren Anfang noch ihr voraussichtliches Ende genommen hat, noch gänzlich andere sind. In der öffentlichen Darstellung und Debatte wurde bislang wenig darauf Bezug genommen, daß sich die Bundeswehr bzw. die Bundeswehrführung mit der Aussetzung der Wehrpflicht Bedingungen geschaffen haben könnte, die für die "neue Bundeswehr" (Thomas de Maizière) unabdingbar sind.

Erinnert sei zunächst einmal daran, daß der Einführung der Bundeswehr und mit ihr auch der Wehrpflicht im Nachkriegsdeutschland zum Teil heftige innenpolitische Kontroversen vorausgegangen waren. In der unmittelbaren Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs herrschte auch in der bundesdeutschen Bevölkerung eine starke Ablehnung gegenüber einer möglichen Wiederbewaffnung (West-) Deutschlands vor. Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus lautete, auf eine griffige Formel gebracht, das damalige Empfinden und die damalige Überzeugung vieler Bundesbürger und BundesbürgerInnen. Im parlamentarischen Rahmen wurde dieser nicht anders als konsequent zu nennende Antikriegsstandpunkt von der damals noch nicht verbotenen KPD vertreten, die sich in den Folgejahren vehement den vom damaligen Bundeskanzler Adenauer forcierten Wiederbewaffnungsplänen widersetzen sollte. Diese Frage konnte in der Bundesrepublik keineswegs autonom entschieden werden, hatten doch die NATO-Staaten bzw. die dieses Militärbündnis dominierenden Staaten sehr konkrete Vorstellungen zu der Rolle, die der westliche deutsche Teilstaat auch in militärischer Hinsicht zu spielen hatte.

Kurzum: Die Bundeswehr wurde 1955 aus der Taufe gehoben, ein Jahr später erfolgte, nach heftiger Debatte und gegen die Stimmen der damaligen SPD- und FDP-Bundestagsabgeordneten, die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht mit einem 12monatigen Wehrdienst. Das Verbot der KPD fiel nicht zufällig in dieselbe Zeit. Um die Akzeptanz der Bundeswehr zu erhöhen, wurden in den folgenden Jahren und Jahrzehnten demokratische Leitsätze geprägt, denen zufolge die innere Führung der Bundeswehr absolut demokratisch und dem Primat der Politik verpflichtet sei. Ein weiteres Leitbild betraf die Soldaten, die als "Bürger in Uniform" gedacht wurden verbunden mit der Idee, daß die Bundeswehr infolge der Wehrpflicht ein Spiegelbild der Gesellschaft sei, weil sich alle ihre sozialen Schichten - von Klassen wurde wohlweislich nicht gesprochen - wiederfinden würden. Etwaigen Kritikern, die damit argumentierten, daß die Bundeswehr und sogar auch der in die entsprechenden Gesamtstrukturen eingebundene Zivildienst eines Tages (wieder) dazu führen könnten bzw. würden, daß "von deutschem Boden Krieg ausgehe", wurde argumentativ entgegengehalten, daß gerade die Wehrpflicht sozusagen eine Kontrolle der Bundeswehr von unten, nämlich durch die in ihr tätigen Soldaten, gewährleisten würde.

Noch in den 1970er und 1980er Jahren hätte sich kaum jemand vorstellen können, was heute längst (wieder) Realität ist - deutsche Soldatenstiefel stehen in etlichen Ländern, zum Teil weit entfernt, um keineswegs zivile oder humanitäre Aufgaben zu erfüllen. Nein, das deutsche Militär ist spätestens seit 1999, als die Bundeswehr im Rahmen der NATO die Bundesrepublik Jugoslawien überfiel und mit einem Bombenkrieg überzog, der Nachkriegsmaxime, daß von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen solle, untreu geworden. Die Umgestaltung der Bundeswehr von einer Verteidigungs- zu einer Interventionsarmee ist keineswegs lautlos oder im stillen Kämmerlein vollzogen worden. Bereits in den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 (!) war ungeschminkt zum Ausdruck gebracht worden, daß die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" Aufgabe der Bundeswehr sei.

Mit einer derartigen Offensivstrategie wurde es zunehmend schwieriger, die Behauptung, die Bundeswehr sei eine reine Verteidigungsarmee, aufrechtzuerhalten. Sattsam bekannt ist die propagandistische Meisterleistung, aus dem Verteidigungsauftrag, den das Grundgesetz der Bundeswehr mit der Maßgabe, sie habe allein Zwecken der Verteidigung zu dienen, auferlegt hat, eine indirekte Rechtfertigung für Interventionen und Angriffskriege abzuleiten. Nicht das Territorium der Bundesrepublik Deutschland, sondern "die Interessen" Deutschlands sollen - am Hindukusch und anderswo - "verteidigt" werden. Wenn nun der Schritt vollzogen wird, der Bundeswehr die Möglichkeit zu geben, ihr unliebsame Soldaten von ihr fernzuhalten, ist dies kein freudiges Ergebnis, das sich die Friedensbewegung ans Revers heften könnte. Es ist ein Schritt hin zu einer Angriffsarmee, die keine Wehrpflichtigen, Rekruten, Berufssoldaten oder gegebenenfalls Rekruten in ihren Reihen wissen möchte, die ihr als unliebsame Zeugen bei den Kriegen, Interventionen oder sogar Inlandseinsätzen der Zukunft lästig fallen könnten.


6. Juli 2011