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AFRIKA/2079: Mali - Brandherd der Geopolitik (SB)


Afrikas "Afghanistan"

Zufall? Beim Krieg Frankreichs gegen Islamisten im Norden Malis droht das Freiheitsanliegen der Tuareg unterzugehen



Die Intervention Frankreichs in den malischen Bürgerkrieg zugunsten einer Übergangsregierung, die erst wenige Monate zuvor in Folge eines Militärputsches an die Macht gekommen war, wirft Fragen auf. Warum greift Frankreich ausgerechnet in Mali militärisch ein und beispielsweise nicht etwas weiter östlich in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR)? Es ist erst wenige Wochen her, da hatte ZAR-Präsident François Bozizé die Regierungen in Washington und in Paris eindringlich um militärische Hilfe gegen die Rebellenallianz Séléka gebeten, deren Kämpfer von Norden her auf die Hauptstadt Bangui vorrückten. [1]

Obgleich Frankreich und die ZAR ein Verteidigungsabkommen geschlossen haben, hat der französische Präsident François Hollande nur deshalb zusätzliche Soldaten in die ZAR entsandt, weil er die eigene Botschaft und die französischen Staatsbürger schützen wollte. Gleiches gilt für die USA. Inzwischen hat sich die Regierung der ZAR mit den Rebellen geeinigt. Warum also nicht eine ähnliche Regelung in Mali?

Weil die Verhältnisse dort deutlich vielschichtiger sind. Hier wird auf mehreren Ebenen Politik betrieben. Ein monokausaler Erklärungsversuch wie der, daß Frankreich am 11. Januar seine Streitkräfte zwecks Rohstoffsicherung in das knapp 16 Millionen Einwohner zählende Mali entsandt hat, greift zu kurz. Umgekehrt bedeutet das nicht, daß die Sicherung von Rohstoffen kein Motiv war, das zu dieser Entscheidung beigetragen hat. Ebenfalls spricht einiges für die Mutmaßung, daß Hollandes Militäraktion innenpolitische Gründe besitzt, kann er sich damit doch als starker Mann positionieren, der entschlossen handelt, wenn es nötig ist. Dafür wird er von allen Seiten gelobt. Aber ausgerechnet aus dem eigenen Land werden auch kritische Stimmen laut, die ihn daran erinnern, daß er doch eigentlich angetreten sei, französische Militäraktionen generell ein wenig zurückzufahren. Sollten innenpolitische Vorteilserwägungen Hollandes für seinen bellizistischen Kurs in Mali eine Rolle gespielt haben, wäre das deshalb wohl eher als kalkulierter Mitnahmeeffekt zu werten, nicht als Hauptgrund für den Kriegskurs.

Ebenfalls nicht völlig zu vernachlässigen ist der Aspekt, daß Frankreich innerhalb der Europäischen Union ein Gegengewicht zur stetig wachsenden deutschen Dominanz bilden will und, da es wirtschaftlich abgehängt wird, zumindest militärisch voranschreiten will. Die in den letzten Tagen häufig aus deutschem Politikermund vernommene, fast wie eine Beschwörungsformel vorgebrachte Erklärung, daß sich Deutschland jetzt nicht zurückhalten dürfe - die Entsendung von Transall-Transportmaschinen sei doch allenfalls ein Anfang - besagt durch die Blume, man möchte nicht, daß Deutschland militärisch zurücksteht, so daß es seine Vormachtstellung innerhalb der EU festigen kann.

Als ein weiteres Motiv für den französischen Kriegskurs wird in der Presse der Schutz der Uranminen in Malis Nachbarstaat Niger gehandelt. Würde in Nordmali ein islamischer Gottesstaat errichtet, könnte das Beispiel entsprechende Separationsinteressen anregen, was den Urannachschub für Frankreichs 58 Atomkraftwerke gefährdete. Damit wären dessen strategische Interessen durch die Ereignisse in Mali unmittelbar berührt. Frankreichs Uran stammt zu etwa 30 Prozent aus Niger.

