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DILJA/1397: General Gotovina - Spruch der Freien (SB)


Rechtsprechung als verlängerter Arm der Kriegführung?

General Gotovina und die "Operation Sturm" der kroatischen Armee 1995



15. April 2011: Der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen 1993 eingerichtete und finanziell maßgeblich von den USA ausgestattete "Internationale Strafgerichtshof für das ehemaligen Jugoslawien" (ICTY), so die offizielle Bezeichnung des Den Haager Kriegsverbrechertribunals für Ex-Jugoslawien, fällt eine aufsehenerregende Entscheidung. Ante Gotovina und Mladen Markac, ehemalige Generäle der kroatischen Armee, werden wegen der Vertreibung der Serben aus der Krajina, einer überwiegend von Serben bewohnten Region in der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik Kroatien, zu hohen Haftstrafen verurteilt. Gotovina, ehemaliger Befehlshaber der "Operation Sturm", in deren Verlauf während der Kriege um die Zerschlagung Jugoslawiens [1] zwischen dem 30. Juli und 4. August 1995 230.000 Serben aus der Krajina vertrieben wurden, wurde zu 24 Jahren Haft verurteilt, Markac zu 18 Jahren.

In Kroatien hatte dieser Schuldspruch seinerzeit zu wütenden Protesten geführt. Zehntausende Kroaten demonstrierten in Zagreb gegen diese Entscheidung des UN-Kriegsverbrechertribunals, in der sie eine "Beschmutzung des gerechten kroatischen Befreiungskrieges" [2] sahen. Nicht nur die beiden Generäle, sondern "das ganze kroatische Volk" sei verurteilt worden, hieß es. Der frühere Staatschef Stjepan Mesic und die Regierungspartei HDZ wurden für die Auslieferung des in Kroatien als Volksheld geltenden Gotovina an das Den Haager Tribunal verantwortlich gemacht.

In den Bosnien- bzw. Jugoslawienkriegen waren seinerzeit "Schutzzonen" eingerichtet worden in der Verantwortung und im Namen der Vereinten Nationen, die diesem Anspruch jedoch in keinem Fall gerecht wurden. In Westslawonien, an der Westflanke der bosnischen Serbenrepublik gelegen, und in der Krajina standen Serben unter dem vermeintlichen Schutz der UN, in Srebrenica, einer in Ostbosnien gelegenen Stadt, eine bosnisch-muslimische Bevölkerung.

Westslawonien wurde im Mai 1995 von kroatischen Truppen überrannt und eingenommen, die "Schutzzone" Krajina ebenfalls von der kroatischen Armee Anfang August. Srebrenica wurde im Juli desselben Jahres von bosnisch-serbischen Truppen eingenommen. In allen drei Fällen ist es zu schwersten Verbrechen an der Zivilbevölkerung gekommen, in allen Fällen wurden Vorwürfe wegen Kriegsverbrechen, Völkermord und Vertreibung erhoben. Das Jugoslawien-Tribunal befaßte sich in keinem der drei Fälle mit der Frage, warum die Vereinten Nationen ihrem Schutzauftrag nicht nachgekommen waren, wofür es naheliegende Gründe gibt: Es war schlicht nicht der Auftrag des Tribunals und hätte es wohl auch schwerlich sein können, hätte dies doch bedeutet, daß der Weltsicherheitsrat ein juristisches Instrument ins Leben ruft, um sich selbst bzw. die in seinem Auftrag handelnden Personen und Institutionen in strafrechtlich relevanter Weise zu überprüfen.

Daß es in den Bosnien- bzw. Jugoslawienkriegen zu schwersten Kriegsverbrechen gekommen ist - wenn man sich denn auf eine solche Unterscheidung zwischen legalen und illegalen Tötungen und Gewaltanwendungen überhaupt einlassen will -, wird von den wenigsten Beteiligten bestritten. Namentlich die serbische Seite, die im Unterschied zu ihren kroatischen und bosnisch-muslimischen Kriegsgegnern in der internationalen Wahrnehmung und Darstellung die alleinige Kriegsschuld zugelastet bekam, hat ihre Bereitschaft, die von ihren Streitkräften begangenen Verbrechen aufklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, oftmals unter Beweis gestellt, dabei aber auch deutlich gemacht, daß es für sie inakzeptabel sei, wenn eine solche Aufarbeitung nicht in derselben Weise auch bei den übrigen Kriegsparteien durchgeführt werde.

