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AFRIKA/2095: Vertreibung in Tansania wegen Bau einer Zuckerrohr-Plantage (SB)


Hunderte Dorfbewohner müssen Razaba Ranch verlassen



Es ist ein wenig still geworden um die globale Landnahme, nachdem in der Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008 noch alle Welt über dieses Thema sprach. Unter den Titel Landnahme, Landraub oder englisch Land Grabbing fallen alle möglichen Formen der Übertragung von Land an Investoren, die dort Pflanzen anbauen, aus denen Nahrung, Futter oder Treibstoff gewonnen werden soll. Nur weil über ein Phänomen inzwischen weniger gesprochen wird, bedeutet das nicht, daß es nicht mehr auftritt. Landnahme findet nach wie vor statt, und für die davon Betroffenen brechen oftmals die gewohnten Lebensvoraussetzungen weg.

Beispielsweise für die Menschen auf dem Gebiet der tansanischen Razaba-Ranch. Die liegt im Bagamoyo-Bezirk, rund 70 Kilometer nördlich der Wirtschaftsmetropole Daressalam. Alle Bewohner der Ranch wurden von der Regierung aufgefordert, das Gebiet zu verlassen, weil es an einen Investor verpachtet wurde, der dort Pflanzen für Biosprit anbauen will.

Die Menschen leben teilweise schon seit Jahrzehnten in dem Gebiet. Nun sollen sie weichen. Welches Recht auch immer hier zum Tragen kommt, aus sehr nachvollziehbaren menschlichen Gründen empfinden die Vertriebenen es als Unrecht. Das sei die Prüfung seines Lebens, zitiert Reuters den 56jährigen Bauern Ali Shaaban. Wohin könne er in seinem Alter mit seiner Familie schon gehen, fragt er. Es gebe keinen anderen Ort, den seine Kinder Heimat nennen könnten. [1]

Im Unterschied zu Erfahrungen in anderen Regionen Afrikas, bei dem die Bauern mitunter von einem Tag auf den anderen vertrieben wurden, wußte Ali Shaaban aus dem Rundfunk, was auf ihn und seine Familie zukommt. Aber das macht es für ihn nicht leichter. Von der Vertreibung sind Hunderte von Familien betroffen, und es wären nicht die ersten, deren dörflichen Strukturen als Folge des Land Grabbings auseinandergerissen werden und die womöglich in den informellen Siedlungen am Rande der Städte enden.

Die Regierung hat über das für Landverpachtungen und -verkäufe zuständige Tanzanian Investment Center (TIC) dem schwedischen Unternehmen EcoEnergy im Bagamoyo-Bezirk 5000 Hektar vormals kommunales Land verpachtet. Dort soll eine Plantage und eine Destillerie entstehen, in der Zuckerrohr zu Ethanol verarbeitet wird. Nach Angaben des Unternehmens könnten auf seiner Plantage jährlich 125.000 Tonnen Zucker und 25 Millionen Liter Ethanol hergestellt werden. Außerdem ist geplant, einen Teil des Biotreibstoffs zu verwenden, um 100.000 Megawatt elektrischen Strom zu produzieren.

Laut Reuters bezeichnet EcoEnergy auf seiner Website das Gebiet als "verlassener staatlicher Viehbetrieb". Doch verlassen wurde die Ranch lediglich von ihren ursprünglichen Besitzern, die dort zwischen 1976 und 1994 tätig waren.

Der Druck aufgrund mangelnder Ressourcen und ein anderes Verhältnis zu Eigentum hat hier, wie in anderen Regionen Afrikas, dazu geführt, daß sich zahlreiche Menschen auf dem Gebiet der Ranch ansiedelten. Durch das Beispiel wird einmal mehr bestätigt, daß es auf dem Kontinent entgegen anders lautender Behauptungen kein "ungenutztes Land" gibt. Im Unterschied beispielsweise zur europäischen Eigentumsordnung, in der jeder Quadratmeter einem Eigentümer und Besitzer zugeordnet ist, mußten sich die Bauern in Afrika bislang nicht den Kopf darüber zerbrechen, daß sie keinen Eigentumstitel für das von ihnen genutzte Land besaßen. Oder wenn kommunales Land an den Staat geht, wie in diesem Fall geschehen, daß sie das ungeschriebene Verfügungsrecht verlieren und in dem Gebiet, in dem sie seit Jahrzehnten gelebt haben, plötzlich als Eindringlinge dastehen.

Selbst wenn der Vorgang rechtlich einwandfrei abgewickelt wurde, wie EcoEnergy-Direktor Anders Bergfors laut Reuters behauptet, verdeutlicht das Beispiel, wie variantenreich Land Grabbing vonstatten gehen kann. Der schwedische Unternehmensleiter erklärte, EcoEnergy wolle die Kleinbauern der Region als Partner gewinnen und wünsche sich, daß sie kleine Betriebe von vielleicht 100 Hektar pro Bauer gründen und dort Zuckerrohr anbauen, der ihnen abgekauft würde. Durch das Razaba-Projekt entständen 2000 Arbeitsplätze; weitere 1500 Farmer könnten Vertragspartner werden.

Das Leben als Subsistenzbauer oder Pastoralist (Hirte) auf dem Gebiet der Razaba-Ranch war sicherlich kein Zuckerschlecken. So konnte es zu Ernteeinbußen aufgrund von ungünstigen Witterungsbedingungen kommen. Aber wollen die Bauern überhaupt als Kontraktoren für den schwedischen Investor tätig werden? Es würde ihr Leben fundamental umkrempeln. Sie wären zum Beispiel auf Gedeih und Verderb an das Unternehmen und damit auch an die Entwicklung auf dem Weltmarkt gebunden. Sollte sich der Investor eines Tages aus Tansania zurückziehen oder auch nur einige Jahre lang die Produktion aussetzen, hätten sie das Nachsehen.

So stellt sich die Frage, ob das Leben der Kleinbauern nicht sicherer, sondern umgekehrt sogar unsicherer wird, wenn sie sich dem Unternehmen überantworten. Darüber hinaus bleibt für jeden Bauern, den EcoEnergy unter Vertrag nimmt, eine größere Zahl an Bauern mitsamt ihren Familien außen vor und muß die angestammte Heimat verlassen. Hinsichtlich der Folgen einer gewaltsamen Landnahme verringert sich am Ende der Unterschied zwischen einer plötzlichen Vertreibung und einer mit Ankündigung.


Fußnoten:

[1] http://www.trust.org/item/20130718134927-q50zx

21. Juli 2013