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AFRIKA/2082: Siegerjustiz gegen Ex-Präsident Gbagbo (SB)


Ex-Präsident der Elfenbeinküste muß sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten



Entgegen der verbreiteten Ansicht unter politischen Beobachtern hat die jüngste Phase des Kolonialismus in Afrika nicht erst mit der militärischen Intervention Frankreichs, Großbritanniens, der USA und ihrer Verbündeten im Jahr 2011 in Libyen eingesetzt, sondern schon im Juni 2003 mit der "Inbetriebnahme" des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag.

Seitdem dreht sich das Räderwerk der Weltgerichtsbarkeit. Bislang wurde dort gegen 18 Personen Anklage erhoben; am 19. Februar mußte sich mit Laurent Gbagbo erstmals ein ehemaliges Staatsoberhaupt vor dieser Institution verantworten. Ausnahmslos alle Anklagen richten sich gegen Bürgerinnen und Bürger aus Afrika. Sämtliche Bemühungen von Rechtsexperten, auch den früheren US-Präsidenten George W. Bush, seinen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und den ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair wegen ihrer Verantwortung für Kriegsverbrechen auf die Anklagebank zu bringen, wurden vom IStGH abgeschmettert.

Am Beispiel der Anklageerhebung gegen den früheren ivorischen Präsidenten Gbagbo (und in einem davon getrennten Verfahren gegen seine Frau Simone) zeigt sich unverhohlen, daß Militär und Justiz die beiden Arme ein und desselben Machtanspruchs sind, die je nach den Umständen eingesetzt werden. Um "Neo"-Kolonialismus, wie der Vorgang mitunter genannt wird, handelt es sich nur insofern, als der nie zu Ende gegangene Kolonialismus inzwischen in eine neue Phase eingetreten ist. Wurden die afrikanischen Staaten nach der Unabhängigkeitsbewegung in den 1960er Jahren durch die damalige Ost-West-Blockkonfrontation mit ihren aufreibenden Stellvertreterkriegen sowie eine wirtschaftliche Exportorientierung in Schach gehalten, so daß sie weiter schwer an ihrem kolonialen Joch trugen, sorgten ab den 1980er Jahren verheerende Strukturanpassungsprogramme für die fortgesetzte Unterwerfung der afrikanischen Länder unter das Diktat von IWF, Weltbank und den "Geberländern".

Letzteres ist ein lupenreiner Euphemismus, haben doch die Geberländer dank des Zinssystems ein Vielfaches dessen zurückbekommen, was sie den afrikanischen Ländern ursprünglich als Kredite "angeschmeichelt" hatten. Viele Gelder waren entweder für jene Stellvertreterkriege (zum Wohle der Kreditgeber) verwendet worden oder an Potentaten geflossen, die sich als begünstigte Sachwalter westlicher Verwertungsinteressen in Afrika etablierten. Kurzum, die Gelder kamen nicht der Entwicklung der Afrikaner zugute, sondern dienten ihrem fortgesetzten Ausbluten.

Die neue Phase des Kolonialismus ist aus Sicht der europäischen Mächte und der USA erforderlich, weil die afrikanischen Staaten mit China eine schlagkräftige Handelsalternative besitzen. Die chinesische Regierung hat ihr Engagement auf dem afrikanischen Kontinent seit Beginn des neuen Jahrhunderts gewaltig ausgebaut und ist für den Westen längst zu einer ernsthaften Konkurrenz herangewachsen. Also wird inzwischen wieder etwas weniger umwegig als über die Vergabe von Krediten und das Oktroyieren von Verelendungsprogrammen an den Fäden gezogen und der eigene Einfluß gesichert.

Beispielsweise in Libyen, wo militärisch interveniert wurde, und in Mali, wo der militärische Konflikt noch anhält. So waren es französische Soldaten, die im Jahr 2010 einen mehrmonatigen Machtkampf zwischen dem auf mehr nationale Eigenständigkeit setzenden Gbagbo und seinem willfährigeren Widersacher, dem früheren IWF-Manager Alassane Ouattara, zugunsten des letzteren militärisch beendeten.

