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DILJA/1357: US-Gefängnisbehörden verweigern Verhandlungen - Hungerstreikgefangene in Lebensgefahr (SB)


Dramatische Zuspitzung nach bisher dreiwöchigem Hungerstreik

Tausende US-Gefangene setzen im Kampf gegen Isolationsfolter ihr Leben ein


"Weiße Folter" - unter diesem Begriff können sich die wenigsten Menschen etwas vorstellen. Während der bloße Anblick mittelalterlicher und damit sozusagen klassischer Folterwerkzeuge jegliche Frage nach ihrer Zweckbestimmung von vornherein erübrigt und jeder Mensch sofort versteht, welche Qualen Menschen einander damit zufügen können, ist die Isolationsfolter so gut wie nicht vermittelbar. Selbst Gefangene, die Formen extremer Isolation selbst durchlebt und durchlitten haben und deshalb sehr genau wissen, was dies mit einem Menschen anrichtet, haben untereinander Probleme, sich darüber zu verständigen, weil für diese Dinge die Sprache zu fehlen scheint. Außenstehenden vermitteln zu wollen, worin denn das Problem bzw. die Folterqualität liegen soll, wenn Menschen fast den ganzen Tag in kleinen, kahlen und fensterlosen Betonzellen zubringen müssen und, von demütigenden "Kontakten" mit Gefängnisbediensteten einmal abgesehen, keinerlei soziale Kontakte pflegen können, stellt nachgerade ein Ding der Unmöglichkeit dar.

Die "rote Folter" spielt in diesem Zusammenhang gleichwohl eine Rolle, denn keineswegs gehört die unmittelbare, physische Repression der Vergangenheit an. Das kritische Potential, sprich international wie national operierende Gefangenenhilfsorganisationen sowie die zahllosen Menschenrechtsorganisationen, die sich in ihren Aktivitäten dem Anliegen verschrieben haben, den ihrer Freiheit beraubten Menschen zu einem Mindestmaß an Menschenwürde zu verhelfen und ihren Demütigungen und Mißhandlungen entgegenzutreten, gehen in ihrem Verständnis zumeist von Vorstellungen "klassischer" Folter aus. Das Unvermögen bzw. die mangelnde Bereitschaft, die verzweifelten Schilderungen der unter Isolationsbedingungen inhaftierten Menschen soweit ernstzunehmen, daß der Kampf gegen diese Formen der Folter mit derselben Intensität geführt werden würde, kommt den Interessen der Gefängnisverwaltungen und Justizbehörden entgegen. Sie haben vergleichsweise "leichtes Spiel", wenn sie Häftlinge zu deren fortgesetzter Disziplinierung oder gefängnisinterner Zusatzbestrafung in Isolationstrakten halten.

Es fließt kein Blut, es entstehen keine sichtbaren Wunden oder Verletzungen. Den Isolationsgefangenen werden die elementarsten Lebensvoraussetzungen, sprich Essen und Trinken, ebensowenig vorenthalten. Sie werden "nur" einem systematisch organisierten Reizentzug ausgesetzt, der in seiner extremsten Form tödlich sein würde. In der experimentalpsychologischen Forschung wurden entsprechende Versuche - erinnert sei hier an die Camera-silens-Projekte, bei denen damit experimentiert wurde, Menschen jegliche Sinneswahrnehmung zu entziehen - schon in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts durchgeführt und in den Isolationstrakten zur Anwendung gebracht. Tatsächlich neu ist die Idee bzw. das Wissen um diese sehr wohl auch körperlichen Zusammenhänge nicht.

Schon im Mittelalter wurden Menschen zu Folterzwecken in dunklen und schallisolierten Räumen eingesperrt; nach heutigem wissenschaftlichen Kenntnisstand steht außer Frage, daß der Reizentzug, im Fachjargon sensorische bzw. soziale Deprivation genannt, zu einer Zerstörung vegetativer Funktionen führt. Je nachdem, wie extrem und damit zerstörerisch die jeweiligen Deprivationsbedingungen ausgestaltet worden sind - und auch dies war schon vor Jahrzehnten Gegenstand der daran beteiligten Forschungsdisziplinen - kann diese Form der so gut wie nicht nachweisbaren Folter über längere, aber auch kürzere Zeit zu psychischen wie physischen Schäden führen. Wäre das Wissen um diese wissenschaftlich eigens zu diesen Zwecken dezidiert - und zwar experimentell - untersuchten Zusammenhänge weit verbreitet und gesellschaftliches Allgemeingut, wären die Zeiten, in denen in den Gefängnissen führender westlicher Staaten die Isolationsfolter an tausenden, wenn nicht zigtausenden Gefangenen durchgeführt werden kann, ohne daß es dagegen nennenswerte Proteste gäbe, ein für allemal vorbei.

