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AFRIKA/2053: Geringes Medienecho auf Ölverseuchung an der Küste Nigerias (SB)


Rohölteppich beim Bonga-Feld angeblich beseitigt

Shell widerspricht der Behauptung, die aktuelle Ölverseuchung an Nigerias Küste verursacht zu haben


Vor der neuseeländischen Küste ist der auf ein Riff aufgelaufene Frachter "Rena" auseinandergebrochen. Es wird befürchtet, daß, abgesehen von den losgerissenen Containern, die den Schiffsverkehr gefährden, auch Schweröl ins Meer fließt und die Küste verseucht. Etwa eine Million Liter Öl wurden im vergangenen Jahr aus dem Wrack abgepumpt, rund 360.000 Liter sind jedoch ausgetreten. In dem havarierten Schiff befindet sich noch etwa die gleiche Menge, die nun ebenfalls ins Meer gelangen könnte.

Über diesen Vorfall und die neu entfachten Gefahren für die neuseeländische Umwelt berichten die internationalen Medien ausführlich. Wohingegen ein anderer Ölunfall allenfalls in den Randspalten einiger Gazetten Erwähnung findet, obgleich die Ölverseuchung deutlich größer ist als die in Neuseeland. Am 20. Dezember flossen von einer Verladeplattform FPSO (floating production, storage and offloading) im Bonga-Fördergebiet, rund 120 Kilometer vor der Küste Nigerias gelegen, beim Beladen eines Tankschiffs schätzungsweise 40.000 Barrel (6.359.492 Liter) Rohöl ins Meer. Der Ölteppich nahm zeitweise eine Fläche von 900 Quadratkilometern ein. Dem noch nicht genug, meldete das mit der Beseitigung des Öls betraute Team der örtlichen Shell-Dependence SNEPCo (Shell Nigeria Exploration and Production Company) am 26. Dezember, daß zwar das ausgetretene Schweröl "größtenteils" beseitigt sei, aber daß eine andere Ölverseuchung ihre Bemühungen erschwert habe. Die sei vermutlich von einem Tankschiff, das zur gleichen Zeit in dem betroffenen Seegebiet aufgekreuzt sei, ausgelöst worden. Jenes Öl habe nun einige kleine Küstenstreifen erreicht und werde ebenfalls beseitigt.

Das Bonga-Ölfeld wird hauptsächlich von Shell (55%) betrieben. Desweiteren sind daran Esso (20%), Nigeria Agip (12.5%) and Elf Petroleum Nigeria Limited (12.5%) beteiligt. Das vor Weihnachten aus einem geborstenen Rohr geflossene Bonga-Öl wurde angeblich erfolgreich eingedämmt und mit Hilfe von Dispersionsmitteln "aufgelöst", was nichts anderes bedeutet, als daß daß das Öl chemisch zerkleinert und zum Absinken gebracht wurde. Verschwunden ist das Öl somit nur aus der oberflächlichen Sicht - es wurde sozusagen unter den Teppich gekehrt. Der Produktionsstopp am Bonga-Feld, aus dem täglich 200.000 Barrel Erdöl gefördert werden, wurde vor einigen Tagen wieder aufgehoben.

Ob das Unternehmen das Ausmaß der Bonga-Ölverseuchung kleinreden will, indem es mit dem Finger auf eine angeblich andere Ölverschmutzung "einer dritten Partei" verweist, oder ob tatsächlich die große Menge des Bonga-Öls innerhalb von fünf Tagen aufgelöst wurde, ist zur Zeit unklar. Keineswegs unklar ist hingegen, daß die Küste Nigerias mit Öl kontaminiert wurde. Einwohner berichteten Anfang des Monats, daß die schwarze, klebrige Masse immer mehr Küstenabschnitte erreiche. Zum Jahreswechsel waren davon bereits dreizehn Dörfer betroffen, Tendenz zunehmend. [1] Woher das Öl stammt, wird von der nigerianischen Meeresschutzbehörde NIMASA (Nigerian Maritime Administration and Safety Agency) labortechnisch untersucht.