Nicht militärisch, sondern juristisch geht die sogenannte "internationale Gemeinschaft" unter anderem gegen den amtierenden Präsidenten Sudans, die Anführer bestimmter Bürgerkriegsfraktionen in der Demokratischen Republik Kongo, ugandische Warlords, kenianische Politiker und eben den 67-jährigen Laurent Gbagbo vor. Die Ankläger werfen ihm Verbrechen gegen die Menschlichkeit, respektive Mord, Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt, Verfolgung und weitere Handlungen der Unmenschlichkeit vor. [1]

Gbagbo hatte sich zwar nie gegen Frankreich gestellt, aber er hat nicht immer reibungslos funktioniert und bei seinen Anhängern schon einmal mit antikolonialen Tönen zu punkten versucht. Wohingegen Ouattara sich seine Meriten damit verdient hatte, daß er als IWF-Funktionär an der Durchsetzung der Strukturanpassungsprogramme für die afrikanischen Länder mitwirkte und dadurch deren postkoloniale Dauerabhängigkeit von der westlich dominierten Verwertungsordnung sicherstellte. Mit jenen Programmen griffen IWF und Weltbank sowie die westlichen "Geberstaaten" tief in die Haushaltspolitik der afrikanischen Länder ein. Zu den regelmäßigen Forderungen zählten unter anderem die Abwertung der einheimischen Währung, Aufhebung von Zollschranken, Privatisierung, das Streichen von Subventionen (beispielsweise mit der Folge der Abschaffung des kostenlosen Schulbesuchs und der Verteuerung von Grundnahrungsmitteln und Energieträgern) und ähnliche sozialfeindliche, armutsfördernde und wirtschaftsfreundliche Maßnahmen.

Bisher hat das Weltgericht nur Gbagbo angeklagt, nicht jedoch Ouattara, obgleich nach dem Römischen Statut der IStGH dann Anklage erheben sollte, wenn Menschenrechtsverletzungen in einem Land nicht von der heimischen Justiz verfolgt werden. Das ist in der Elfenbeinküste der Fall. Bislang bleiben Ouattara und seine Republikanischen Streitkräfte (FRCI) von einer Strafverfolgung verschont, obgleich sie sich bei ihrem Vormarsch durchs Land an der Zivilbevölkerung der Stadt Duékoué, deren Einwohner vom Volk der Gbagbo-freundlichen Guéré sind, aufs schwerste vergingen. Sie vergewaltigten, brandschatzten, rekrutierten gewaltsam Kindersoldaten und brachten nach Angaben des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes 800 Einwohner um. Vom IStGH vernimmt man nur beredtes Schweigen. Es ist nicht das einzige Beispiel, an dem die Siegerjustiz des IStGH deutlich wird.

Die antikolonialen Töne des "Sozialisten" Gbagbo zu Wahlkampfzeiten waren nie glaubwürdig gewesen. Auch er hat während seiner Amtszeit das neoliberale Wirtschaftsmodell propagiert, aber anscheinend haben einige Mißtöne genügt, daß sich Frankreich und der Rest der "internationalen Gemeinschaft" trotz eines umstrittenen Ergebnisses der Wahlen vorbehaltlos auf die Seite Ouattaras schlugen. Gbagbo ist das erste ehemalige Staatsoberhaupt, das zu einer Anhörung vor dem Internationalen Strafgerichtshof erschienen ist. (Charles Taylor, der ehemalige Präsident Liberias, war nicht vor dem IStGH erschienen, sondern vor einem - gleichfalls in Den Haag ansässigen - UN-Sondertribunal für Sierra Leone) Auch gegen Sudans Präsident Omar al-Bashir war auf Antrag des bis Juni 2012 amtierenden Chefanklägers des IStGH, Luis Moreno Ocampo, ein Internationaler Haftbefehl ausgestellt worden, was dessen Reisefreiheit und Möglichkeiten, internationale Geldgeschäfte zu tätigen, einschränkt.