Der Hungerstreik tausender Gefangener in den USA ist ein aktuelles Beispiel dieser Auseinandersetzung. Wie bereits im Schattenblick berichtet [1], beteiligen sich in 11 der 33 kalifornischen Haftanstalten insgesamt 6600 Gefangene an diesem Protest, der weitaus mehr ist als ein bloßer Protest oder ein an die zuständigen Behörden gerichteter Appell, die Haftbedingungen zu verbessern. Dieser unbefristete Hungerstreik bedeutet, daß die zumeist in Isolationstrakten lebenden Gefangenen, die ihn aufgenommen bzw. sich ihm angeschlossen haben, das eigene Leben im Kampf gegen diese Form der Folter einsetzen. Informationen über ihren Gesundheitszustand sind schwer zu erhalten, weil die Gefängnisbehörden aus aus ihrer Sicht nachvollziehbaren Gründen kein Interesse daran haben, die womöglich bereits kritische Situation der Betroffenen öffentlich zu machen. So wurden nach Angaben eines Solidaritätsbündnisses für die Hungerstreikenden in Oakland bereits Dutzende der Hungerstreikgefangenen wegen Bewußtlosigkeit oder Herzrhythmusstörungen auf die Krankenstation verlegt [1]. Viele der seit dem 1. Juli Streikenden sollen bereits bis zu 15 Kilo Körpergewicht verloren haben. Die bedrohliche Situation wird durch die klimatischen Bedingungen Kaliforniens, wo derzeit eine extreme Dürre herrscht, noch verstärkt. Wie Carol Strickman, eine Anwältin des Rechtshilfevereins "Gefangene mit Kindern" und Mitglied eines Mediatorenteams, das die Gefangenen des Pelican Bay Staatsgefängnisses gegenüber den Behörden vertritt, erklärte, sei es "äußerst beunruhigend" [1], daß die Gefängnisbehörde noch immer kein substantielles Angebot gemacht habe.

Die bisherigen Reaktionen der Behörden lassen sich in dem Satz, sie versuchen, die Streikenden zum Abbruch zu bewegen (ohne auf ihre Forderungen tatsächlich einzugehen oder mit ihnen oder ihren Vertretern in Verhandlungen zu treten), zusammenfassen. Nach Angaben Carol Strickmans werden die Gefangenen stündlich kontrolliert und aus ihren Zellen geholt, sobald sie zusammenbrechen oder ohnmächtig werden. An der Weigerung, mit ihnen zu verhandeln, soll sich ihren Angaben nach bislang nichts geändert haben, auch besteht ihrem Kenntnisstand zufolge kein Kontakt zwischen den Hungerstreikenden und externen Medizinern. Die besondere Brisanz dieses Hungerstreiks, bei dem die Behörden bereit zu sein scheinen, Todesopfer unter den Streikenden in Kauf zu nehmen, erkannte die Anwältin in der Solidarität unter den Gefangenen, die, ansonsten gruppenweise miteinander verfeindet, in diesem Hungerstreik an einem Strang ziehen [3]:

Jetzt aber haben sich alle zusammengeschlossen. Ich hörte, wie Gefangene den Begriff "Kollektiv" benutzten. Gruppen, die vorher Todfeinde waren, haben sich in diesem Streik vereinigt. Das ist sehr unangenehm für die Gefängnisbehörde, und deshalb versucht sie, diese Einheit zu zerschlagen.

Ein solcher Zusammenschluß ist - wie schon der Hungerstreik selbst - ein weiteres Fanal gegen die Isolationsfolter. Es muß doch Gründe geben, warum Menschen, noch dazu zu Tausenden, einen Kampf gegen ihre Haftbedingungen führen, bei dem sie Gefahr laufen, ihr Leben zu verlieren. Wären die Isolationstrakte so harmlos, wie Außenstehende oder Desinteressierte annehmen könnten, wäre ein solcher Massenprotest inhaftierter Menschen nicht zu erklären.

[1] Siehe zum aktuellen Hungerstreik in kalifornischen Gefängnissen im Schattenblick:
POLITIK\MEINUNGEN: DILJA/1353: Kampfmittel Solidarität - Kalifornische Häftlinge zu Tausenden im Hungerstreik (SB) (11.07.2011)
POLITIK\KOMMENTAR: REPRESSION/1430: Pelican Bay State Prison - Tausende im Hungerstreik gegen Isolationsfolter (SB) (17.07.2011)

[2] Knastfabriken. US-Gefangenenproteste richten sich gegen Haftbedingungen. Von Jürgen Heiser, junge Welt, 20.07.2011, S. 3

[3] "Sie haben sich zusammengeschlossen". Ein Gespräch mit Carol Strickman, junge Welt, 20.07.2011, S. 3


20. Juli 2011