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AFRIKA/1945: James Kabarebe wird neuer Verteidigungsminister Ruandas (SB)


Ruandas Präsident Paul Kagame holt seinen langjährigen Vertrauten ins Kabinett

James Kabarebes blickt auf blutige Biographie zurück


In der Militärführung Ruandas hat es eine größere Umgruppierung gegeben. Präsident Paul Kagame hat Verteidigungsminister Marcel Gatsinzi entlassen und ihm das neu geschaffene Ministerium für Katastrophenschutz und Flüchtlingsangelegenheiten unterstellt. Zum neuen Verteidigungsminister wurde General James Kabarebe ernannt. Seinen Posten als Generalstabschef nimmt nun Generalleutnant Charles Kayonga ein.

Dieser Umstrukturierung kommt insofern eine über die Landesgrenzen hinausgehende Bedeutung zu, da die Politik auch mehr als eineinhalb Jahrzehnte nach dem einschneidenden Genozid an rund 800.000 Tutsi, moderaten Hutu und marginalisierten Twa bis heute die gesellschaftlichen Verhältnisse dieses afrikanischen Binnenstaats und seine Stellung innerhalb der Staatengemeinschaft maßgeblich bestimmt. Die Regierung Kagames bevorzugt zwar eine Politik der nationalen Einheit und erklärt, daß es weder Hutu noch Tutsi gibt, sondern nur Ruander, aber durch diese Fassade werden die tiefen Risse in der Gesellschaft nicht beseitigt, sondern allenfalls verdeckt. Noch heute sitzen Tausende Ruander - vor allem Hutu -, denen eine Beteiligung am Genozid zugelastet wird, ohne Gerichtsverhandlung im Gefängnis. Außerdem wird vor dem UN-Tribunal für Ruanda (ICTR) weiterhin ausschließlich über Hutu zu Gericht gesessen, was dem Gericht schon den Ruf, es betreibe Siegerjustiz, eingetragen hat. Darüber hinaus werden politische Oppositionelle mit Hilfe von Antirassismus- und Antidiskriminierungsgesetzen als "Genozid-Leugner" und "Aufwiegler von Rassenhaß" diffamiert. Die regierungsnahen Medien hacken stets unisono auf Personen ein, die eines dieser Vergehen bezichtigt werden.

Sowohl mit Kabarebe als auch Gatsinzi verbindet Präsident Paul Kagame etwas Besonderes. Der neue Verteidigungsminister war an Kagames Seite, als dieser die in Uganda gegründete Ruandische Patriotische Front (RPF) anführte und im Juni, Juli 1994 die einige Jahre zuvor begonnene Invasion Ruandas mit dem Sieg über die Völkermörder und deren Vertreibung abschloß. Kabarebe wird nachgesagt, er habe am 6. April 1994 eine kleine Spezialeinheit angeführt, die zuvor in die ruandische Hauptstadt Kigali eingesickert war und das im Anflug auf den Internationalen Flughafen von Kigali befindliche Flugzeug mit dem ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana, seinem burundischen Amtskollegen Cyprien Ntaryamira und dem Stabschef der ruandischen Streitkräfte an Bord abgeschossen hat.

1996/97 befehligte Kabarebe für Paul Kagame den Einmarsch der ruandischen Armee ins Nachbarland Zaire (heute: Demokratische Republik Kongo) und unterstützte gemeinsam mit Soldaten anderer Länder den Kongolesen Laurent Desirée Kabila, so daß dieser den langjährigen Diktator Mobutu Sese Seko stürzen konnte. Kabila überwarf sich 1998 mit seinen "Beratern" aus Ruanda, die offenbar ein Attentat auf ihn verüben wollten, und jagte sie aus dem Land. Keine zwei Wochen darauf kehrten die Streitkräfte Ruandas, Ugandas und Burundis zurück und führten eine generalstabsmäßig (möglicherweise mit Hilfe eines vor der Kongomündung liegenden US-Kriegsschiffs) durchgeführte Invasion durch. Die fremden Truppen standen schon kurz vor der Einnahme der Hauptstadt Kinshasa, da wurde der Sieg durch die Luftwaffe Simbabwes sowie des angolanischen Militärs vereitelt. Auch Namibia hatte sich auf die Seite Kabilas geschlagen. Somit kämpften mindestens sieben afrikanische Staaten auf dem Schlachtfeld DR Kongo - die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright nannte dies den ersten Weltkrieg auf afrikanischem Boden.

