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AFRIKA/2083: Süd-Sudan - schwere Nahrungsnot trotz guter Ernte (SB)


Hunger, bewaffnete Konflikte, Korruption

Fast zwei Jahre nach der Staatsgründung Süd-Sudans sind viele Einwohner verzweifelt



In Südsudan, dem jüngsten Staat der Erde, wird gehungert. Fast 40 Prozent der Bevölkerung haben in diesem Jahr nicht genügend zu essen, wird in einem aktuellen UN-Report zur Ernährungslage in dem afrikanischen Binnenstaat berichtet. [1] Jedoch sei die Nahrungsproduktion von 2011 bis 2012 aufgrund guter Niederschläge, verbesserter Anbaumethoden und einer Ausdehnung der bewirtschafteten Fläche um über 35 Prozent gestiegen, heißt es.

Die Ernährungslage für 4,1 Millionen Einwohner bleibt "unsicher", für mehr als eine Million von ihnen besteht sogar "schwere" Ernährungsunsicherheit, teilten das Welternährungsprogramm (WFP - World Food Programme) und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO - Food and Agriculture Organization) der Vereinten Nationen in einer gemeinsamen Presseerklärung mit. [2]

Die darin ebenfalls erwähnte Steigerungsrate der Agrarproduktion von 35 Prozent erscheint in einem nicht ganz so positiven Licht, wenn man bedenkt, daß die Ernte im Vergleichsjahr 2011/12 ausgesprochen niedrig ausgefallen war. Vergleicht man die aktuelle Nahrungsmenge mit dem Durchschnittswert der letzten fünf Jahre, so kommt man nur auf 6 Prozent Steigerung. Aus welchem Interesse heraus das WFP in seiner Presseerklärung auf diesen Umstand nicht aufmerksam gemacht hat, sondern darüber erst sein 72-seitiger Report [1] Aufschluß gibt, bleibt der Spekulation überlassen.

Eine Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge um 6 Prozent ist selbstverständlich zu begrüßen. Allerdings muß man sich fragen, welchen Anteil daran wiederum die im vergangenen Jahr als besonders vorteilhaft geschilderten Niederschläge besaßen. Der Regen unterliegt nicht dem menschlichen Einfluß. Der Anteil der Regierung am Zustandekommen des leicht verbesserten Ernteergebnisses verringert sich um so mehr, je wichtiger natürliche Faktoren werden.

Warum ist das erwähnenswert? Erstens weil die Bevölkerung, die 2011 in einem Referendum beinahe einstimmig für die Abtrennung des Südens von Sudan votiert hatte, die Hoffnung besaß, daß ihre Regierung die von Bürgerkrieg, staatlicher Vernachlässigung und Naturkatastrophen betroffene Lage schneller verbessern würde, als dies tatsächlich geschieht.

Zweitens wurde die Abspaltung Südsudans von den USA und anderen westlichen Ländern massiv vorangetrieben, nicht zuletzt indem in Aussicht gestellt wurde, daß sich die Lebensverhältnisse der Menschen verbessern würden, weil man sie unterstützt. Diese Erwartung wurde nicht erfüllt, da die internationale Unterstützung entweder ausbleibt oder auf spezifische Nützlichkeitsinteressen des Westens ausgerichtet ist, was sich nicht unbedingt mit dem Interesse der Bevölkerung deckt.

Drittens hatte in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts ein Run auf südsudanesisches Land eingesetzt. Im großen Stil pachteten international tätige Unternehmen potentielle und bewirtschaftete Agrarflächen, um darauf Pflanzen für die Nahrungs- und die Agrospritproduktion anzubauen. Was ist daraus geworden? Warum geht es den Südsudanesen nicht sehr viel besser als früher, jetzt, da sie vom angeblichen Joch der Zentralregierung in Khartum befreit sind und sich Investoren für das Land interessieren?

Hier soll nicht in Abrede gestellt werden, daß es seine Zeit braucht, um einen Staat mit neuen Verwaltungsstrukturen aufzubauen. Allerdings kam die Separation nicht plötzlich. Ihr waren sechs Jahre vorausgegangen, in denen Südsudan weitgehende Autonomierechte zuerkannt wurden. Auf der anderen Seite muß berücksichtigt werden, daß in Südsudan bewaffnete Konflikte ausgebrochen sind oder dorthin verlagert wurden, was sich immer negativ auf die landwirtschaftlichen Erträge auswirkt.