Wenn im folgenden hauptsächlich auf die These eingegangen werden soll, daß Frankreich hegemoniale Ansprüche in Mali geltend machen will, dann sollen damit die oben genannten anderen Motive zur französischen Militärintervention nicht vollkommen verworfen werden. Noch weniger sollen jedoch die teils offenen, teils klandestinen Machenschaften der USA als treibender Faktor der Umgestaltung der Sahelregion in Abrede gestellt werden. Unklar ist, inwieweit sich das mit französischen Interessen deckt. Frankreich steht in Afrika in Konkurrenz zu den USA, arbeitet aber zugleich mit der NATO-Führungsmacht zusammen. So einig sich "der Westen" gegen den Rest der Welt auch präsentiert - wie die Kriege gegen Libyen, Syrien und zuvor Irak und Afghanistan sowie Jugoslawien gezeigt haben -, zwischen den USA und der EU herrscht nicht nur eitel Sonnenschein. Beide verfolgen eigene hegemoniale Interessen, die stellenweise unvereinbar sind.

Seit Jahren wird der französische Einfluß in Afrika von angloamerikanischen Kräften zurückgedrängt. Offenbar um nicht auch noch Mali zu verlieren, hat Hollande die militärische Karte gezogen. In dem afrikanischen Binnenstaat hatte am 22. März 2012 - gut einen Monat vor den bereits anberaumten Präsidentschaftswahlen - das Militär unter Führung des unter anderem in den USA ausgebildeten Captain Amadou Haya Sanogo Malis Präsident Amadou Toumani Touré gestürzt. Durch die allgemein unsichere Lage im Land gelang es dann den Islamisten im Norden, die Kontrolle zu erlangen.

Ein weiterer Aspekt, der in den Medien oftmals vernachlässigt wird, betrifft den Konflikt zwischen Tuareg und den Zentralregierungen in den Ländern Mali, Niger und Algerien. Der reicht geschichtlich schon lange zurück. Das Nomadenvolk der Tuareg befand sich von jeher im Hader mit den kolonialzeitlichen wie auch den postkolonialen Grenzziehungen, wurde es damit doch genötigt, seine Lebensweise immer weiter aufzugeben und sich gesellschaftlich zu integrieren.

Nach dem Angriff der NATO-Streitkräfte auf Libyen im Jahr 2011 und der Machtübernahme durch ostlibysche Kriegsherren und aus dem Ausland eingeschleuste Söldner mußten viele Tuareg fliehen, da sie auf Seiten des libyschen Machthabers Gaddafi gekämpft hatten. Sie zogen mitsamt einem recht ansehnlichen Arsenal an Waffen nach Nordmali, wo sie sich mit den dort ansässigen einheimischen Tuareg verbündeten. Die waren schon länger unzufrieden wegen der ungenügenden Umsetzung eines Friedensabkommens, das sie 2009 mit der malischen Regierung geschlossen hatten. Somit wurde der schwelende Konflikt in Folge des Libyenkriegs aufgeheizt und brach offen aus. Die Tuareg, seit Oktober 2011 verbunden zur MNLA (Mouvement National de Libération de l'Azawad - Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad), brachten ihren Traum vom eigenen Reich, in dem sie nicht diskriminiert werden, ins Spiel und riefen am 6. April 2012 den Staat Azawad aus.

Die malische Regierungsarmee hatte den Tuareg nichts entgegenzusetzen und zog sich aus dem Norden des Landes zurück. Dem Befreiungskampf der MNLA schlossen sich mehrere islamistische Gruppierungen an, die schon bald ihrerseits die Tuareg vertrieben: AQIM (Al-Qaida im Islamischen Maghreb), welche Timbuktu unter ihre Kontrolle brachten; Mujao (Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika), eine Abspaltung von AQIM, die in der Stadt Gao die Kontrolle übernahm; und Ansar ad-Dine (Helfer des Islam), islamistische Tuareg, von denen viele aus Algerien stammen und die in der Stadt Kidal das Sagen hatten.

Eine mögliche Erklärung für Frankreichs Militäraktion fehlt in unserer obigen Beschreibung noch, nämlich die offizielle. Die besagt, man wolle in Nordmali den Terrorismus bekämpfen, es dürfe an der Schwelle zu Europa keinen Terrorstaat geben. Dieser Aspekt trifft nur insofern zu, als daß der Islamismus ein Kind des westlichen Imperialismus in Verbindung mit örtlichen Regimen ist.

