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AFRIKA/2141: In Auffanglagern leben Gefangene, oder nicht? (SB)


Flüchtlingsabwehr der EU

Grenzzäune, Frontex, Marshallplan mit Afrika, Auffanglager


Wäre es von den geographischen Voraussetzungen her machbar, eine Mauer zwischen Europa und Afrika zu errichten, wie sie zur Zeit zwischen den USA und Mexiko gebaut wird, so hätten hiesige Politiker das längst getan. Das beweisen die Hightech-Grenzanlagen entlang der einzigen Landverbindung dieser beiden Kontinente, den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla zu Marokko. Das Mittelmeer bildet gegenüber Afrika einen natürlichen "Festungsgraben", den Menschen meist unter Lebensgefahr überwinden müssen, wenn sie nach Europa migrieren wollen. Weil eben dies trotz Tausender Toten jedes Jahr vielen Menschen auf der notgetriebenen Suche nach physischer, politischer und ökonomischer Sicherheit gelingt, setzt die Europäische Union weitere Mittel ein, um sie daran zu hindern, ihren Kontinent zu verlassen. Gegen die Flüchtlinge wird fast das gesamte Arsenal asymmetrischer Kriegführung in Stellung gebracht, angefangen von Kriegsschiffen, die mit modernster Überwachungstechnologie ausgestattet sind, über Drohnen und Flugzeuge unter anderem von Frontex, der Europäischen Grenzschutzagentur, bis zu Satelliten, die Tag und Nacht die Erdoberfläche nach Wärmemustern und Bewegungen abtasten. Die Abwehr von Flüchtlingen - und allein darum geht es bei diesem riesigen Aufwand - ähnelt bis zu einem bestimmten Punkt dem Kampf gegen Piraten am Horn von Afrika.

Auch der "Marshallplan mit Afrika", den das Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit initiiert hat, wurde aus der Absicht heraus auf den Weg gebracht, daß die Afrikaner in Afrika bleiben sollen, damit die Europäer in Europa weiter ungestört ihren Geschäften nachgehen können. Statt das Vorhaben Marshallplan "für" Afrika zu nennen, wie es in früheren Jahren zu erwarten gewesen wäre, wird jetzt sprachlich der Eindruck erweckt, dieser Ansatz würde sich von den zahlreichen früheren Initiativen Deutschlands, Europas oder der westlichen Welt unterscheiden. Doch so wie den früheren afrikanischen Kolonialstaaten von der EU Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) regelrecht aufgenötigt werden und die USA ihren Nachschub an Erdöl und Erzen sowie Billigklamotten als Wachstums- und Chancen-Pakt für Afrika (AGOA - African Growth and Opportunity Act) maskiert haben, wird auch vom Marshallplan "mit" Afrika das grundsätzliche Gefüge der Weltordnung niemals in Angriff genommen. Das Produktivitätsniveau von Afrika wird niedriger bleiben als das Europas im allgemeinen. Man wird versuchen, Jugendliche dazu zu bewegen, zu Hause zu bleiben, indem man die heimische Wirtschaft dabei unterstützt, ihnen einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz anzubieten. So dürfen sie dann beispielsweise bei einem südafrikanischen Autokonzern Limousinen zusammenschrauben, in Mali Baumwolle anbauen oder als Erntehelfer in Cote d'Ivoire Kaffeebohnen pflücken, mit der beruflichen Perspektive, eines Tages Vorarbeiter der Erntehelfer zu werden. Hauptsache, die jungen Menschen werden dazu bewegt, sich nicht in Richtung Europa in Bewegung zu setzen.

Die Europäische Union versucht, die nordafrikanischen Staaten Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten zu Vorfeldstaaten zu funktionalisieren, die Flüchtlinge abfangen und festsetzen, noch bevor sie in See stechen, oder die abgeschobene Flüchtlinge aufnehmen. So fordert der neue EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani die Einrichtung von "Auffanglagern" in Libyen. Denn dort warten Hunderttausende Menschen auf eine Gelegenheit, nach Europa überzusetzen. Aber wieso nur fällt Tajani in diesem Zusammenhang ein zu fordern, daß dies keine "Konzentrationslager" werden dürfen? Geht es denn der EU nicht darum, Menschen zu schützen, damit sie sich nicht dem Risiko der gefährlichen Überfahrt aussetzen? Wie kann man da überhaupt auf die Idee kommen, diese Lager gegenüber Konzentrationslagern abzugrenzen?

Wenn es sich um "Auffang"-Lager handelt, sind die Flüchtlinge dann nicht in gewisser Weise Ge"fang"ene? Was passiert mit ihnen, wenn sie in die Hände der Häscher gelangen? Haben sie dann eine Wahl, daß sie weiterreisen dürfen? Oder werden sie gefangengenommen und in Lager gesteckt?

Der Italiener fordert eine gewisse Grundausstattung jener Lager, beispielsweise sollten eine ausreichende Zahl an Ärzten und genügend Medikamente zur Verfügung stehen. Die Menschen sollten dort ein paar Monate oder Jahre in Würde leben können. Aber was ist "ausreichend"? Und was ist Würde? Aufgrund welcher Anhaltspunkte spricht Tajani eigentlich von der Aussicht, daß dort Menschen jahrelang leben könnten? Nochmals gefragt: Wird man sie aufhalten, wenn sie versuchen, so ein vermeintliches Nicht-KZ zu verlassen? Solche Lager können nur funktionieren, wenn Zwang auf die Flüchtlinge ausgeübt wird. Die Freizügigkeit, die zuvor in manchen afrikanischen Staaten bestand und es den Menschen ermöglichte, Staatsgrenzen zu queren, ohne aufgehalten zu werden, wird anscheinend aufgehoben.

Man muß davon ausgehen, daß die gleichen Kräfte, die dies herbeiführen, im Zweifelsfall auch bereit und entschlossen sind, die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union zu unterbinden. So wie der administrative Apparat nach außen hin auftritt, handelt er bei Bedarf auch nach innen. Daran hat sich niemals etwas geändert, ob es sich um eine Festung im Mittelalter handelt oder um die "Festung Europa".

27. Februar 2017


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