Kabarebe errang weitere "Verdienste", indem er die Plünderung des rohstoffreichen Ostkongo für Ruanda organisierte. In der ostkongolesischen Stadt Kisangani kämpften seine Soldaten kurzzeitig gegen die damaligen Verbündeten aus Uganda um die Vorherrschaft. 2006 beantragte der französische Untersuchungsrichter Jean-Louis Bruguière internationale Haftbefehle gegen Kabarebe und neun weitere hochrangige RPF-Mitglieder wegen mutmaßlicher Beteiligung am Habyarimana-Attentat.

Vor wenigen Jahren wurde Kabarebe zum Kommandanten der ruandischen Soldaten der Friedensmission in Darfur ernannt. Mit dieser blutigen Biographie kann er einschränkungslos als rechte Hand des gewieften Strategen Kagame bezeichnet werden. Der hat es ihm gedankt - nicht nur indem er ihn regelmäßig beförderte und zu einer einträglichen Möglichkeit zur Bereicherung an den Rohstoffen Ostkongos verhalf, sondern auch indem er mithalf, seine Weste weiß zu waschen. Dazu trug auch der Job als Leiter einer "Friedensmission" in Darfur bei, ebenso wie jetzt seine Ernennung zum Verteidigungsminister.

Marcel Gatsinzi wiederum spielt eine undurchsichtige Rolle in der Geschichte Ruandas. Der Hutu zählt zu den wenigen aus der früheren Armee Habyarimanas, dessen Karriere 1994 kein abruptes Ende fand. Immerhin war Gatsinzi im Rang eines Colonel Mitglied der ruandischen Streitkräfte FAR, die von Kagames RPF vertrieben wurde. Vom 7. bis 17. April 1994, also in den ersten zehn Tagen des Genozids, war er sogar Stabschef der FAR.

Von 1995 bis 1997 war Gatsinzi stellvertretender Stabschef der ruandischen Armee, zwischen 1997 und 2000 befehligte er die Nationale Gendarmerie. In der Zeit bis zur Einberufung als Verteidigungsminister am 15. November 2002 war er Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsdienstes. Vom 5. September bis 20. Dezember 2000 nahm Gatsinzi an einem Ausbildungslehrgang am Institute of World Politics in den USA teil. Am 15. November 2002 folgte er Emmanuel Habyarimana auf dem Posten des Verteidigungsminister Ruandas ab.

Warum hat Kagame einen Hutu mit einer solch undurchsichtigen Vergangenheit, mit mutmaßlicher Beteiligung am Genozid, in seine Regierungsmannschaft aufgenommen? Sicherlich erfüllt Gatsinzi auch eine Feigenblattfunktion für die Tutsi-dominierte Militärführung Ruandas. Denn die Tutsi befinden sich deutlich in der Minderheit. Es würde zu sehr an die alten Verhältnisse Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre erinnern, als sich die unterdrückten Hutu gegen die Tutsi erhoben, wenn Kagame nicht auch Hutu in seine Regierung und den Militärapparat aufgenommen hätte.