Es läßt sich eine historische Linie von Al Qaida im Islamischen Maghreb zu den Mudschaheddin ziehen, die in den achtziger Jahren in Afghanistan gegen die sowjetischen Besatzer und ihre örtlichen Statthalter kämpften. Die Gotteskrieger, angeführt von Osama bin Laden, waren damals vom US-Geheimdienst CIA mit mehreren Milliarden Dollar finanziert worden. Nach dem Abzug der Sowjets brach zwischen den Mudschaheddin-Fraktionen in Afghanistan ein Bürgerkrieg aus. Einige Kämpfer gingen ins Ausland, unter anderem ließen sie sich in Algerien nieder.

Dort waren 1991 die ersten freien Parlamentswahlen des Landes ausgerufen worden, und es zeichnete sich ab, daß die FIS (Front islamique du Salut - Islamische Heilsfront) die absolute Mehrheit erringen würde. Die FIS war ein Bündnis verschiedener Strömungen - im heutigen Sprachgebrauch würde man sie "islamistisch" nennen -, dem sich auch die aus dem Afghanistankrieg zurückgekehrten Mudschaheddin-Kämpfer anschlossen. Sie kamen insbesondere bei der "Islamischen Polizei" der FIS unter. Um den Sieg der Islamisten zu verhindern, hatte jedoch das algerische Militär die Macht ergriffen und die Wahlen abgebrochen. Die Nationale Volksversammlung wurde aufgelöst, Staatspräsident Chadli Bendjedid entlassen. Es folgten Jahre des Bürgerkriegs mit über 200.000 Toten.

Die FIS schlug einen politische Kurs ein, Abspaltungen wie GIA (Groupes Islamiques Armées (GIA) und AIS (Armée Islamique du Salut - Islamische Heilsarmee) hingegen hatten sich bewaffnet und bekämpften die algerische Regierung. Von 1999 bis 2005 ließ der algerische Präsident Abdelaziz Bouteflika ein Amnestieprogramm durchführen, um die Gegner zu entwaffnen und das Land zu befrieden. Wieder kam es zur Spaltung der Islamisten in jene, die das Amnestieangebot annahmen, und jene, die den bewaffneten Kampf fortsetzten. Letztere nannten sich Groupe Salafiste pour le Prédication et le combat (GSPC). Diese Salafisten bilden heute offenbar den Kern der Organisation Al Qaida im Islamischen Maghreb.

Der fundamentalistische Islam wäre somit auch ein Produkt des westlichen Interventionismus, der nun vor dem Problem steht, daß er die Bewegung, die er selbst geschaffen hat, nicht unter Kontrolle bekommt. Nur insofern ist die offizielle Begründung, warum Frankreich mit allseitiger Unterstützung Bomben auf Mali wirft und seine Bodentruppen in den Norden des Landes vorrücken läßt, plausibel. Aber der hauptsächliche oder gar einzige Grund ist das nicht.

Dagegen sprechen auch Hinweise, daß einige Islamisten nach wie vor im Sold westlicher Geheimdienste stehen. Vergleichbar mit der rechtsextremen NSU in Deutschland, die womöglich mit Wissen von Undercover-Agenten eine Serie von tödlichen Anschlägen auf Ausländer in Deutschland verübt hat, wird von der FIS, der GIA, der GSPC und auch der AQIM, gegen die jetzt französische Soldaten kämpfen, gesagt, daß sie vom algerischen Geheimdienst DRS (Département du Renseignement et de la Sécurité) unterwandert sind oder sogar gesteuert werden. [2]

Al Qaida in Mali im Vormarsch auf die Hauptstadt Bamako? Da drängt sich die Frage auf, ob gegenwärtig in Mali nach einem ähnlichen Schema Weltordnungspolitik betrieben wird wie im sogenannten Globalen Krieg gegen Terror (GWOT - Global War On Terror), den US-Präsident George W. Bush nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ausgerufen hatte und dem sich große Teile der Weltgemeinschaft angeschlossen haben. Denn seitdem wird überall dort, wo Al Qaida die Bühne betritt, seitens westlicher Regierungen laut über eine militärische Intervention nachgedacht oder schon interveniert, mal im großen Stil wie in Afghanistan, mal in kleinerem, wenngleich nicht minder tödlichem wie bei den Drohnenangriffen in Jemen.

