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AFRIKA/1881: Mauritius will kein "Guantánamo" für Piraten sein (SB)


Mauritius lehnt Einrichtung eines Gefangenenlagers für somalische Piraten auf seinem Territorium ab


Die UN-Sicherheitsratsmitglieder USA, Frankreich und Britannien haben angeblich bei der Regierung von Mauritius angefragt, ob sie dort ein Sondergefängnis für Piraten, die im Indischen Ozean und vor der somalischen Küste gefangen genommen wurden, aufbauen dürfen. Darüber hinaus wäre auf der Insel ein Sondertribunal, das sich aus örtlichen und ausländischen Richtern zusammengesetzt hätte, eingerichtet worden.

Die in Nairobi herausgegebene Zeitung "The East African" [1] berichtete über die Absage vor dem Hintergrund, daß gegenwärtig Kenia, dessen Gefängnisse bereits reichlich überbelegt sind, 123 somalische Piraten aufgenommen hat und durch die Entscheidung des mauritianischen Parlaments vermutlich noch stärkere Belastungen auf das Land zukommen werden.

Abgesehen von diesem für Kenia wichtigen Aspekt ist der Vorgang auch aus weltordnungspolitischen Gründen bemerkenswert. Das von Somalia ausgehende Piratentum ist kein zwangsläufiges, quasi-natürliches Phänomen, sondern ihm gingen zahlreiche Versuche der Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes voraus. Um nicht bis in die Kolonialgeschichte Somalias zurückzugehen, wäre eine erste jener folgenschweren Einmischungen die Unterstützung der USA für den somalischen Diktator Siad Barre in den 1980er Jahren zu nennen. Die fortgesetzte Begünstigung des Regimes mündete schließlich in Barres Sturz 1990/91 durch verschiedene somalische Fraktionen, die sich noch wesentlich entlang der traditionellen Klansgrenzen gebildet und teilweise Zweckbündnisse geschlossen hatten, welche anschließend auseinanderbrachen. Diese Lage ist ein nach wie vor wichtiger Ausgangswert, um die die heutigen Verhältnisse besser einordnen zu können.

In den 1990er Jahren hatte die US-Regierung versucht, im Rahmen einer internationalen Hungerhilfe (UNSOM) militärisch für "Ordnung" zu sorgen, und den Klansführer Mohamed Farah Aidid gefangen zu nehmen. Was gehörig mißlang und zu vermutlich mehr als 1500 bei Kämpfen getöteten Einwohnern (vor allem Zivilisten) und 18 toten US-Soldaten führte.

Die Interventionsversuche und Maßnahmen zum "regime change" in Somalia durch die USA und ihre westlichen wie auch afrikanischen Verbündeten, die zusammen für sich reklamieren, die internationale Staatengemeinschaft zu vertreten, sowie auf der anderen Seite Eritrea und - vermutlich - andere muslimische Staaten und Organisationen haben bis heute nicht aufgehört. Es herrscht eine Gemengelage einander bekämpfender Interessengruppen vor. Die heutige Übergangsregierung, die von den USA und der internationalen Gemeinschaft anerkannt ist, wird von der moderaten Fraktion jener Islamisten bildet, gegen die die USA im Jahre 2006 noch eine Bande von Warlords mit Waffen versorgt und ins Gefecht geworfen hatte. Die Islamisten gewannen den Kampf, wurden aber Ende 2006, Anfang 2007 durch die Streitkräfte Äthiopiens vertrieben. Diese sind Anfang 2009 abgezogen (inzwischen im kleinen Umfang zurückgekehrt), während die moderaten Islamisten unter Sharif Sheikh Ahmed die Übergangsregierung bilden und ihrerseits von den fundamentaleren Islamisten bekämpft werden. Von diesen wiederum gibt es zwei Fraktionen, die al-Shabaab und die Hizbul Islam, welche sich mittlerweile heftige Kämpfe um die Kontrolle über die südsomalische Hafenstadt Kismayu liefern ...

Nun aber zurück zum Piratentum, jener neu erschlossenen Einkommensquelle für Teile der somalischen Bevölkerung. In einem Land, in dem Bürgerkrieg herrscht, ausländische Truppen stationiert sind (abgesehen von sporadischen Stellungen äthiopischer Soldaten auch mehrere tausend Mitglieder einer Friedensmission der Afrikanischen Union AMISOM (African Union Mission to Somalia), einem Land, in dem Millionen Einwohner vertrieben wurden und mehr als die Hälfte der Bevölkerung auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen ist, in dem extreme klimatische Verhältnisse mit einer Dauerdürre, die ab und zu von Starkniederschlägen und Überschwemmungen unterbrochen wird, muß es nicht wundern, daß aus dieser mannigfachen Drucksituation heraus Einwohner versuchen, sich am Reichtum der permanent vor ihren Augen vorbeiziehenden internationalen Handelsschiffe schadlos zu halten - und sei durch Entführung von Schiffen samt Besatzung und Erpressung.

Die sogenannte internationale Gemeinschaft, die jetzt mit einem Großaufgebot an modernen Kriegsschiffen vor der somalischen Küste, im Golf von Aden und Indischen Ozean Begleitschutz und Patrouille fahren läßt, hat wenig unternommen, um die Lebensverhältnisse in Somalia zu verbessern. Der Widerspruch zwischen der Vernachlässigung auf der einen Seite und der Militärpräsenz auf der anderen löst den Eindruck aus, als werde am Beispiel von Somalia das durchexerziert, was politische Analysten einer Reihe von Think Tanks seit längerem als Beispiel für den Aufbau eines "failed state" vorschlagen. Hier nun bietet sich die Möglichkeit, Theorien an der Praxis zu überprüfen. Man könnte auch von einem Experimentierfeld für ordnungspolitische Maßnahmen sprechen. Die weitgehend globalisierte Welt ist sich darin einig ist, daß auch die letzten Inseln der Nichtstaatlichkeit und der "falschen Staaten" (frei übersetzt nach "failed states") keine Existenzberechtigung besitzen und assimiliert gehören. In diesem Rahmen ist auch der Versuch u. a. der USA zu sehen, eine Art Ad-hoc-Weltgericht und ein Gefangenenlager auf Mauritius aufbauen zu wollen.


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Anmerkungen:

[1] "Mauritius: Country Declines to Host Detention Camp for Pirates", The East African (Nairobi), 12. Oktober 2009
http://allafrica.com/stories/200910120124.html

13. Oktober 2009