Die südsudanesische Regierung muß sich allerdings fragen lassen, wo eigentlich ihre Prioritäten liegen, war sie doch beispielsweise an dem Konflikt mit Sudan Ende März 2012 über die territorialen Rechte einer umstrittenen Grenzregion federführend beteiligt. Mehr als 100.000 Menschen mußten damals aufgrund der kriegerischen Handlungen fliehen. Selbst wenn die Regierung Südsudans Landerschließungsprojekte angestoßen haben sollte, hat sie an solchen Stellen dafür gesorgt, daß die landwirtschaftlichen Erträge insgesamt vermindert wurden.

Bis zur nächsten Ernte im Herbst dieses Jahres werden laut dem FAO/WFP-Report 371.000 Tonnen Getreide benötigt, um die 10,4 Mio. Einwohner Südsudans, die pro Jahr etwa 1,1 Mio. Tonnen Getreide benötigen, zu ernähren. (Pro Kopf und Jahr rechnen die UN-Organisationen mit einem Verbrauch von 109 kg Getreide.) 224.000 Tonnen Getreide wollen die beiden Einrichtungen organisieren, um die gefährdetsten Gruppen - ländliche Bevölkerung, Binnenflüchtlinge, Flüchtlinge aus den sudanesischen Provinzen South Kordofan und Blue Nile, Flüchtlingsrückkehrer sowie Kinder - zu versorgen. Rein rechnerisch fehlen dem Land dann noch immer 147.000 Tonnen Getreide.

Acht Prozent der Landfläche Südsudans sei an ausländische Firmen oder andere Staaten verkauft oder verpachtet worden, berichtete das Oakland Institute bereits im Jahr 2011. [3] Unklar ist, auf welcher Fläche heute produziert wird und welche Flächen zwar verpachtet wurden, aber nach wie vor brach liegen. Unklar ist ebenfalls, ob das Auswirkungen auf den Nahrungsmangel in Südsudan hat. Nicht jede Investition zur Steigerung der südsudanesischen Agrarerträge ist gleichbedeutend mit "land grabbing" oder Landnahme bzw. -raub. Wenn aber in einem Land beinahe jeder zweite Einwohner nicht genügend zu essen hat, spricht dies eine eigene Sprache. Dann kann es mit der versprochenen landwirtschaftlichen Erschließung durch ausländische Investoren nicht weit her sein.

Es hat den Anschein, als wollte die Regierung dem weiteren Land Grabbing rechtlich Einhalt gebieten. Am 22. Februar stellte der Vorsitzende der South Sudan Land Commission, Robert Lado, bei einem Treffen des Ministerrats unter Vorsitz von Vizepräsident Riek Machar das neue Landrecht vor. [4] In dem neuen Gesetz sollen auch die Konditionen, unter denen in Südsudan zukünftig Land gepachtet oder erworben werden kann, präziser gefaßt worden sein.

Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, daß ab nun die Agrarproduktion gesteigert oder die Bevölkerung ausreichend mit Nahrung versorgt wird. So werden in Äthiopien, das im Osten an Südsudan grenzt, Menschen vertrieben, damit ausländische Konzerne Land roden und bewirtschaften können. Die dort produzierten Erzeugnisse werden außer Landes gebracht, wohingegen Millionen Einwohner Äthiopiens nicht genügend zu essen haben.

Für eine abschließende Bewertung der Politik der südsudanesischen Regierung nicht einmal zwei Jahre nach der Staatsgründung ist es sicherlich zu früh. Eine erste Einschätzung aufgrund der Bereitschaft, Konflikte mit Gewaltmitteln zu lösen und Land für Exportprodukte (cash crops) zu vergeben, lautet, daß sich Südsudan nicht nennenswert von anderen Ländern der Region unterscheidet. Bei ihnen genießt die Versorgung der Bevölkerung ebenfalls nicht höchste Priorität, obgleich doch den Menschen, die ursprünglich in Familien, Sippen oder Stämmen lebten, versprochen wurde, daß ihnen die gemeinschaftliche Form der Gesellschaft ein höheres Maß an Sicherheit bietet.


Fußnoten:

[1] http://documents.wfp.org/stellent/groups/public/documents/ena/wfp255584.pdf

[2] http://www.wfp.org/news/news-release/harvest-increases-food-insecurity-remains-high-south-sudan

[3] http://www.oaklandinstitute.org/sites/oaklandinstitute.org/files/OI_country_report_south_sudan_1.pdf

[4] http://farmlandgrab.org/post/view/21689

4. März 2013