Solche Attacken werden auch von Africom geleitet, dem Regionalkommando der US-Streitkräfte für Afrika. Die USA haben die Welt in sechs militärische Zuständigkeitsbereiche aufgeteilt. Bis 2008 zählte der afrikanische Kontinent größtenteils zu Eucom, der Europäischen Kommandostelle. Mit der Einrichtung von Africom, das für alle afrikanischen Staaten mit Ausnahme Ägyptens zuständig ist, hat das Pentagon dem Umstand, daß der afrikanische Kontinent als Rohstofflieferant und potentieller Absatzraum für Waren aus den Industriestaaten dient, Rechnung getragen.

Der gewaltsame Sturz des libyschen Machthabers Gaddafi ist der erste größere Krieg, der von Africom geleitet wurde. Inwieweit das US-Militär aktuell in Mali seine Hände im Spiel hat, ist unklar. Eigentlich haben sich die USA und die europäischen Staaten innerhalb des Militärbündnisses NATO darauf geeinigt, daß die Europäer Afrika, das "vor ihrer Haustür liegt", unter ihre Obhut nehmen. Zudem haben die Amerikaner begonnen, ihren militärischen Schwerpunkt vom atlantischen zum pazifischen Raum zu verlegen. Beides läuft natürlich nicht auf einen Rückzug aus Afrika hinaus.

Africom soll die Außenpolitik der US-Regierung unterstützen. Das bedeutet aber, daß das Militär gegebenenfalls auch wirtschaftlichen und hegemonialen Interessen zur Durchsetzung verhilft. Obwohl das von mehreren Politikern und Militärangehörigen längst ausgesprochen worden war, hatte sich am 22. Oktober 2012 der leitende Presseoffizier Africoms, Colonel Tom Davis von den Kelley Barracks in Stuttgart, gegen einige Behauptungen seitens der kanadischen Website Global Research gewandt. [3] Dabei nahm Davis ausdrücklichen Bezug auf die beiden Artikel "America's Secret War in Africa" [4] und den darin zitierten Artikel "Covert Ops In Nigeria" [5], die beide vielfach im Internet kolportiert werden.

In den beiden Artikeln wird sich unter anderem auf eine Aussage von Vizeadmiral Robert T. Moeller vom 18. Februar 2008 bei einem Africom-Treffen in Fort McNair berufen. Moeller hatte erklärt, daß die USA mit der Bildung von Africom nicht zuletzt die wachsende wirtschaftliche Präsenz Chinas in Afrika zurückdrängen wollen.

Auch wird im Internet häufig Bezug auf eine Aussage von Dr. J. Peter Pham vom Washingtoner Think Tank Atlantic Council, der Berater des US-Außen- und des US-Verteidigungsministeriums ist, verwiesen. Pham hatte vor sechs Jahren vor dem US-Kongreß die Aufgabe für Africom dahingehend erklärt, daß es den "Zugang zu Kohlenwasserstoffen und weiteren strategischen Ressourcen" Afrikas sichern und andere interessierte Parteien "wie China, Indien, Japan und Rußland" daran hindern solle, Monopolstellungen oder bevorzugte Positionen aufzubauen. Inzwischen beziehen die USA 20 - 25 Prozent ihrer Erdölimporte aus Westafrika, das zu einer strategisch wichtigen Region wurde. Würde der Ölfluß versiegen, sähen die USA das als Bedrohung ihrer nationalen Sicherheitsinteressen an. Das wäre also aus Sicht Washingtons ein legitimer Anlaß zur militärischen Intervention.

Die Reaktion Colonel Davis' auf die GlobalResearch-Berichte muß auch deshalb wundern, weil bereits im März 2007 Wolf Kinzel und Sascha Lange von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in ihrem Artikel "Afrika im Fadenkreuz der USA? Warum die USA ein Afrikakommando einrichten" zur Gründung von Africom erklärt hatten:

"Diese Maßnahme unterstreicht, dass der Kontinent für den amerikanischen Kampf gegen den internationalen Terrorismus an Bedeutung gewonnen hat. Doch primär soll der Zugang zu den Rohstoffen und insbesondere zu den Erdöl- und Erdgasressourcen afrikanischer Staaten abgesichert werden. Mit zunehmendem Einfluss Chinas und Indiens auf dem afrikanischen Kontinent und angesichts des verstärkten Engagements der EU geht es den USA aber auch darum, die eigene Afrikapolitik effektiver zu gestalten und das Gewicht der anderen Akteure aufzuwiegen." [6]

