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AFRIKA/1950: Zynischer EU-Funktionär - Einwohner Malis an Hunger gewöhnt (SB)


Riesige Regionen Afrikas von Hunger betroffen

Fortgesetzter Ressourcenraub unter Vernichtung zahlloser Menschenleben

Zynische Kommentierung der existentiellen Not der Bevölkerung


Die Preisexplosion von Getreide und anderen Lebensmitteln in den Jahren 2007 und 2008 kam nicht aus heiterem Himmel. Sie setzte auf eine seit Jahren anhaltende, allmähliche Preissteigerung auf, die sich vor allem gegen die Armutsländer richtete. Der letztendliche Schub erfolgte dann aufgrund des in die Höhe getriebenen Erdölpreises, der strategischen Umwidmung von Agrarflächen in Zonen der Biospritproduktion und der Suche global fluktuierenden Kapitals nach Anlagemöglichkeiten. Bereits in der zweiten Jahreshälfte 2008 und in 2009 sackten die Lebensmittelpreise wieder ab - diesmal erreichte die Entwicklung jedoch kein globales Ausmaß. Der Abwärtstrend bei den Preisen blieb in den afrikanischen Ländern weitgehend aus. Insbesondere Grundnahrungsmittel waren deutlich teurer als vor der Preisexplosion. Das ist einer der Gründe, warum heute in weiten Teilen des Kontinents Hunger herrscht.

Berichte über diese Entwicklung enden bestenfalls als Randnotiz, und meist bleiben sie auf einzelne Länder beschränkt. Erst wenn die Regionen mit mangelnder Nahrungsverfügbarkeit zusammengefaßt werden, füllt sich die Karte und es tritt der systemische Charakter der Not hervor. Obgleich unbestritten jeweils nationale Besonderheiten (Klima, Infrastruktur, Produktionsweisen, allgemeiner Lebensstandard) die Nahrungsverfügbarkeit unterschiedlich stark beeinflussen, bildet die Weltordnung, in der das weitverzweigte Geflecht aus Handels- und Finanzströmen sowie politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen gesteuert wird, eine übergreifende Klammer, die das System zusammenhält und ein Ausscheren einzelner Länder oder Regionen, die wissentlich der Not überantwortet werden, unterbindet.

In Westafrika leiden mehr als zehn Millionen Einwohner mehrerer Staaten Hunger. Davon entfallen auf Niger 7,8 Millionen und Tschad über zwei Millionen. [1] Spendenappelle der Hilfsorganisationen bleiben weitgehend unbeantwortet. In Westen, Norden und Nordosten Malis sind laut der Hilfsorganisation Oxfam 629.000 Einwohner auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, davon 258.000 akut. [2] Die malische Regierung benötigte weitere 59 Mio. Dollar zusätzlich zu den bereits zugesagten in Höhe von 69 Mio., um die von Unterernährung betroffene Bevölkerung zu versorgen. Die Getreidepreise sind dort in den letzten zwei Jahren um 45 Prozent gestiegen, wohingegen die Bauern für ihre abgemagertes Vieh statt 61 Dollar (2009) nur noch zehn Dollar bekommen. Das bedeutet, daß die Nahrungsnot an der strukturellen Substanz zehrt und die Bauern ihre Zukunft verkaufen, damit sie und ihre Familie kurzfristig überleben können.

In Mali sind rund 38 Prozent der Kinder unter fünf Jahren chronisch unterernährt, davon 15 Prozent sogar akut. Die Europäische Kommission leistet zwar Entwicklungshilfe, aber das Budget ist so klein gehalten, daß es die Not lediglich regional und dann auch nur zeitweilig lindert. Die Bewohner Malis und anderer afrikanischer Staaten sollen gar nicht vollständig auf den grünen Zweig kommen, sondern in der Dauerabhängigkeit gefangen bleiben.

