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DILJA/1367: NATO-getreue Aufständische feiern ihren Sieg mit der Todesmeldung Ghaddafis (SB)


Triumph über Muammar al Ghaddafi offenbart die Angst der "Sieger"


Der sogenannte Übergangsrat Libyens, wie das aus Aufständischen, die mit militärischer Unterstützung der NATO bzw. als deren inoffizielle Bodentruppen die faktische Regierungsgewalt des Landes an sich gebracht haben, gebildete Gremium genannt wird, um durch die Verwendung des Begriffs "Übergang" zu kaschieren, daß es sich bei ihnen um Usurpatoren handelt, die über kein politisches Mandat des Volkes, dafür aber über umso mehr Waffen verfügen, verkündete der Welt am heutigen Donnerstag den Tod Muammar al Ghaddafis. Mahmud Schamman, der als "Informationsminister" des Übergangsrats fungiert, erklärte gegenüber dem US-amerikanischen Fernsehsender CNN: "Alle Hinweise, die wir haben, besagen, dass Oberst Gaddafi Geschichte ist." [1] Dem Vernehmen nach soll der libysche Revolutionsführer während der Gefechte zwischen loyalen Regierungstruppen und Aufständischen in seiner Geburtsstadt Sirte getötet worden sein.

Abdelhakim Belhadsch, seines Zeichens "Militärkommandeur" des Übergangsrates in Tripolis, bestätigte ebenfalls den Tod Muammar al Ghadaffis gegenüber dem arabischen Fernsehsender Al-Dschasira. Laut BBC habe einer der an den Gefechten in Sirte beteiligten Kämpfer des Übergangsrates ihr gegenüber erklärt, er sei dabeigewesen, als sein Trupp auf Ghaddafi gestoßen und auf ihn geschossen habe [1]. Ein Sprecher des Übergangsrates wiederum erklärte gegenüber dem Nachrichtensender Al-Arabija: "Hier in Tripolis feiern die Menschen schon auf den Straßen." [1] Obwohl die Meldung vom angeblichen oder auch tatsächlichen Tod des im ganzen Land angeblich so verhaßten "Diktators" von unabhängiger Seite zunächst nicht bestätigt wurde, wurde dessen Gefangennahme und weiteres Schicksal bereits in allen Einzelheiten medial aufbereitet.

Die Deutsche Welle [2] wußte zu berichten, daß Ghaddafi an den Beinen sowie am Kopf getroffen und schwer verletzt worden sein soll. Nach Angaben der Übergangsregierung sei er auf der Flucht angeschossen worden und anschließend seinen Verletzungen erlegen. Seine Gruppe sei unter heftigen Beschuß geraten, als er getroffen wurde. In einem Konvoi habe er versucht zu fliehen, doch der sei von der NATO angegriffen worden. Die US-Regierung hielt sich zunächst bedeckt. Wie ein ranghoher Regierungsvertreter in Washington erklärt haben soll, wolle man zunächst die Informationen verifizieren [2]. Der Übergangsrat ließ desweiteren verlautbaren, daß mit dem Tod Ghaddafis die Herrschaft des Diktators endgültig vorbei sei - die Menschen in Tripolis würden ihren Sieg auf den Straßen feiern.

Und tatsächlich hält das blitzschnelle Internet dementsprechende Fotos und Videoaufnahmen bereit. Wer gewillt ist, darüber hinwegzusehen, daß es sich bei den feiernden Libyern augenscheinlich um Angehörige der Milizen des Übergangsrates handelt, die ihre Waffen jubelnd in die Höhe strecken und ihrer Siegesfreude Ausdruck verleihen, gerät nicht in Versuchung, danach zu fragen, wie es denn um die Menschen in den kriegszerrütteten Städten Libyens in diesem Moment bestellt sein mag. Da sie seit Monaten unter dem Bombardement der NATO-Luftstreitkräfte zu leiden haben, wäre eine Erleichterung oder gar Freude über das Ende der Kampfhandlungen, sollte dieses denn tatsächlich mit der angeblich vollständigen Einnahme Sirtes am heutigen Donnerstag erreicht worden sein, noch überhaupt kein belastbares Indiz dafür, daß sie den Tod Ghaddafis und das Ende des durch ihn repräsentierten libyschen Systems bejubeln würden.