Etwas später:

"Verstärkte Anstrengungen im Rahmen der Terrorbekämpfung sind wohl nicht der Hauptgrund für die Einrichtung des AFRICOM. Vielmehr scheinen die Sorgen um die künftige Energieversorgungssicherheit und die Einschätzungen der Rolle Afrikas in diesem Kontext das wesentliche Motiv zu sein." [6]

Womöglich haben die Autoren von Global Research (und vor ihnen die der SWP) bei ihrer Analyse einen wunden Punkt Africoms berührt, so daß sich Pressesprecher Davis zu einer Richtigstellung aufgefordert fühlte. Vielleicht liegt der Grund für eine gewisse Dünnhäutigkeit des US-Militärs in dieser Frage darin, daß das Regionalkommando noch immer nach einem geeigneten afrikanischen Land sucht, in dem es sein Hauptquartier einrichten kann. Niemand will Africom auf seinem Territorium. Lediglich der westafrikanische Staat Liberia hatte sich als Standort angeboten, was aber seitens der US-Regierung bislang auf keine Gegenliebe stieß. Africom wird derzeit von Stuttgart aus geleitet, wobei Teilfunktionen für Militäroperationen auch von Camp Lemonier in Dschibuti am Roten Meer und anderen Einrichtungen der militärischen Infrastruktur der USA übernommen werden.

Al Qaida in Nordmali - das ist ein Auftritt mit Ansage. Seit 2002 warnt die US-Regierung davor, daß sich etwas in der Sahara zusammenbraut, daß dort Islamisten versuchen könnten, Fuß zu fassen, und man dem Treiben rechtzeitig Einhalt gebieten müsse. Das Pentagon intensivierte seine Zusammenarbeit mit den örtlichen Militärapparaten, führte Manöver wie beispielsweise "Operation Flintlock" und "Endeavour" in Verbindung mit einheimischen Soldaten durch und bildete diese im Rahmen des Joint Combined Exchange Training (JCET) militärisch weiter aus. In der am 7. November 2002 ins Leben gerufenen Pan-Sahel Initiative (PSI) wurde explizit sogenannte Terrorismusbekämpfung in der Sahelzone "geübt". Der Kreis der an PSI beteiligten Staaten wurde 2005 erweitert und Trans-Saharan Counterterrorism Initiative (TSCTI) genannt. Auch der malische Putschistenführer Sanogo soll an einem Programm der TSCTI teilgenommen haben. Die Aufgaben und Funktionen dieser Initiative wurden schließlich Africom übertragen.

All das hat insofern auch mit China zu tun, als daß dessen Einfluß in Mali durch die Militäraktion der Franzosen schwinden könnte. Das war beispielsweise in Libyen der Fall. Mehr als 35.000 Arbeiter hat China im Vorfeld der Luftangriffe der NATO-Staaten vom März 2011 auf das Gaddafi-Libyen aus dem Land abgezogen. Ein Jahr darauf erklärte der chinesische Handelsminister Chen Deming, daß sich die Investitionsverluste Chinas in Libyen auf über 10 Milliarden US-Dollar erstreckten. [7] Darin eingerechnet sind noch nicht einmal die Verluste aus dem Abbruch von Handelsbeziehungen.

Da muß es nicht wundern, daß im Vorfeld der Angriffe Frankreichs auf mutmaßliche Stellungen malischer Aufständischer alle Verlautbarungen chinesischer Offizieller auf den Appell hinausliefen, der Konflikt möge mit friedlichen Mitteln gelöst werden. Im März, nach dem Putsch, forderte Chinas Außenamtssprecher Hong Lei alle Beteiligten zum Dialog und zu Verhandlungen auf. Und mit unmißverständlichem Seitenhieb gegen Frankreich und andere westliche Staaten, die er nicht mal eigens erwähnen mußte, sondern schlicht weglassen konnte, sagte Hong: "China begrüßt und unterstützt die Bemühungen der Afrikanischen Union, der ECOWAS und Länder der Region, in der Mali-Angelegenheit zu vermitteln." [8]

Als die Aufrufe nicht fruchteten, wurde im darauffolgenden Monat allen Chinesen in Mali geraten, das Land zu verlassen; chinesische Unternehmen sollten Sicherheitsmaßnahmen ergreifen. Der chinesischen Regierung kommt die Eskalation des Konflikts durch Frankreichs Intervention äußerst ungelegen, droht damit doch unmittelbar ein materieller Verlust sowie ein langfristiger Verlust an Einfluß.

