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AFRIKA/2009: Piratenprozeß in Hamburg - die Reichweite des eigenen Rechts ausloten (SB)


Deutschland betreibt Weltinnenpolitik

Staatsanwaltschaft Hamburg klagt mutmaßliche Piraten aus Somalia an


Am Beispiel Somalia versuchen die Führungsnationen der internationalen Gemeinschaft ein neues Weltordnungsmodell festzuzurren. Das läuft auf eine fundamentale Verlagerung der Verfügungsgewalt von den einflußlosen Staaten zu den durchsetzungsfähigsten Hegemonialmächten hinaus. Der UN-Sicherheitsrat hat bereits mehrere Resolutionen zur Piratenbekämpfung in Somalia verabschiedet und die nationale Souveränität des Landes aufgehoben. Demnach darf jeder Staat der Erde bei der Jagd nach mutmaßlichen somalischen Piraten in die Hoheitsgewässer des ostafrikanischen Landes eindringen, gegebenenfalls Personen bis an Land verfolgen und stellen.

Wie üblich, wenn die Vorherrschaft ausgebaut werden soll, wird dies am Beispiel gesellschaftlich randständigen Personen, Organisationen oder marginalisierter Staaten vollzogen. Das Resultat wird dann verallgemeinert und wird anschließend auch auf die Bevölkerung im Herkunftsland des Hegemons angewendet. So müssen sich ab dem heutigen Montag zehn mutmaßliche Piraten aus Somalia vor dem Landgericht Hamburg der Anklage wegen erpresserischem Menschenraub und gemeinschaftlich verübtem Angriff auf den Seeverkehr stellen.

Der Vorwurf lautet, daß die zehn Personen am 5. April 2010 das unter deutscher Flagge fahrende Container-Frachtschiff "MV Taipan" 530 Seemeilen vor der somalischen Küste beschossen, gekapert und vier Stunden in ihre Gewalt gebracht haben. Die dreizehn Seeleute an Bord hatten sich rechtzeitig in einem Schutzraum in Sicherheit gebracht, einen Notruf abgegeben und alle wichtigen Schiffsfunktionen außer Betrieb gesetzt. Später wurde die "Taipan" durch niederländische Soldaten, die im Rahmen der EU-Mission Atalanta zur Piratenbekämpfung in das Seegebiet am Horn von Afrika entsandt worden waren, befreit. Die mutmaßlichen Piraten wurden zunächst in die Niederlande gebracht und im Juni nach Deutschland überstellt, nachdem die Staatsanwaltschaft Hamburg die Bedingung der Niederlande erfüllt und den Anklagepunkt des versuchten Mordes fallengelassen hatte.

Es gibt wohl kaum einen deutlicheren Beweis dafür, daß Recht ein Werkzeug in der Hand des Stärkeren ist, als das Gerichtsverfahren in einem der reichsten Länder der Erde gegen eine Gruppe von Menschen aus einem der ärmsten Regionen der Welt. Selbst wenn die Angeklagten die ihnen zur Last gelegten schweren Straftaten begangen hätten, sind sie in erster und in zweiter Linie Opfer von Verhältnissen, auf die sie faktisch keinen Einfluß haben, die aber ihr Leben und das ihrer Angehörigen bestimmen.

In erster Linie, weil die Zerrüttung der somalischen Staatlichkeit nicht zuletzt als eine Folge wiederholter Interventionen eintrat. Zunächst kolonialzeitlich unterworfen und zwangseingeteilt, kam in Somalia mit Siad Barre ein Diktator an die Macht, der anfangs von der Sowjetunion und dann den USA militärisch und wirtschaftlich unterstützt wurde. Barre hatte seine Herrschaft dadurch abzusichern versucht, indem er vor allem Mitglieder seines Clans an einflußreiche und vorteilhafte Positionen brachte. 1991 wurde der Diktator aus dem Land vertrieben, seitdem herrscht in Somalia Bürgerkrieg.

