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AFRIKA/2037: Westerwelle verfolgt deutsche Hegemonialinteressen in Südsudan (SB)


Im Zeichen des "Nation building"

Die Sudanreise von Bundesaußenminister Guido Westerwelle


In Afrika wird ein neuer Staat ins Leben gerufen, und Deutschland befindet sich an einer zentralen Stelle der Abwicklung. Am 9. Juli wird die Sezession Südsudans offiziell vollzogen, im selben Monat führt Deutschland den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat. Außenminister Guido Westerwelle hat am Donnerstag und Freitag seine in der Vorwoche wegen eines Vulkanausbruchs in Eritrea abgesagte Reise in den Sudan nachgeholt. [1] Unter anderem traf er sich mit seinem Amtskollegen Ali Ahmad Karti in der Hauptstadt Khartum, mit dem zukünftigen Präsidenten Südsudans, Salva Kiir Mayardit, und Vizepräsident Ali Osman Taha in der südsudanesischen Hauptstadt Juba und hat als erster westlicher Außenminister die krisengeschüttelte westsudanesische Provinz Darfur besucht. Dort traf er sich mit einem kleinen Kontingent Bundeswehrsoldaten, die dort an der AU/UN-Beobachtermission (UNAMID) teilnehmen.

Wie von ihm zu erwarten sprach sich Westerwelle für einen friedlichen Übergang bei der Staatenbildung aus und sagte Deutschlands Unterstützung beim Aufbau Südsudans zu. Ebenfalls zu erwarten war, daß der deutsche Außenminister viele Dinge nicht sagte, denn es würfe ein gänzlich anderes Bild auf ein Land, das bereits vor der Zeit der Eroberung durch das British Empire die Begehrlichkeiten fremder Interessen geweckt hatte, ebenso wie die Bewohner dieser Region laufend der Verfolgung und Versklavung "hauseigener" Machthaber ausgesetzt waren. Nun strebt die Bundesrepublik sowohl als national auftretender Akteur als auch als Partizipient der hegemonial orientierten westlichen Wertegemeinschaft danach, den Einfluß auf Sudan zu vertiefen und Vorteilen aufgrund der Sezession zu erringen.

Zwar sollte es nicht als gering erachtet werden, daß sich Anfang des Jahres bei einem Referendum 99 Prozent der Wahlberechtigten für die Abspaltung Südsudans, das bereits sechs Jahre lang einen weitreichenden Autonomiestatus besaß, ausgesprochen hatten; das reflektiert unverkennbar starke innersudanesische Spannungen. Doch auf geopolitischer Ebene ist etwas ganz anderes geschehen, das seine eigene Relevanz besitzt: Hier wurde (und wird weiterhin!) der flächengrößte Staat Afrikas geschwächt und zerschlagen, in der jüngeren Geschichte am ehesten vergleichbar mit Jugoslawien.

Für die globalhegemonialen Interessen des Westens stellte ein friedlicher, prosperierender Sudan, der eine gemäßigte sunnitisch-muslimische Regierung besitzt, welche die üppig sprudelnden Einnahmen aus der Erdölförderung in die Entwicklung des riesigen Landes stecken könnte und seine Geschäfte vorzugsweise mit China, Indien und Malaysia betriebe, eine nicht hinnehmbare Gefahr dar. Ein solcher "Traumstaat", befreit vom schwer lastenden kolonialen Erbe ebenso wie von postkolonialen Interventionsversuchen, hätte als Brücke zwischen Schwarzafrika und der arabischen Welt Vorbild für viele Staaten in der Region sein können.

Es ist unstrittig, daß es den idealen Staat nicht gibt - ganz abgesehen davon, daß der Begriff Staat bereits weitreichende Formen der Verfügungsgewalt impliziert, die der Vorstellung eines emanzipierten Menschen, der ein herrschaftsfreies Leben führt, widersprechen. Aber ebenso unstrittig ist, daß es ihn auch niemals geben dürfte, denn er stellte alle anderen Staaten, die sich gebildet haben, um der Herrschaft des Menschen über den Menschen einen dauerhaften Ordnungsrahmen zu verschaffen, in Frage.