China unterhält traditionell gute Beziehungen zu Mali. Die Zusammenarbeit ist intensiv, wie anhand einiger Eckdaten aufgezeigt werden kann. Das Land war seit seiner Unabhängigkeit 1960 immer wieder Anlaufpunkt für hochrangige Regierungsvertreter, so bereits 1964 durch den chinesischen Premierminister Zhou Enlai und 2009 durch Chinas Präsident Hu Jintao. Umgekehrt besuchten auch Malis Präsidenten häufiger das Reich der Mitte. Beispielsweise war der gestürzte malische Präsident Amadou Toumani Touré viermal nach China gereist (2004, 2006, 2008 und 2010).

2007 schlossen beide Staaten zahlreiche Handels- und Kooperationsabkommen. Mit 26,7 Prozent von 1,6 Mrd. Dollar Handelsvolumen ist China Malis größter Handelspartner, wenn man die EU-Staaten einzeln rechnet. Die chinesische Direktinvestitionen in Mali beliefen sich im Jahr 2010 auf 47,77 Mio. Dollar. Im selben Jahr gab China der malischen Regierung Kredite in Höhe von 210 Mio. US-Dollar für die Verbesserung der Infrastruktur, den Bau von Schulen und Krankenhäusern, etc. [9]

Daß die EU-Staaten und die USA in China einen Konkurrenten sehen, ist kein Geheimnis. Es bietet den afrikanischen Staaten eine Alternative. Die mußten ihre Politik bislang von den westlichen Regierungen oder von Finanzinstituten wie IWF und Weltbank, die ihrerseits vom Westen dominiert werden, vorschreiben lassen. Geradezu berüchtigt sind die sogenannten Strukturanpassungsprogramme, mit denen eine Aufhebung der Zollschranken und eine Liberalisierung der Wirtschaft sowie eine sozial- und umweltfeindliche Austeritätspolitik durchgesetzt werden sollte.

China bietet den afrikanischen Ländern hingegen Kredite ohne solche Einmischungen. Das schmeckt den Amerikanern und Europäern nicht. In Sambia, ihrer ersten Station auf einer fünftägigen Afrikareise im Juni 2011, hatte US-Außenministerin Hillary Clinton mit Blick auf China vor einem "neuen Kolonialismus" gewarnt. Das kenne man doch aus der Kolonialzeit. Es sei einfach, "reinzugehen, die natürlichen Ressourcen herauszuholen, die Führer auszuzahlen und zu verschwinden". Im Gegensatz dazu würden die Vereinigten Staaten "in die Menschen" von Sambia investieren, "nicht einfach nur in die Eliten", und man investiere "auf lange Sicht". [10]

Hillary Clinton wäre vielleicht gut beraten, sich einmal das US-Programm zur vermeintlichen Unterstützung Afrikas, das African Growth and Opportunity Act (AGOA), etwas genauer anzuschauen. Vorgeblich sollen damit ausgesuchten afrikanischen Staaten Handelserleichterungen eingeräumt werden, so daß sie Waren günstig in die USA exportieren können. Der mit Abstand größte Anteil am Handelsvolumen, das nach AGOA-Maßgaben abgewickelt wird, betrifft allerdings die Ausfuhr von Erdöl in die USA. Dementsprechend fällt Ölexportländern wie Nigeria das größte Stück des Kuchens zu. Eine Förderung "der Menschen" sieht anders aus. In Nigeria hält eine kleine reiche Oberschicht die Fäden in der Hand, während im Land krasse Armut herrscht.

Selbstverständlich handelt auch China nicht uneigennützig, wenn es in die Infrastruktur Afrikas investiert. Es mußte seine gewaltigen Währungsreserven in möglichst sichere Werte anlegen, wozu beispielsweise auch Land für den Anbau von Pflanzen für Nahrung und Biosprit gehört. Da kommt es zu Vertreibungen. Dennoch hat es den Anschein, als erfülle China viel mehr den von Clinton vorgebrachten Anspruch als die USA selbst. Zu den unzähligen chinesischen Bauprojekten, die möglicherweise auch dann noch in einem afrikanischen Land stehen werden, wenn China von dort abgezogen ist, gehört der Sitz der Afrikanischen Union (AU), dem Pendant zur Europäischen Union, in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Kosten: 200 Millionen Dollar.