Schon ein, zwei Jahre darauf schickten die Vereinten Nationen im Rahmen der Mission "Restore Hope" Hungerhilfe nach Somalia. Das Kontingent der USA agierte jedoch weitgehend unabhängig von der UN-Mission, trat sehr martialisch auf und legte mehr wert darauf, einen unliebsamen Warlord zu fangen, als die Nahrungssituation der Somalier zu verbessern. Die Stimmung verschlechterte sich zusehends. Den vorläufigen Tiefpunkt bildete der Angriff eines US-Kampfhubschraubers auf ein Treffen somalischer Clansführer und anderer einflußreicher Persönlichkeiten, die sich zur Beratung zusammengefunden hatten, um nach Wegen zur Verbesserung des Verhältnisses zu den UN-Truppen zu suchen. Die Konferenz wurde zusammengeschossen, rund 50 der Versammelten starben, etliche wurden verletzt.

Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Somalische Warlords eroberten einen US-Kampfhubschrauber, eine aufgebrachte Menschenmenge schleifte triumphierend die Leichen der Besatzung durch die staubigen Straßen Mogadischus. Bilder von diesem Vorfall gingen um die Welt - was zuvor gelaufen war, darüber schwieg die hiesige Presse.

In den Jahren 2005, 2006 versuchte der US-Geheimdienst CIA das Erstarken der Union der Islamischen Gerichte in Somalia zu verhindern und hat eine Bande in der Bevölkerung gefürchteter Warlords finanziell unterstützt, damit sie die "Islamisten" vertreiben. Der Schuß ging nach hinten los. Die Unionskämpfer jagten die Warlords davon und hatten im Juni 2006 weite Teile Somalias, einschließlich der Hauptstadt Mogadischu, erobert. Unter dem islamischen Recht der Scharia kehrte dort relative Ruhe ein. Die Wegelagerei wurde beendet, das Piratentum weitgehend zurückgedrängt. Am 26. Dezember 2008 drang das äthiopische Militär in Somalia ein, beendete die Phase relativer Ruhe und brachte gewaltsam eine im Exil gebildete Übergangsregierung an die Macht.

Dadurch wurde der Staatenbildungsprozeß nicht gefördert, sondern verhindert. Sicherlich, einen streng islamisch regierten Staat wollten die USA und ihre Verbündeten nicht haben, aber auf welches Recht wenn nicht das des Stärkeren gründete sich die Unterstützung zunächst der Warlords und nach deren Versagen Äthiopiens?

Vor diesem politischen Hintergrund erscheinen die zehn in Hamburg angeklagten Somalier als Opfer. Als Opfer müssen sie aber auch deshalb bezeichnet werden, weil sie vermutlich bloße Handlanger sind und es nicht nötig gehabt hätten, sich auf ungewissen Raubzügen in Lebensgefahr zu begeben, wenn sie es wären, welche die erpreßten Summen am Ende einkassieren.

Ob und inwieweit das Landgericht Hamburg solche Argumente gelten läßt, ist fraglich. Die Anklage erweckt den Eindruck, als wolle die Staatsanwaltschaft in einem an Maßstäben der Menschlichkeit gemessen zweifelhaften Verfahren ein Exempel statuieren. Das wird im übergreifenden ordnungspolitischen Rahmen gebraucht, um neben dem militärisch-exekutiven auch einen juristischen Handlungsarm der westlich dominierten Weltinnenpolitik zu etablieren.

Während die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee umfunktioniert wird, die mit dem Auftrag loszieht, die Handelswege der deutschen Exportwirtschaft zu sichern, werden Störfaktoren auf diesen Handelswegen von einer weiteren Staatsgewalt aus dem Verkehr gezogen. Bis zu 15 Jahre Haft blüht den Angeklagten, von denen mehrere angaben, zum Tatzeitpunkt minderjährig gewesen zu sein.

22. November 2010