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AFRIKA/2166: Senegal - der Blick auf die Pfründe ... (SB)



Im Jahr 2014 wurden vor der Küste Senegals erstmals ergiebige Öl- und Gaslagerstätten entdeckt. Jetzt, da Erschließung und Förderung näherrücken, befürchtet die Opposition, daß auch Senegal dem "Erdölfluch" unterliegen wird. Dieser besagt, daß sich Regierungsmitglieder und nahe Verwandte sowie Freunde die üppigen Einnahmen aus dem Erdölverkauf unter den Nagel reißen, während die übrige Bevölkerung das Nachsehen hat. Typische Beispiele dafür sind Nigeria, Angola, Äquatorial-Guinea, Tschad, DR Kongo, Mosambik ... die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Wegen eines vermeintlich anderen Themas, die Veränderung des Wahlgesetzes - laut der Opposition zugunsten des heutigen Präsidenten -, war es in der vergangenen Woche in Senegals Hauptstadt Dakar zu Massendemonstrationen und heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen. Ein Zusammenhang zum "Erdölfluch" könnte insofern bestehen, als daß der 2012 ins Amt gewählte Staatspräsident Macky Sall, der ein ausgebildeter Geologe ist und für das heimische Öl- und Gasunternehmen Petrosen gearbeitet hatte, versucht sein könnte, seine Position langfristig zu befestigen, um in den Genuß der demnächst zu erwartenden üppig sprudelnden Erdöleinnahmen zu gelangen. Zumal es bereits 2016 zu Straßenprotesten kam, als bekannt wurde, daß Offshore-Förderlizenzen einer Firma übertragen worden waren, die eine Verbindung zum Bruder des Präsidenten, Aliou Sall, besaß.

Die neue Erdöllagerstätte wurde von dem britischen Unternehmen Cairn Energy in fast fünf Kilometer Tiefe im Fördergebiet Sangomar Deep im Atlantik entdeckt. Schätzungen zufolge umfaßt das Vorkommen mehr als eine Milliarde Barrel Erdöl. Damit war es die größte Entdeckung neuer Erdöllagerstätten des Jahres 2014. Inzwischen sind rund 20 weitere Unternehmen in das Förderprojekt eingestiegen, darunter Global Player wie BP, Total und Conoco Phillips. In drei Jahren hoffen die beteiligten Unternehmen, von der Phase der Testbohrung in die reguläre Förderung überzugehen. Allzu viele Arbeitsplätze werden hierdurch nicht geschaffen, denn das Öl wird von einer schwimmenden Offshore-Plattform gefördert, auf der naturgemäß nur das nötigste Personal tätig ist. Parallel zu dieser Entwicklung hat das texanische Unternehmen Kosmos Energy vor der Küste von Senegal und Mauretanien die bislang größte Gaslagerstätte Westafrikas entdeckt.

Von den zu erwartenden Deviseneinnahmen der Erdölförderung dürfte sich mancher Senegalese einen wirtschaftlichen Entwicklungssprung versprechen. Dabei werden die Einwohner mit dem Widerspruch leben müssen, daß die Förderung von Erdöl dessen Verbrauch impliziert und somit das Entstehen vermehrter Treibhausgasemissionen. Historisch ist Senegals Anteil am Klimawandel minimal, doch geht das Land stellenweise so flach ins Meer über, daß die Küste im Durchschnitt ein bis zwei Meter pro Jahr erodiert - und mindestens zwei Drittel der Einwohner leben in Küstennähe. Besonders betroffen ist die Stadt Saint Louis, die am Mündungsdelta des Senegalflusses liegt und auch in historischer Zeit Überschwemmungen erlebt hat, wenn der Strom über die Ufer getreten war. Inzwischen fordert auch der Meeresspiegelanstieg seinen Tribut, darüber hinaus wird das Land sowohl von Überschwemmungen als auch Dürren heimgesucht. Laut UN Habitat ist Senegal der am meisten durch den klimatisch bedingten Meeresspiegelanstieg bedrohte Staat Afrikas.

Mit Beginn der Erdölförderung würde Senegal, dessen Präsident 2015 bei der Pariser Klimakonferenz ein Plädoyer für eine saubere Energiezukunft Afrikas gehalten hat, in den Kreis jener Staaten vorstoßen, die den Klimawandel forcieren. Weltweit rund 80 Prozent der bekannten Lagerstätten mit fossilen Energieträgern müssen unangetastet bleiben und dürfen nicht gefördert werden, damit die globale Durchschnittstemperatur nicht um mehr als zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit steigt. Doch welche Länder sollen auf das Erdölgeschäft verzichten? Wird nicht beispielsweise Senegal durchaus mit Berechtigung sagen, daß andere, die schon genug am Erdöl verdient haben, verzichten sollen, und jetzt diejenigen an der Reihe sind, die den Klimawandel nicht zu verantworten haben?

Das geförderte Erdöl würde eher nicht im eigenen Land verbraucht, sondern nach Europa, USA und China gehen. Als ein Land, das von der Sonneneinstrahlung in besonderer Weise begünstigt ist, könnte Senegal die Solarenergie im beträchtlichen Umfang ausbauen. Theoretisch. In der Praxis sieht es jedoch anders aus. Laut der österreichischen Zeitung "Der Standard" hat die Regierung bereits das Ministerium für Energie und Entwicklung von erneuerbaren Energien in das Ministerium für Petroleum und Energie umbenannt. Damit dürfte die Richtung, die das Land einzuschlagen gedenkt, vorgegeben sein.

Ob die jüngste Entscheidung der Regierung, das Wahlgesetz zu verändern, so daß zukünftig nur noch Personen zur Wahl zugelassen werden, die im Vorwege mindestens ein Prozent der Wählerstimmen in jeder der vierzehn Regionen und somit rund 60.000 Stimmen vorweisen können, ein erstes Indiz für den Erdölfluch ist, wird sich wohl erst dann endgültig bestimmen lassen, wenn sich der Präsident im Februar 2019 den Wählerinnen und Wählern stellt. Jedenfalls hat die Wahlreform zu Demonstrationen geführt, gegen die die Polizei mit Tränengas vorgerückt ist. Es gab zahlreiche Verhaftungen, darunter Idrissa Seck, zwischen 2002 und 2004 Premierminister Senegals, Malick Gakou, Vorsitzender der oppositionellen Grand Parti, und Thierno Bocoum, Führer der Agir-Bewegung, des Generationenbündnisses für die Interessen der Republik.

Problematisch ist die Erdölförderung aus fünf Kilometern Meerestiefe auch deshalb, weil artisanale Fischerei ein wichtiger Wirtschaftszweig Senegals und des unmittelbar nördlich an das Fördergebiet angrenzende Mauretanien ist und Erdölleckagen wie bei der Havarie der Erdölplattform Deepwater Horizon im April 2010 in der Karibik eine Katastrophe nicht nur für die Fischwirtschaft, sondern auch die Nahrungsversorgung des Landes wäre.

24. April 2018


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