Als typisch für die Einstellung der EU scheint die Erklärung von Cyprien Fabre, Regionalleiter des Büros für humanitäre Hilfe der Europäischen Kommission (ECHO), gegenüber IRIN [2] zu sein. Die Ernährungsunsicherheit sei zwar "kritisch", räumt er ein, aber die Regierung Malis verfüge über eine größere Kapazität, darauf zu reagieren, als andere Sahel-Institutionen: "Es gibt bereits viele Ernährungssicherheitsprojekte. Die Regierung hat begonnen zu reagieren, und die Menschen in diesen Regionen sind es gewohnt, mit wiederholter Ernährungsunsicherheit zurechtzukommen." Außerdem seien im ganzen Land bedeutende Lager mit Getreide angelegt worden. Es sei nur noch eine Frage, es von A nach B zu bewegen.

Wenn das zuträfe, bräuchten sich die Malier keine Sorgen zu machen. Da jedoch mehr als jedes dritte Kind chronisch unterernährt ist, klingt die Behauptung, daß das Land eigentlich genügend Getreide habe, nicht plausibel. Eine chronische Unterernährung tritt nicht von heute auf morgen auf, sie ist Folge einer langfristigen Entwicklung und damit einer ebenso langfristigen Politik. Hier versucht der EU-Funktionär offensichtlich zu beschwichtigen und davon abzulenken, daß unter dem Stichwort Entwicklungshilfe niemals die Not vollständig, sondern immer nur in Aspekten behoben werden soll.

Nach Angaben des malischen Komissars für Ernährungssicherheit, Lansry Nana Yaya Haidara, verfügt seine Regierung über 35.000 Tonnen Getreide, und auch das Welternährungsprogramm (WFP) habe weitere Getreidelager angelegt, berichtet er. [2] Es stimmt, daß Mali verglichen beispielsweise mit Niger, Tschad oder Mauretanien über mehr Möglichkeiten verfügt, seine Bevölkerung zu ernähren - aber nur, weil die Versorgungslage in den Nachbarländer nochmals um einiges schlechter ist! Dadurch wird der Mangel in Mali nicht im mindesten behoben. Im Gegenteil, die hohe Getreidenachfrage bei den Nachbarn dürfte sogar einen Sog auf die malischen Erzeuger ausüben und die Preise nach oben treiben.

Eine Reihe von Hilfsorganisationen wie Unicef, WFP, FAO, Oxfam und weiteren Nichtregierungsorganisationen engagiert sich in Mali, um die Not zu lindern, aber anscheinend übersteigt der Bedarf die geleistete Hilfe. Jedenfalls kann nicht die Ausrede gelten, daß es an einem funktionsfähigen Frühwarnsystem mangele, durch das der bevorstehende Nahrungsbedarf rechtzeitig hätte erkannt werden können. Deshalb mutet es schon merkwürdig an, daß die Menschen hungern, aber angeblich im ganzen Land Getreidelager bereitstehen und nur noch geleert und verteilt zu werden brauchen.

Auch im Osten Afrikas wird gehungert. Besonders betroffen sind dort Äthiopien, Eritrea, Somalia, Südsudan und Kenia. Nach UN-Angaben sind 3,2 Millionen Somalier, das sind 42 Prozent der Bevölkerung, auf humanitäre Hilfe bis mindestens Juni 2010 angewiesen. [3] Selbstverständlich dominiert in diesem krisengeschüttelten Land der bewaffnete Konflikt zwischen der international unterstützten, aber weitgehend machtlosen Übergangsregierung und zwei islamistischen Gruppierungen alle Aktivitäten im Land, also auch die Landwirtschaft. Aber das ist nicht der einzige Aspekt.

Das Welternährungsprogramm versorgt täglich 80.000 Personen - hauptsächlich Frauen und Kinder - an 16 Stellen in der Hauptstadt Mogadischu mit einer warmen Mahlzeit. 20.000 weitere Personen erhalten eine Lebensmittelunterstützung vom WFP. Das erfordert zweifellos einen großen logistischen Aufwand und birgt für die Mitarbeiter einige Risiken für Leib und Leben. Dennoch muß man diese Zahlen ins Verhältnis zur Not setzen, und da vermag die Versorgung von 100.000 unter 3,2 Millionen bedürftigen Somaliern die Not eben nur zum Teil zu beheben.