Ein Komitee des nigerianischen Senats, das sich die Ölverseuchung und die Bekämpfungsmaßnahmen am Bonga-Feld angesehen hat, gab sich "beeindruckt" von der Geschwindigkeit und Entschlossenheit, mit der Shell vorgegangen sei. [2] Wohingegen der Leiter der mit der Beseitigung von Ölverseuchung betrauten staatlichen Behörde NOSDRA (Nigerian Oil Spills Detection and Response Agency), Sir Peter Idabor, andeutete, daß die ausgeflossene Ölmenge womöglich dreimal so groß ist, wie von Shell angegeben, und daß es sich um die schwerste Ölkatastrophe seit zehn Jahren handeln könnte. [1]

Das will schon etwas heißen in einer Region, in dem die Ölverseuchung an der Tagesordnung ist, wobei der aktuelle Fall als der erste größere Ölunfall im 2005 eröffneten Bonga-Feld gilt. Weil aber die Menschen in Nigeria jahrzehntelang leidvoll erfahren mußten, daß Politiker und Unternehmen die Schwere der regelmäßig auftretenden Ölkontaminationen nicht weniger regelmäßig herunterspielen, will die im Nigerdelta ansässige Nichtregierungsorganisation NDIMRC (Niger Delta Indigenous Movement for Radical Change) sowohl örtliche als auch internationale Umweltschützer, Menschenrechtsaktivisten und Medienvertreter mobilisieren, damit sie das Ausmaß der Katastrophe erfassen und die Bekämpfungsmaßnahmen beobachten. [3] Schon vor knapp zwei Wochen hatten Küstenbewohner berichtet, daß das Öl - von welcher Quelle auch immer - vom Meer her ins Nigerdelta eingedrungen sei und sowohl die Fischgründe als auch ihre landwirtschaftliche Flächen verseucht habe. [4]

Die Lebenserwartung der Menschen in diesem größten Ölfördergebiet der Subsaharastaaten liegt aufgrund der Schadstoffbelastung von Luft, Wasser, Boden und Nahrung fast zehn Jahre unter dem Landesdurchschnitt von 50,9 Jahren. Zu den typischen Schadstoffen zählen Benzol und andere karzinogene Kohlenwasserstoffe. Selten wird in den hiesigen Medien über die Lage der Bewohner im Nigerdelta berichtet. Wenn, dann meist nur im Zusammenhang mit bewaffneten Aufständen örtlicher Milizengruppen, die sich gegen die rigorose Ausbeutung der Ölreserven, ohne daß die Bewohner angemessen an den Exporteinnahmen beteiligt würden, zur Wehr setzen.

Die doch sehr voneinander abweichende Gewichtung in der Medienberichterstattung über die Rena-Havarie in Neuseeland und die Bonga-Ölverseuchung in Nigeria deckt sich mit einer grundsätzlichen Mißachtung der Mensch und Umwelt schädigenden Produktionsvoraussetzungen zum Wohle des Lebensstils in den reichen Ländern. Während andernorts schwerste Umweltschäden zu verzeichnen sind, sei es in China aufgrund des Neodym-Abbaus für Starkmagneten in Windrädern, in Sibirien wegen der Erdgasförderung oder eben in Nigeria als einer der größten Erdölexporteure Afrikas, unterliegen die Westeuropäer oftmals dem Eindruck, sie hätten schon Fortschritte in Sachen Umweltschutz erzielt und könnten Vorbild sein für die übrige Welt. Die externalisierten Umweltverschmutzungen wie die Ölverseuchung im Nigerdelta sind jedoch Grundlage des westlichen Lebensstils und trüben dieses geschönte Bild. In Anknüpfung an die vielfach kolportierte Behauptung des früheren Bundesverteidigungsministers Peter Struck, daß Deutschland auch am Hindukusch verteidigt werde, ist somit konsequenterweise festzustellen: Die Ölverseuchung im Nigerdelta findet auch in Deutschland statt.



Anmerkungen:

[1] "Shell Oil Spill Hits Nigerian Shores, Fishing Suspended", Environment News Service (ENS), 2. Januar 2012
http://www.ens-newswire.com/ens/jan2012/2012-01-02-02.html

[2] "Nigeria: Bonga Oil Spill - Senate Committee Okay With Clean up", Vanguard, 1. Januar 2012
http://allafrica.com/stories/201201032132.html

[3] "Nigeria: Bonga Oil Spill - NDIMRC Mobilises International Monitors", This Day, 3. Januar 2012
http://allafrica.com/stories/201201031219.html

[4] "Bonga oil spill: We are set for rough deal with Shell, says Communities", The Moment (London), 28. Dezember 2011
http://www.momentng.com/en/news/5679/bonga-oil-spill-we-are-set-for-ro.html

9. Januar 2012