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AFRIKA/2134: Nigeria - Super-Highway durch einzigartiges Regenwaldgebiet (SB)


Schneise der zwölf Spuren


Nach wie vor schlagen die Staaten Afrikas einen Entwicklungspfad ähnlich dem der wohlhabenden Länder des Nordens ein, welche absehbar schädlichen Folgen für die Um- und Mitwelt sowie künftige Generationen dies auch immer nach sich zieht. Beispielsweise Nigeria, mit 180 Mio. Einwohnern bevölkerungsreichster Staat des Kontinents. Aufgrund der Einnahmen aus den reichlich sprudelnden Erdölquellen im Nigerdelta und küstennahen Ölfeldern im Golf von Guinea gilt der westafrikanische Staat als vergleichsweise wohlhabend. Allerdings entfällt der weitaus größte Anteil am gesellschaftlichen und privaten Besitz auf eine kleine Oberschicht. Die kann es nicht vermeiden, daß eine wachsende Mittelschicht am Wohlstand partizipiert, aber die arme Bevölkerung bildet nach wie vor die Mehrheit und hat das Nachsehen. Sie ist von der Entwicklung ausgenommen.

Wie sehr es die nigerianische Regierung zu drängen scheint, den Fußstapfen der Industriestaaten zu folgen, zeigt der geplante Bau eines 260 Kilometer langen, zwölf Spuren breiten "Super-Highways" im südlichen Bundesstaat Cross River. Dessen Bau wird eine Schneise der Verwüstung schlagen. Auf einer Breite von über hundert Metern wird die Autobahn quer durch den Cross River National Park geschlagen, einen einzigartigen ökologischen Habitat an der Grenze zu Kamerun. Hier leben eine Unterart der Flachlandgorillas, die mit weniger als 300 Exemplaren eine der am stärksten vom Aussterben bedrohten Arten ist, Waldelefanten, Schimpansen, Preuss-Stummelaffen, Graupapageien und viele weitere, teils gefährdete Tierarten. Außerdem ist der Nationalpark Standort für rund die Hälfte des tropischen Regenwalds Nigerias.

Sich gegen Entwicklung und technologischen Fortschritt, wie er sich in Projekten wie diesem manifestiert, zu stellen und eine Abkehr von solchen Vorhaben zu fordern, hat mitunter einen paternalistischen Beigeschmack, wenn er von westlich dominierten internationalen Naturschutzorganisationen vorgetragen wird. Allerdings protestieren auch afrikanische Nichtregierungsorganisationen wie die Alliance of Leading Environmental Researchers and Thinkers (ALERT), Rainforest Resource and Development Centre (RRDC) und Wise Administration of Terrestrial Environment and Resources (WATER) gegen das Projekt. Wird doch mit ihm anscheinend ein ganz anderer als der vorgebliche Zweck verfolgt, beispielsweise Aneignung von Land, Bereicherung durch den Verkauf von Edelhölzern und die Förderung der Bauwirtschaft.

Man muß davon ausgehen, daß von der Achse der Zerschneidung ausgehend die Erschließung des Regenwalds und seine Umformung zum Gebrauch der Wohlhabenden und allmählich wachsenden urbanen Mittelschicht weitere Schneisen und Brückenköpfe geschlagen werden. Jedenfalls bedarf es keiner zwölfspurigen Autobahn von Calabar, der Hauptstadt des Bundesstaats Cross River, ins Nirgendwo ...

Die Autobahn würde auch einen geplanten Tiefseehafen bei Bakassi im Bundesstaat Benue besser mit dem Hinterland verbinden, was nur bedeuten kann, daß ein Naturschutzgebiet, das bis dahin noch den Schutz genossen hat, weniger gut erreichbar zu sein, nun vollumfänglich wirtschaftlich und touristisch erschlossen würde. Dabei wird voraussichtlich das Schutzgebiet eher früher als später zu einem Restwald geschrumpft, in dem gut betuchte Touristen auf Fotosafari gehen dürfen, während die ursprüngliche Bevölkerung, die in und von dem Wald gelebt hat, vertrieben wurde und sich irgendwann als Subproletariat in informellen Behausungen am Rande der explosionsartig wachsenden Städte wiederfindet. Nach Angaben der Wildlife Conservation Society werden durch den Super-Highway 180 indigene Gemeinschaften vertrieben. [1]

Außerdem existieren bereits Verkehrsverbindungen in den Norden, nur daß sie um den Naturpark herumführen. Der Zustand dieser Straßen wird als katastrophal beschrieben, aber sie könnten mit einem Bruchteil der nun erforderlichen Mittel in Schuß gebracht und darüber hinaus noch viele Jahre lang gewartet werden. Der Gouverneur von Cross River, Ben Ayade, hofft jedoch, daß sich andere Bundesstaaten seinem Vorhaben anschließen und schließlich eine durchgehende Autobahnverbindung von der Atlantikküste bis hinauf in den Norden zum Nachbarland Tschad entsteht.