Die Verteidigung Gbagbos beruft sich unter anderem auf Artikel 1 des Römischen Statuts, der besagt, daß das Weltgericht die nationale Gerichtsbarkeit "ergänzen" soll. [2] Das Verfahren müsse abgebrochen werden, da das Weltstrafgericht gar nicht zuständig sei. Gerichte in der Elfenbeinküste müßten sich mit den Gewalttaten befassen, fordern die Verteidiger.

Nachdem das IStGH mit der Annahme des Falls bereits eine Grundsatzentscheidung getroffen hat, wird das Richtergremium unter Vorsitz der Argentinierin Silvia Fernández de Gurmendi in den nächsten Tagen entscheiden, ob die Vorwürfe gegen Gbagbo für eine Anklage ausreichen.

Der viermonatige Bürgerkrieg in der Elfenbeinküste hätte möglicherweise auch anders als unter Einsatz militärischer Mittel entschieden werden können. Nach Auszählen der Stimmen am 28. November 2010 war Ouattara zum Wahlsieger erklärt worden. Gbagbo hatte seine Wahlniederlage nicht anerkannt und wollte den Präsidentenstuhl nicht räumen. Er verlangte eine Neuauszählung von drei Stimmbezirken in den Hochburgen Ouattaras, wo dessen Anhänger keine internationalen Wahlbeobachter zugelassen hatten. Dort konnte Ouattara bis zu 90 Prozent der Stimmen gewinnen. Das Gbagbo-Lager vermutete, daß hier gemauschelt wurde, denn die erste offizielle Angabe zur Wahlbeteiligung hatte noch bei 70 Prozent gelegen. Später war bekanntgegeben worden, daß die "tatsächliche" Wahlbeteiligung 81 Prozent betrug. Wie kommt es zu jenem elfprozentigen Unterschied, fragte die Gbagbo-Seite und erhielt darauf keine Antwort.

Während die Wahlkommission, in der Ouattara-Anhänger in der Mehrheit waren, den Herausforderer zum Sieger erklärte, hatte der ivorische Verfassungsrat, der von Gbagbo-Anhängern dominiert wurde, die Ergebnisse aus jenen drei Wahlkreisen wegen angeblicher Fälschungen annulliert und den Amtsinhaber mit 51 Prozent zum Sieger erklärt. Auch ihm waren Wahlmanipulationen nachgesagt worden. Die Seiten verhärteten sich immer mehr, die militärische Eskalation war jedoch nicht die einzig gangbare Alternative.

Gbagbo, der sich gelegentlich auf seine Zeit als Freund der südafrikanischen Antiapartheidorganisation ANC (African National Congress) sowie der angolanischen Befreiungsbewegung MPLA (Movimento Popular de Libertação de Angola; deutsch: Volksbewegung zur Befreiung Angolas) berief, und Ouattara, der einst von einem gewissen Nicolas Sarkozy, seinerzeit Bürgermeister des reichen Pariser Vororts Neuilly-sur-Seine, mit einer Französin vermählt wurde, haben ihren Eliten-Konflikt auf dem Rücken der ivorischen Bevölkerung ausgetragen. Mehr als 3000 Einwohner sind bei dem viermonatigen Bürgerkrieg ums Leben gekommen, Hunderttausende wurden vertrieben.

Auf dem afrikanischen Kontinent werden nach wie vor Stellvertreterkriege für Interessen ausgetragen, die in den weit vom Ort des menschenvernichtenden Geschehens entfernten Metropolen ihren Ausgangspunkt haben. Es wäre zwar gerecht, wenn auch Soldaten Ouattaras angeklagt würden, aber es würde nach wie vor das Recht des Stärkeren gesprochen. Die kolonialzeitliche Unterwerfung Afrikas hat nie geendet, sie bedient sich lediglich anderer, der modernen Zeit angepaßter Mittel. Dazu zählt auch der Internationale Strafgerichtshof.


Fußnoten:

[1] http://www.icc-cpi.int/en_menus/icc/situations%20and%20cases/situations/icc0211/related%20cases/icc02110111/Pages/icc02110111.aspx

[2] http://treaties.un.org/doc/source/RecentTexts/rome-en.htm

25. Februar 2013