Mit seiner Reise nach Südsudan versucht Westerwelle Deutschlands Einfluß auf den jüngsten Staat Afrikas zu vergrößern, mit seinem Besuch Darfurs wiederum unterstützt der Außenminister die Balkanisierung des gesamten Landes. Zwar scheint der Save-Darfur-Kampagne [2] ein wenig die Luft auszugehen, denn ihre Verbalangriffe und Diffamierungsversuche der Zentralregierung kommen deutlich seltener als noch vor einigen Jahren. Allerdings könnte dieser Eindruck auch täuschen, denn immerhin hat der Westen erreicht - abgesehen von der Abspaltung des erdölreichen Südens -, daß der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag Anklage gegen Präsident Omar Al Bashir erhoben hat. Es ist das erste Mal, daß das Gericht ein amtierendes Staatsoberhaupt ins Visier nimmt. Das hat die Spannungen und Verwerfungslinien in Sudan nicht unerheblich verstärkt und seine Beziehungen zu anderen afrikanischen Staaten, die das Statut von Rom zur Anerkennung des IStGH ratifiziert haben und ihrerseits von westlichen Interessen unter Druck gesetzt wurden, belastet.

Während also Deutschland in zwei Wochen im UN-Sicherheitsrat die Abspaltung Südsudans "abfeiern" darf, wird die Balkanisierung des Landes weiter vorangetrieben. Ähnlich wie anfangs in Darfur brechen auch in anderen Regionen Sudans Kämpfe aus, gegenwärtig besonders im Süden der Provinz Kordofan im Gebiet der Nuba, eine der letzten Nordsudan verbleibenden Erdölregionen. Voraussichtlich 80 Prozent der Erdölfördermenge von zur Zeit 470.000 Barrel pro Tag fallen an den Süden, wodurch laut dem sudanesischen Finanzminister Ali Mahmoud seiner Regierung ein Drittel der Staatseinnahmen verloren gehen. Das zu kompensieren wäre für jede Regierung eine schwere Belastung. Auch deshalb ist mit einer weiteren Verschärfung der innersudanesischen Konflikte zu rechnen. Unruhig bleibt nach wie vor die erdölreiche Region um die Stadt Abyei, die vor kurzem zum zweiten Mal von nordsudanesischen Truppen überrollt und verwüstet wurde und in der einem UN-Vorschlag zufolge als friedenserhaltende Maßnahme 4200 äthiopische Blauhelmsoldaten stationiert werden sollen. [3]

Es wäre sicherlich übertrieben, Deutschland eine führende Rolle bei der Zerrüttung Sudans zum Zwecke der leichteren Verfügbarmachung seiner Einzelteile zuzusprechen. Es wäre jedoch untertrieben, seine Bedeutung in dieser Funktion als Juniorpartner der USA und führende Wirtschaftsnation innerhalb der Europäischen Union geringzuschätzen. Wohl zu keiner Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Bundesrepublik Deutschland seine expansiven Ambitionen so deutlich ausgesprochen und umzusetzen begonnen wie unter der Merkel-Westerwelle-Administration. Die Bundeswehr wird mit Nachdruck zur Interventionsarmee umgebaut und das Entwicklungshilfeministerium unter dem Hauptmann der Reserve Dirk Niebel nach neoliberaler Effizienzdoktrin gestrafft und den Interessen von Wirtschaft und Militär unterworfen. Mit Südsudan versucht die Bundesregierung von Beginn des "nation building" an ihre hegemonialen Interessen durchzusetzen.

Anmerkungen:

[1] "Westerwelle verspricht Südsudan deutsche Hilfe", Deutsche Welle, 24. Juni 2011
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,15185180,00.html

[2] Die Save-Darfur-Kampagne haben wir als Stellvertreterin einer von westlichen Interessen dominierten, im erheblichen Umfang aus der Zivilgesellschaft stammenden, aber auch von Politikern aller Couleur vorgetragenen Bewegung genannt. Diese unterstellt Sudans Regierung genozidale Absichten in Darfur und verbreitet sehr hohe, durchaus umstrittene Zahlen von mutmaßlichen Opfern und Vertriebenen.

[3] "U.S. draft requests 4,200 Ethiopia troops for Abyei", Reuters, 23. Juni 2011
http://www.sudaneseonline.com/english/news/3591-u-s-draft-requests-4-200-ethiopia-troops-for-abyei.html

24. Juni 2011