Von solchen Projekten gibt es in Afrika viele, was nicht verwundert angesichts seiner dreifachen Größe Europas. Der Bau von Super-Highways ist auch kein Alleinstellungsmerkmal Nigerias, wie beispielsweise das dichte Autobahnnetz in Deutschland zeigt. Solange es keine Alternativen zum motorisierten Individualverkehr gibt und beispielsweise viele Frauen täglich kilometerweit bis zur nächsten Wasserstelle laufen müssen, um für ihre Familie das lebensnotwendige Naß zu holen, kann man niemandem verdenken, wenn er in der Motorisierung die Lösung seiner Probleme sieht. Und Motorisierung bedeutet Straßenbau, also auch den Bau von Autobahnen. Ob allerdings mit dem Super-Highway das Ziel verfolgt wird, die existentielle Not vieler Menschen zu lindern, ist fraglich. Eher scheint es bei dem Projekt um eine weitere Runde der Bereicherung des Establishments zu gehen.

Inzwischen sterben in Afrika mehr Menschen vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung als an Mangelernährung, schmutzigem Trinkwasser oder unhygienischen Verhältnissen. Der Individualverkehr hat daran einen hohen Anteil. Weitere Feinstaubquellen sind offene Kochstellen, Kraftwerke und Industrien. Nigerias Wirtschaftsmetropole Lagos zählt zu den Städten des afrikanischen Kontinents, deren Luft am schlechtesten abschneidet. [2]

In den Ballungsgebieten des Bundesstaats Cross River, an der Grenze zu Kamerun gelegen, ist die Luft zwar nicht ganz so schlecht, aber das ist natürlich noch kein Grund, im ersten Anlauf überhaupt keine, und dann, nachdem Proteste aufkamen, eine so weichgewaschene Umweltverträglichkeitsprüfung für den Super-Highway vorzulegen, daß man sich für sie besser das Papier gespart hätte; dann hätte man mehr zum Schutz der Umwelt getan. Auch wenn inzwischen von dem ursprünglich geplanten Streckenverlauf abgewichen wurde, werden nach wie vor Naturparks zerschnitten und indigene Gemeinschaften wie die Ekuri vertrieben. Ein Konflikt zwischen Staatspräsident Muhammadu Buhari, der das Projekt abgesegnet hat, und Gouverneur Ben Ayadi, der die Rodungsmaschinen schon losgeschickt hatte, noch bevor die Umweltverträglichkeitsprüfung abgeschlossen war, hatte das Projekt nur verzögert, aber nicht aufgehalten.

Besonders erbost hat die Ekuri, daß sich die Regierung entlang der Trasse einen über 20 Kilometer breiten Streifen Land angeeignet hat, ohne mit den darin lebenden Bewohnern zu sprechen. Statt dessen wird ihnen eine Kompensation versprochen. Aber kann man eine Entwurzelung kompensieren? Da schätzungsweise bis zu eine Million Menschen vertrieben werden, die alle für sämtliche erlittenen Verluste entschädigt werden müßten, was auf mehrere Milliarden Dollar hinausliefe, wird sich die Regierung dabei sehr zurückhalten, um es diplomatisch zu formulieren. Martins Egot, Leiter der Ekuri Initiative, bezeichnet das Vorgehen als reinen Landraub. [3]

Auch ohne eine zwölfspurige Autobahn ist der Cross River National Park durch die von seinen Rändern her vorrückende Besiedlung und Nutzung gefährdet. Aber wie der Name Super-Highway schon sagt: wird er verwirklicht, dürfte der Regenwaldverlust mit hohem Tempo voranschreiten.


Fußnoten:

[1] http://www.smithsonianmag.com/smart-news/twelve-lane-highway-threatens-nigerias-last-rainforests-180960997

[2] https://www.theguardian.com/global-development/2016/oct/20/air-pollution-deadlier-africa-than-dirty-water-or-malnutrition-oecd

[3] http://qz.com/791037

2. Dezember 2016


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