"Die Stadt ist befreit", machte Hassan Droua, ein Mitglied des sogenannten Übergangsrates, die Position dieses Gremiums deutlich [3]. Nach ihrem Sieg machten die Milizionäre Jagd auf verbliebene Ghaddafi-Getreue. Nach Beobachtungen von Journalisten wurden gefangengenommene Menschen dabei von ihnen geschlagen, woraufhin Offiziere dazwischen gegangen wären, um dies zu verhindern [3]. Allein eine letzte Rest-Unsicherheit darüber, daß es sich bei der schnell verbreiteten Nachricht vom Tode Muammar al Ghaddafis eventuell doch um eine Falschmeldung gehandelt haben könnte, mag bewirkt haben, daß sich viele Kommentatoren und Regierungsverantwortliche noch zurückgehalten haben, allzu deutlich ihren Triumphgefühlen und Häme-Gelüsten Ausdruck zu verleihen. In einer Bildunterschrift zu einem Porträt des früheren libyschen Revolutionsführers deutete sich diese Tendenz gleichwohl schon einmal an: "Auffällig war stets seine Schwäche für bunte Uniformen - damit ist es jetzt vorbei." [3]

Die Berichte über die Bombardierungen der NATO sowie die Angriffe der Milizen des Übergangsrates auf die in der belagerten Stadt Sirte eingeschlossenen Ghaddafi-Anhänger nahmen demgegenüber einen verschwindend geringen Platz ein. Durch die Truppen des Übergangsrates war die Stadt mitsamt all ihren Bewohnern von jeglicher Versorgung abgeschnitten worden, so daß es den Menschen an allem fehlte - an Nahrungsmitteln, medizinischer Versorgung, und, da die Infrastruktur gezielt zerstört wurde, auch an Wasser und Strom. Die NATO setzte ihre Kampfflugzeuge ein, die Milizen des Übergangsrates Granaten, Panzergeschosse und Raketen. Nahezu alle Gebäude sollen zerstört worden sein, so daß Sirte das Bild einer Geisterstadt abgibt, das nach Einschätzung eines Reporters des britischen Telegraph an "die düstersten Szenen aus Grosny am Ende von Russlands blutigem Tschetschenienkrieg erinnert" [4]. Journalisten sollen über das brutale Vorgehen der "Befreier" geschockt gewesen sein. "Das ist fast schon eine 'Politik der verbrannten Erde'", so die Formulierung des BBC-Mitarbeiters Wyre Davies [4].

Daß Libyen nach den Ereignisses dieses Tages einer friedfertigen und für alle seine Bewohner nun freudigen Zukunft in Sicherheit, Wohlstand und Freiheit entgegenblicken könne, nun, da mit dem mutmaßlichen Tod des "Diktators" auch dessen "Diktatur" beendet sei, ist eine Mär, die so recht niemand zu glauben scheint. Libyen wäre das erste von einem Weltordnungskrieg westlicher Provenienz heimgesuchte Land der jüngeren Vergangenheit, das nach dem militärischen Sieg der mit der NATO bzw. den entsprechenden westlichen Bündnissen kooperierenden Kräfte nicht übergangslos zu einem Bürgerkriegsland werden würde.

Das Beispiel des Irak wie auch Afghanistans haben in den langen Jahren, die seit ihrer "Befreiung" von ihrem einheimischen Despoten oder Regime durch westlich instrumentalisierte Kräfte vergangen sind, unter Beweis gestellt, was unter solch einer "Befreiung" tatsächlich zu verstehen ist, und so kann mit großer Sicherheit prognostiziert werden, daß Libyen und damit ein nordafrikanischer Staat, der einst den höchsten Sozialstandard des Kontinents aufwies, ein Kriegsland bleiben wird. Die große Freude, mit der die Milizionäre des Übergangsrates oder, wenn auch indirekt, der NATO, den "Tod des Tyrannen" zelebrieren, mag von der klammheimlichen Angst oder dem uneingestandenen Wissen, nach wie vor mit erbittertem Widerstand im Land rechnen zu müssen, getragen sein.


Anmerkungen

[1] Übergangsrat: Gaddafi ist tot. General-Anzeiger Bonn, 20.10.2011,
http://www.general-anzeiger-bonn.de/index.php?k=news&itemid=10007&detailid=953346

[2] Libysche Übergangsregierung: Gaddafi getötet, Martin Schrader, Deutsche Welle, 20.10.2011,
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,15475361,00.html

[3] "Ende der Tyrannei und der Diktatur". Übergangsrat in Libyen bestätigt Gaddafis Tod, Focus, 20.10.2011,
http://www.focus.de/politik/ausland/krise-in-der-arabischen-welt/libyen-muammar-el-gaddafi-soll-tot-sein-angeblich-kopfschuss_aid_676500.html

[4] Die Zerstörung von Sirte. Von Patrick O'Connor, World Socialist Web Site, 20.10.2010,
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20. Oktober 2011