Gatsinzis Position ist nicht ungefährdet, wie seine Abberufung als Verteidigungsminister zeigt. Die Schaffung eines neuen Ministeriums wirkt wie ein Notnagel, um ihn zu halten, aber zugleich seinen Einfluß zu verringern. Vielleicht hat es damit zu tun, daß es Kabarebe nach Höherem drängt, vielleicht aber auch, weil Gatsinzi wegen des Bagosora-Falls unter Druck geraten war. Théoneste Bagosora gilt als der Kopf hinter dem Genozid von 1994. Er wurde am 18. Dezember 2009 vom UN-Tribunal für Ruanda (ICTR) wegen Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verurteilt, nicht aber wegen Verschwörung zum Genozid, wie von der Anklage gefordert. Das ist insofern wichtig, als daß es damit nicht gelungen war, das Abschlachten der Tutsi als von langer Hand geplanten und systematisch durchgeführten Völkermord zu beweisen.

Bagosoras Verteidigung hatte am 17. Juli 2005 versucht, Gatsinzi als Zeugen vorzuladen, was dieser jedoch ablehnte. Am 11. September 2006 hat das Lower Court des UN-Tribunals im sogenannten "Military I"-Verfahren die Anhörung Gatsinzis gefordert, doch dieser stellte zwei Bedingungen. Erstens wolle er nicht als Zeuge der Verteidigung, sondern als Zeuge des Gerichts aussagen, zweitens wollte er nicht nach Arusha reisen, sondern per Videokonferenz zur Verhandlung gegen Bagosora zugeschaltet werden. Das Gericht ließ die Anhörung versanden.

2005 hat Gatsinzi als Verteidigungsminister Ruandas vor einem Gacaca-Gericht (Laien- bzw. Dorfgericht, mit dem minderschwere Vergehen während des Ruanda-Genozids verhandelt werden) in Butare ausgesagt, daß Col. Bagosora der Architekt des Attentats auf Habyarimana war; 2007 wurde Gatsinzi vom Gacaca-Gericht freigesprochen. Mit seiner Aussage hatte er die offizielle, wenngleich nicht unumstrittene Lesart der Geschichte bestätigt, derzufolge radikale Hutu ihre eigenen Präsidenten umgebracht haben, weil sie mit seiner vermeintlich weichen Politik gegenüber der RPF nicht einverstanden gewesen waren.

Indem er Bagosora schwer belastete, tat Gatsinzi etwas für seine und Kagames Reputation. Die Fragen verstummten nicht, wieso ein zumindest zeitweiliger Befehlshaber der ruandischen Streitkräfte einen Ministerposten erhält, während andere mutmaßliche Rädelsführer im UN-Gefängnis im tansanischen Arusha versauern, bis sie abgeurteilt werden. Da stichhaltige Indizien dafür sprechen, daß die Verantwortung des Habyarimana-Attentats nicht bei Bagosora, sondern beim heutigen Präsidenten Kagame liegt, ergibt sich eine brisante Situation, wollte man dieser Deutung der Geschichte folgen. Dann wüßte Gatsinzi von den Verhältnissen und hätte etwas gegen Kagame in der Hand, etwas, das womöglich bei einem Notar im Ausland hinterlegt ist und im Falle seines Todes ... eine abenteuerliche Mutmaßung, die die Tragik der ruandischen Geschichte nicht mildern soll und kann. Jedenfalls hat Bagosora behauptet, daß die Kontrolle über die ruandische Armee am 7. April 1994 in den Händen von General Marcel Gatsinzi lag, da sich Stabschef General Deogratias Nsabimana an Bord der abgeschossenen Präsidentenmaschine befand. Es wäre also durchaus von Interesse gewesen, wenn sich Gatsinzi unter Eid zu dieser Erklärung hätte äußern müssen.

Die Ernennung Kabarebes zum neuen Verteidigungsminister Ruandas trotz dessen umstrittener Vergangenheit liegt voll im gegenwärtig Trend der Glättung historischer Ungereimtheiten und Widersprüche im Kontext des sogenannten Ruanda-Genozids, sowohl hinsichtlich seiner unmittelbar Beteiligten als auch mit Blick auf die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats mit Frankreich als Habyarimana-Verbündeten und den USA und Großbritannien auf der Seite Kagames.

13. April 2010