Vor diesem Hintergrund kam der Verurteilung Gotovinas im April des vergangenen Jahres eine besondere Bedeutung zu, schien sie doch, ungeachtet der wütenden Proteste aus Kroatien, den gegen das Den Haager Tribunal vielfach erhobenen Vorwurf, einseitig zu Lasten der Serben zu ermitteln und Kriegsverbrecherprozesse durchzuführen, zu entkräften. Als Ante Gotovina verurteilt wurde, schien die Beweislast gegen ihn erdrückend zu sein. In acht von neun Anklagepunkten, die noch auf der Ermittlungstätigkeit der früheren Chefanklägerin Carla del Ponte beruhten, wurde Gotovina von den Den Haager Richtern schuldig gesprochen.

Er wurde für die Ermordung von über 300 Zivilisten, für Plünderung und Zerstörung und die Vertreibung von 90.000 Menschen während der von ihm kommandierten "Operation Sturm" verantwortlich gemacht. Das Tribunal erkannte darin, so zumindest im April 2011, eine Verschwörung zur Vertreibung der Krajina-Serben. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung hatten die US-amerikanischen Anwälte Gotovinas vor dem Gerichtsgebäude erklärt, in Berufung gehen zu wollen, doch kaum jemand, nicht einmal die glühendsten Anhänger des Ex-Generals, haben ihm realistische Chancen auf einen Freispruch eingeräumt.

16. November 2012: Die Berufungsinstanz des Den Haager Tribunals verkündet ihr Urteil im Fall Gotovina/Markac. Was kaum jemand für möglich gehalten hatte, wurde wahr: Ante Gotovina wurde am Ende des zweiten Verfahrens in allen Punkten freigesprochen und sofort aus der Haft entlassen. Er konnte nach Zagreb fliegen, wo er bei seiner Ankunft von seinen Anhängern frenetisch gefeiert wurde. Was war geschehen? Wie ist diese vollständige Kehrtwende in der Urteilspolitik ein und desselben Gerichts, wenn auch von verschiedenen Richtern, zu erklären? Haben sich in der Zwischenzeit grundlegend neue Anhaltspunkte ergeben, die eine so grundverschiedene juristische Bewertung plausibel machen?

Nichts dergleichen. Allem Anschein nach haben die Richter der zweiten Instanz lediglich eine völlige Neubewertung vorgenommen. Waren Anklage und erste Instanz noch der Auffassung gewesen, daß Gotovina sich gemeinsam mit dem damaligen kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman durch die Vertreibung der Menschen aus der Krajina eines "gemeinschaftlichen kriminellen Unternehmens" schuldig gemacht hätte, soll es ein solches Unternehmen nach Ansicht der zweiten Instanz überhaupt nicht gegeben haben. Die Artillerie des kroatischen Armee hätte, so die Den Haager Richter, "nur da geschossen, wo sich in mindestens 200 Metern Entfernung auch ein militärisches Ziel befunden hätte" [3]. In Serbien rief dieser Freispruch blankes Entsetzen, Trauer und Enttäuschung hervor. Da sich die serbische Armee vor dem Einrücken der kroatischen Truppen bereits weitgehend zurückgezogen hatte, galt der Artilleriebeschuß nach serbischer Sicht den serbischen Zivilisten, die zu Tausenden, auch aus Angst vor Racheakten, die Flucht ergriffen hatten.

