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DILJA/1389: Kurdische Frauen überwinden Zersplitterung eines weltweit ignorierten Volkes (SB)


Gemeinsame Konferenz kurdischer Frauen aus den viergeteilten kurdischen Gebieten



Am Dienstag begann in Hewler (Erbil), einer Stadt in Südkurdistan (im Norden des Irak gelegen), die zweite nationale Konferenz kurdischer Frauen, die bis zum heutigen Donnerstag andauern wird. In ihrer Eröffnungrede hat die international bekannte kurdische Abgeordnete Leyla Zana erklärt, daß die Durchführung dieser Konferenz "für die kurdischen Frauen eine Renaissance" sei und die Wichtigkeit betont, bei diesem Treffen eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, die die Bedürfnisse der kurdischen Frauen aus allen vier Teilen Kurdistans in sich vereinen würde. [1] An dieser Konferenz nehmen 96 Frauen aus Südkurdistan, 55 aus Nordkurdistan (im Territorium der Türkischen Republik gelegen), 24 aus Ostkurdistan (im Iran) und 17 aus Südwestkurdistan (in Syrien) teil.

Diese für die meisten Menschen in den europäischen Staaten ungebräuchlichen Bezeichnungen deuten auf das Kerndilemma des kurdischen Volkes hin, das zu keinem Zeitpunkt seiner bisherigen Geschichte eine Eigenstaatlichkeit für sich realisieren konnte, wie sie für die allermeisten europäischen Völker wie auch jene des Nahen und Mittleren Ostens selbstverständlich ist. Kurdistan als geographische Gesamtbezeichnung all jener Gebiete, die mehrheitlich von Kurden und Kurdinnen bewohnt wird, ist in geographischen Werken in aller Regel nicht verzeichnet, weil es diese Entität "nicht gibt" in dem Sinne, das sie von allen übrigen Staaten und internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen in ihrer Existenz nicht anerkannt wird. Es gelten die Grenzziehungen, die aufgrund internationaler Absprachen, die nach dem Ersten Weltkrieg bei der Neuordnung der Region von den Siegermächten getroffen wurden, noch heute weitestgehend anerkannt sind, obwohl sie die kurdische Bevölkerung ignorieren, und so liegen die kurdischen Gebiete in der Türkei, im Iran, im Irak und in Syrien.

Dem insofern "viergeteilten" kurdischen Volk ist gemein, das ihm in allen vier Staaten seine kulturellen und politischen Rechte vorenthalten wurden und werden. Einzige Ausnahme stellte in der jüngsten Vergangenheit das im Norden des Irak liegende Südkurdistan dar aus einem brutal einfachen Grunde, stellten doch die dortigen kurdischen Organisationen und Parteien für die USA sowie die übrigen westlichen Staaten und späteren Kriegsverbündeten willkommene Helfer, um nicht zu sagen Hilfstruppen, dar in ihren Bemühungen, die zum Sturz des früheren irakischen Präsidenten Saddam Hussein führen sollten und schließlich auch führten. Die südkurdischen Parteien, die im heutigen Irak eine feste politische Größe darstellen und inzwischen als bewährte Partner der USA - sofern dieser Begriff in einem solchen Verhältnis überhaupt zulässig ist - etabliert sind, können sich am politischen Willensbildungsprozeß des Irak beteiligen. Die von ihnen gebildete "Demokratische Patriotische Allianz Kurdistans" stellt acht Minister in der irakischen Regierung, die beiden größten Parteien dieser Kurdenallianz sind die "Patriotische Union Kurdistans" (PUK) und die "Demokratische Partei Kurdistans" (DPK).

Dies zu wissen ist erforderlich für das tiefere Verständnis der Schwierigkeiten, die fast zum Scheitern der gesamtkurdischen Frauenkonferenz, die nun allen Widrigkeiten zum Trotz in Hewler durchgeführt werden konnte, geführt hätten. Noch vor wenigen Wochen hatte es ganz so ausgesehen, als wenn diese Bemühungen zum Scheitern verurteilt gewesen wären. Die Dachorganisation der (gesamt)kurdischen Frauenbewegung und der kurdischen Frauenorganisationen aus allen vier kurdischen Landesteilen sowie der Diaspora, der Hohe Frauenrat KJB, hatte in einer Presseerklärung am 5. Mai bekanntgeben, nicht mehr an dieser Konferenz teilzunehmen, obwohl er sie anfangs maßgeblich mitorganisiert hatte. Der Exekutivrat des KJB hatte zur Begründung angeführt, daß diese Konferenz "der Freiheit und der Einheit der Bevölkerung und der Frauen Schaden" zufügen würde. [2]