In den letzten vier Jahren haben afrikanische Länder mehr Geld von China geliehen als von der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds, den USA und seinen westlichen Verbündeten. [11] Daß China in Afrika mit der Europäischen Union konkurriert, wird ebenfalls durch die bislang vergeblichen und Jahr für Jahr hinausgezögerten Bemühungen der EU, das Lomé- bzw. Cotonou-Handelsabkommen durch Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA - Economic Partnership Agreement) mit einzelnen Staatengruppen abzuschließen, deutlich. Mit China als Alternative lassen sich die afrikanischen Staaten nicht mehr so leicht unter Druck setzen und beharren auf ihren Bedingungen. All dies läßt es plausibel erscheinen, daß die Bombardierung Nordmalis wie auch die sonstigen Machenschaften westlicher Staaten in Mali und darüber hinaus gegen China gerichtet sind.

Hinter solchen geopolitischen Ränkespielen wird jedoch eine andere, grundlegende Auseinandersetzung verschleiert: der Kampf der Tuareg um Selbstbestimmung. Die jüngere Geschichte dieses rund drei Millionen Mitglieder zählenden Volks, das sich hauptsächlich auf die Länder Mali, Mauretanien, Niger, Algerien und Burkina Faso verteilt, ist von Diskriminierung und Verfolgung bestimmt. Immer wieder haben sich die Tuareg erhoben. Nun hat sich die MNLA angeboten, mit der malischen Regierung gegen die Islamisten zu kämpfen. Das Angebot muß man schon als Akt der Verzweiflung und Versuch, wieder an Einfluß zu gewinnen, ansehen.

Wenn heute über "die" Tuareg geschrieben wird, dann ist das insofern irreführend, als daß sie so wenig mit einer Stimme sprechen wie andere Völker, die gesellschaftlich noch nicht vollständig assimiliert sind und einen Befreiungskampf führen. Ursprünglich war das Volk stark hierarchisch gegliedert. Die Tuareg sind ein Berbervolk, die meisten haben den islamischen Glauben angenommen, einige wohnen in Städten, anderen leben als Nomaden. Selbst innerhalb der malischen Streitkräfte und innerhalb der Regierung gibt es Tuareg. Doch ungeachtet aller möglichen Interessenunterschiede und jenseits aller Romantisierung des Wüstenvolks steht der Name Tuareg für die Idee, ein Leben außerhalb jeglicher nationalstaatlichen Verfügungsgewalt sei möglich und vor allem, es sei erstrebenswert. Das droht mehr denn je in Vergessenheit zu geraten, wenn nun Frankreich Bomben auf mutmaßliche Islamisten regnen läßt. Mit der militärischen Gewalt würde demnach nicht nur eine wirtschaftlich-politische Ausrichtung Malis weg von China erzwungen, sondern auch ein bestimmtes, dem Freiheitsstreben entgegengerichtetes Gesellschaftsmodell durchgesetzt.


Fußnoten:

[1] http://allafrica.com/stories/201212271413.html?viewall=1

[2] http://newint.org/features/2012/12/01/us-terrorism-sahara/?goback=.gde_3987253_member_206471122

[3] http://www.africom.mil/Newsroom/ForTheRecord/10015/letter-to-the-editor-global-research-response

[4] http://www.globalresearch.ca/americas-secret-war-in-africa/5307958

[5] http://www.globalresearch.ca/covert-ops-in-nigeria-fertile-ground-for-us-sponsored-balkanization/30259

[6] http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2007A17_kzl_lgs_ks.pdf

[7] http://german.china.org.cn/china/archive/lianghui2012/2012-03/07/content_24831896.htm

[8] http://english.peopledaily.com.cn/90883/7772785.html

[9] http://www.ccs.org.za/wp-content/uploads/2012/04/Malian-Crisis-and-its-impacts-on-the-Chinese-presence-Daouda_5April2012.pdf

[10] http://www.reuters.com/article/2011/06/11/us-clinton-africa-idUSTRE75A0RI20110611

[11] http://www.phantomreport.com/africom-and-the-recolonisation-of-africa

22. Januar 2013