Ein US-Bundesgericht scheint diese Einschätzung der damaligen Ereignisse durchaus zu teilen. Serbische Organisationen, die "Opfer des Völkermordes in der Krajina" und die "Serbische Krajina-Versammlung", sollen gegen das US-amerikanische Unternehmen "Military Professional Resources Inc." (MPRI) vor einem Bundesgericht in Chicago Klage eingereicht haben, weil dieses Unternehmen durch Instruktionen sowie das Training kroatischer Offiziere und Soldaten an der "Operation Sturm" teilgenommen und damit an Völkermord und Vertreibung von über 200.000 Serben beteiligt gewesen sein soll. Dem Gericht wurde ein zwischen Kroatien und dem MPRI geschlossener Vertrag vorgelegt, woraufhin Bundesrichter Ruben Castillo den Staat Illinois für zuständig erklärt haben soll für die Forderungen der vertriebenen Serben, die von MPRI 10 Milliarden Dollar bzw. 25.000 Dollar für jeden Serben verlangen. [4]

In den meisten deutschen Medien wird der nun gegen Gotovina ergangene Freispruch als völlig überraschend dargestellt. Wer sich allerdings vergegenwärtigt, daß dieses Tribunal zu einem spezifischen Zweck ins Leben gerufen wurde und, zumal der Weltsicherheitsrat nach der Charta der Vereinten Nation zur Errichtung eines Gerichts gar nicht legitimiert ist, in dem Ruch steht, als verlängerter juristischer Arm einer an den Kriegen keineswegs unbeteiligten Staatengruppe zu fungieren, wird angesichts des nun ergangenen Freispruchs für General Gotovina kaum vor einem Rätsel stehen.

Die USA haben die kroatischen Truppen bei ihren Angriffen auf die Schutzzonen Westslawonien und Krajina ebenso unterstützt wie die in Srebrenica eingeschlossenen bosnischen Muslime. Die Bundesrepublik Deutschland hat Anfang der 1990er Jahre maßgeblich zur Anheizung der als ethnische ausgewiesenen Spannungen und Konflikte im ehemaligen Vielvölkerstaat Jugoslawien beigetragen durch die zunächst alleinige Anerkennung der abspaltungswilligen Teilrepubliken Kroatien und Slowenien, was von dem früheren britischen Außenminister und damaligen NATO-Generalsekretär Lord Peter Carrington als "Funken, der Bosnien-Herzegowina in Brand setzte", bezeichnet wurde.

Die Frage, wie in einem solchen Zusammenhang ein vom Weltsicherheitsrat eingesetztes Tribunal tatsächlich unabhängig sein könne, ist nach wie vor unbeantwortet, und so sieht es ganz danach aus, als seien die Bemühungen vornehmlich der früheren Chefanklägerin del Ponte, durch Ermittlungen auch gegen kroatische und bosnisch-muslimische Kriegsbeteiligte den Ruf des Tribunals aufzubessern bzw. wiederherzustellen, durch den Freispruch Gotovinas hinfällig geworden.

Anmerkungen:


[1] Siehe im Schattenblick in INFOPOOL → GEISTESWISSSENSCHAFTEN → MEINUNGEN:
die Serie "Srebrenica oder die Zerschlagung Jugoslawiens", Teil 1 bis 23,
www.schattenblick.de/infopool/geist/meinung/gmeid-84.html bis
www.schattenblick.de/infopool/geist/meinung/gmeid106.html

[2] Tausende Kroaten demonstrieren gegen UNO-Tribunal, 16.04.2011,
http://www.suedostschweiz.ch/politik/tausende-kroaten-demonstrieren-gegen-uno-tribunal

[3] Ante Gotovina - Fatales Signal an Kroatien, Kommentar von Norbert Mappes-Niediek, Frankfurter Rundschau, 16.11.2012,
http://www.fr-online.de/meinung/ante-gotovina-kommentar-fataler-freispruch-fuer-einen-kriegsverbrecher,1472602,20890530.html

[4] Chicago: Gericht nimmt die Klage der Serben aus der Krajina gegen das Unternehmen MPRI an, 07.09.2012,
http://voiceofserbia.org/de/content/chicago-gericht-nimmt-die-klage-der-serben-aus-der-krajina-gegen-das-unternehmen-mpri

17. November 2012