Dies erscheint zunächst widersinnig oder zumindest unverständlich. Im Jahre 2007 hatte der Hohe Frauenrat auf seiner dritten Vollversammlung beschlossen, eine Konferenz abzuhalten, an der Frauen bzw. Delegierte aus allen Teilen Kurdistans sowie der europäischen Diaspora teilnehmen sollten. Im April 2010 war es dann soweit: In Amed (türkisch: Diyarbakir) und damit in Nordkurdistan (im Südosten der Türkei) fand die erste nationale Frauenkonferenz statt. Allein das Zustandekommen eines solchen Treffens stellte ein bemerkenswertes politisches Zeichen dar, offenbarte es doch das nicht mehr aufzuhaltende Bestreben in diesem Fall der Kurdinnen, sich nicht länger durch die (erzwungene) Zugehörigkeit zu vier verschiedenen Staaten davon abhalten zu lassen, sich als kurdische Frauen gemeinsam zu organisieren. Bemerkenswert ist auch, daß im Verständnis der kurdischen Aktivistinnen kein inhaltlicher Dissens liegt zwischen ihren Anliegen, sich als Frauen zu emanzipieren von patriachaler Herrschaft und als Angehörige des kurdischen Volkes die Emanzipation und Einheit der Kurden und Kurdinnen insgesamt voranzutreiben.

Mit anderen Worten: Die kurdische Frauenbewegung ist nicht allein Frauenbewegung, sie ist zentraler Bestandteil der kurdischen Emanzipations- und Demokratiebewegung, die in den zurückliegenden Jahren mehr und mehr bemüht ist, sich basisdemokratisch in allen vier Landesteilen wie auch grenzübergreifend zu organisieren. Auf der ersten nationalen Frauenkonferenz in Amed wurde im April 2010 beschlossen, von nun an in jedem Jahr eine weitere Konferenz abzuhalten abwechselnd in einem der vier Teilgebiete. Die nächste Konferenz hätte nach ursprünglicher Planung bereits 2011 in Hewler stattfinden sollen, und zunächst hatte es, da umgehend mit den Vorbereitungen begonnen wurde, auch ganz danach ausgesehen, daß sich auch dieses Treffen realisieren lassen würde.

Nach Angaben des KJB waren es dann jedoch die Vertreterinnen der beiden großen südkurdischen Parteien (im Nordirak), PUK und DPK, die die Konferenz zu torpedieren suchten. Diese hätten nach Darstellung des Hohen Frauenrates zunächst darauf beharrt, den Termin zu verschieben und dann, nachdem sie sich zuvor nicht an den Vorbereitungen beteiligt hätten, diese an sich gerissen. Dazu hieß es in der Presseerklärung [2]:

Ohne das Vorbereitungskomitee versammelt und informiert zu haben und ohne Zustimmung des Komitees begannen sie diese Arbeit mit zentral und einseitig gefällten Beschlüssen. Von Beginn an wurde diese Arbeit ohne Berücksichtigung unseres Willens durchgeführt. Wir waren mit ausgrenzenden, anti-demokratischen, intransparenten und willkürlichen Methoden konfrontiert.
Dem Selbstverständnis der Konferenz entsprechend war beabsichtigt gewesen, dass alle kurdischen Vertreterinnen daran teilnehmen. Jedoch wurde die Zusammensetzung der Konferenz durch diese südkurdischen Kreise dahingehend verändert, dass der Wille von Frauenbewegungen und zivilgesellschaftlichen Fraueneinrichtungen ignoriert wurde, die sich außerhalb der Frauensektionen politischer Parteien organisieren.

Bedenkt man die Bedingungen, unter denen kurdischen Organisationen und damit auch kurdischen Frauenorganisation in den verschiedenen Staaten zu arbeiten haben, wird deutlich, daß durch diese von den PUK- und DPK-Vertreterinnen gestellten Bedingungen Frauenorganisationen aus anderen Staaten ausgegrenzt werden sollten. Namentlich in der Türkei ist es, wie die vielen, gegen kurdische Parteien verhängten Verbote und massiven Repressalien belegen, nicht möglich, sich im Rahmen einer Partei für die Sache der Kurden einzusetzen, so daß nur zivilgesellschaftiche Organisationsformen außerhalb einer Partei übrig bleiben. Wenn die Frauen der einzigen Kurdenparteien, die "dank" ihrer Zusammenarbeit mit den USA, die von anderen Kurden und Kurdinnen womöglich als Kollaboration empfunden wird, einen anderen Stand haben, auf diesem Wege zur Ausgrenzung und damit fortgesetzten Zersplitterung der kurdischen Frauenbewegung und damit auch der kurdischen Bewegung insgesamt beitragen wollen, spricht dies Bände und läßt vermuten, daß ihnen dieses Vorgehen nicht aus eigener Initiative eingefallen ist, sondern daß die Drahtzieher dieses wenngleich erfolglos gebliebenen Spaltungsversuchs weit außerhalb der kurdischen Gebiete zu verorten sind.

Fußnoten:

[1] 2. Nationale Kurdische Frauenkonferenz in Hewler hat begonnen, Pressemitteilung des Kurdischen Frauenbüros für Frieden e.V. (CENI) vom 22. Mai 2012
http://www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/erklaerungen/2012/05/07.htm

[2] KJB wird an der Frauenkonferenz in Hewler nicht teilnehmen, Pressemitteilung des Kurdischen Frauenbüros für Frieden e.V. (CENI) vom 5. Mai 2012
http://www.diekurden.de/news/konferenz-in-hewlr-viele-organisationen-nehmen-daran-nicht-teil-456368/


24. Mai 2012