In Südsudan brauchen nach UN-Angaben 4,3 Millionen Einwohner dringend Nahrungsmittelhilfe. [4] Möglicherweise steht das Land am Rande einer schweren Hungersnot, wird gewarnt. Hilfsorganisationen berichten aus der Akobo-Region, daß die Kinder verhungern und ältere Menschen so entkräftet sind, daß sie sich nicht mehr von der Stelle bewegen können. Nach Einschätzung von Hilfskräften vor Ort hat der Hunger unter anderem mit den gewaltsamen Auseinandersetzungen rundum Akobo im vergangenen Jahr zu tun. Die Unterernährungsrate sei die höchste in Südsudan seit fünf Jahren. Aber weder der Bürgerkrieg in Somalia noch der Konflikt in Sudan finden ohne Einflußnahme von außen statt. Die Piraterie vor der somalischen Küste und das Aufflammen des Bürgerkriegs waren unmittelbare Folge des Einmarschs der äthiopischen Armee am 26. Dezember 2006. In Sudan wiederum haben die USA auf einen Friedensschluß zwischen Nord- und Südsudan beharrt, durch den andere Landesregionen ausgegrenzt wurden. Daraufhin entbrannte in der westsudanesischen Provinz Darfur ein bewaffneter Aufstand.

Wie diese Zusammenstellung, die nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, zeigt, spielen die örtlichen Bedingungen der jeweiligen Länder durchaus eine Rolle, ob dort Hunger ausbricht oder welche Ausmaße er annimmt. Auch trifft es die Einwohner hart, daß es in den beiden Großregionen Afrikas zu wenig geregnet hat. Die Hungerlage wird aber vor allem durch das staatliche und überstaatliche administrative System, in das die von Nahrungsmangel betroffenen Regionen eingebunden sind, verschärft, und zwar maßgeblich.

Hungerhilfe seitens durchaus engagierter Hilfsorganisationen lindern immer nur einen Teil der Not, weswegen ihnen eine Feigenblattfunktion zukommt. Durch die Hungerhilfe werden nicht nur Menschenleben gerettet, sondern zugleich jene Kräfte gestärkt, deren Privilegien dank der partiellen Hilfe an die Hungerleider unangetastet bleiben. Der Hunger ist nicht erst seit gestern in der Welt, aber betroffen sind stets die gleichen Menschen. Auf dem afrikanischen Kontinent verschärft sich gegenwärtig die Nahrungsnot, ganze Regionen werden nur noch auf eine Weise verwaltet, daß sich die Menschen gegenseitig die Köpfe einschlagen dürfen. Das gilt insbesondere für Somalia und die Demokratische Republik Kongo, aber auch für Länder wie Sudan, Tschad, Zentralafrikanische Republik. Der Ressourcenraub durch die ausländischen Konzerne aus den Industrie- und Schwellenländern bleibt davon unbehelligt, da die Milizen immer nur darum kämpfen, wer die Arbeitssklavenheere kontrollieren darf, die im Rohstoffabbau ihre Gesundheit und ihr Leben verbrauchen. Die Abnehmer der Beute bleiben die gleichen, ob sie in Amerika, Europa, Asien oder Australien angesiedelt sind.


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Anmerkungen:

[1] "West Africa: UN Humanitarian Chief in West Africa to Focus On Food Crisis", UN News Service (New York), 26. April 2010
http://allafrica.com/stories/201004260004.html

[2] "Mali: Oxfam Raises Alert on Funding Shortfall", UN Integrated Regional Information Networks (IRIN), 20. April 2010
http://allafrica.com/stories/201004210894.html

[3] "Africa: Minister urges WFP to Release Food from Mogadishu Stores", UN Integrated Regional Information Networks (IRIN), 19. April 2010
http://allafrica.com/stories/201004200056.html

[4] "Sudan: Urgent Food Assistance Needed As Southern Region Stands On the Brink of Serious Famine", Mediaglobal, 21. April 2010
http://allafrica.com/stories/201004230642.html

28. April 2010