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AFRIKA/2179: Kamerun - blutiges Erbe ... (SB)



Vor zwei Jahren ist in Kamerun ein alter Konflikt wieder aufgebrochen, der noch auf die Kolonialzeit zurückgeht, als Frankreich und Großbritannien Grenzen gezogen und sich ihre Machtbereiche aufgeteilt hatten. Lange Zeit hat die englischsprachige Bevölkerung im Westen Kameruns stillgehalten und sich der französischsprachigen Mehrheit gefügt, weil ihr relative Autonomie zugesagt worden war. Doch schon seit mehreren Jahrzehnten setzt sich die französischsprachige Bevölkerungsmehrheit, zu der auch Langzeitstaatspräsident Paul Biya gehört, mehr und mehr durch, und vormalige Autonomierechte der Minderheit wurden sukzessive abgebaut. Inzwischen ist im Nordwesten und Südwesten des Landes eine überaus blutige Auseinandersetzung ausgebrochen, die sowohl von seiten der Milizen als auch der Regierung mit kaum zu überbrückender Beharrlichkeit geführt wird.

Hinzu kommt die Gefahr, daß islamistische Organisationen wie Boko Haram, die in Kamerun einen Rückzugsort für ihre Kämpfe im westlich angrenzenden Nigeria gefunden haben und in beiden Ländern Selbstmordanschläge verüben, die instabile Lage nutzen könnten, um ihren Einflußbereich auszudehnen. Den Regierungssoldaten wiederum wird der Vorwurf gemacht, sie hätten beim Kampf gegen die Islamisten auch Massaker an der nordkamerunischen Zivilbevölkerung verübt.

Am 7. Oktober wird in dem Land einer neuer Präsident gewählt. Biya, der zwischen 1975 bis 1982 bereits Premierminister war, tritt nach 36 Jahren als Präsident erneut an. Die Gefahr ist groß, daß der schwelende Konflikt in einen voll entwickelten Bürgerkrieg ausbricht.

Fast ein Jahr ist es her, daß eine separatistische Bewegung in Westkamerun einen eigenen Staat ausrief: Ambazonien. Die Weltöffentlichkeit nahm davon kaum Notiz, die Meldung schaffte es meist nur in die Randspalten der Tageszeitungen. Wie so häufig beim vermeintlich plötzlichen Ausbruch von Gewalt in Afrika hat auch dieser Konflikt eine Vorgeschichte, die mit Kolonialismus und Nepotismus zu tun hat.

Der Name Ambazonien geht auf die Kolonialzeit zurück, als die Briten die Mündung des Flusses Mungo in den Atlantik "Ambas Bay" nannten. Diese fruchtbare Flußlandschaftsregion wurde 1887 in die deutsche Kolonie Kamerun eingegliedert. Im Verlauf des Ersten Weltkriegs verlor das Deutsche Kaiserreich "seine" Kolonien, 1919 übernahm der Völkerbund die Schutzverantwortung über das Land und übergab die koloniale Beute an Großbritannien und Frankreich. 1960 wurde das zur Frankophonie zählende Kamerun unabhängig, 1961 auch das britische Mandatsgebiet.

Am 1. Oktober 1961 wurde die Vereinigte Republik Kamerun ausgerufen. Zuvor hatte sich das anglophone Südkamerun in einer Volksabstimmung für den Anschluß an Kamerun entschieden (der Norden hingegen für Nigeria), weil das Land föderal gegliedert war, das heißt, die einzelne Provinzen relative Eigenständigkeit zugestanden bekamen. Doch keine zehn Jahre später ging diese formal verloren. 1972 wurde ein Referendum über die Staatsform abgehalten und die "Vereinigte" Republik Kamerun gegründet, ein Einheitsstaat nach französischem Vorbild, was bedeutete, daß sich die gesellschaftliche Macht auf der Staatsebene konzentrierte. Die Provinzen verloren an Einfluß.

1982 kam der bis heute regierende Präsident Paul Biya von der Partei RDPC (Demokratische Sammlung des Kameruner Volkes) an die Macht. Obgleich Kamerun unter Biya 1984 per Verfassungsänderung wieder in eine "Republik Kamerun" verwandelt und 1996 mittels der Einrichtung einer zweiten Parlamentskammer (Senat) formal dezentralisiert wurde, haben viele Einwohner das Gefühl, daß er das Land nach dem Motto "L'État c'est moi" regiert, "der Staat bin ich".

Der Staat "Ambazonien" war 1984 schon einmal ausgerufen worden, ohne daß er verwirklicht worden wäre. 1999 rief die Sezessionsbewegung Southern Cameroons National Council (SCNC) ebenfalls die Unabhängigkeit Ambazoniens aus, ohne daß dies in eine Staatsgründung mündete. Nach zuvor einem Jahr mit Demonstrationen und Streiks vor allem von Lehrern und Richtern und der harschen Reaktion des Staates darauf erfolgte der letzte derartige Aufruf 2017, passend zum Unabhängigkeitstag Kameruns am 1. Oktober, durch Separatistenführer Julius Ayuk Tabe. Doch sein Ambazonien ist ebenfalls nicht international anerkannt, auch nicht vom Nachbarland Nigeria, das zwar kulturell eng mit dem englischsprachigen Westkamerun verbunden ist, aber befürchten muß, daß dadurch auch im eigenen Land Unabhängigkeitsbewegungen wieder wach werden. Der Biafra-Krieg ist zwar schon lange vorbei, die gesellschaftlichen Konflikte, wegen denen die Menschen einst zu den Waffen griffen, sind es jedoch nicht.

Kritiker werfen Biya vor, daß er von Beginn der Demonstrationen im Jahr 2016 an mit harter Hand gegen die Protestierenden vorgehen ließ. Seitdem eskaliert die Lage. Es haben sich drei Milizenorganisationen und zahlreiche Bürgerwehren gebildet. Menschen, die gewaltlosen Widerstand propagieren, werden in einen Topf geworfen und genauso bekämpft wie Personen, die Soldaten, Polizisten oder Polizeiwachen attackieren. Mehrere zehntausend Menschen sind über die Grenze nach Nigeria geflohen, wo Menschen leben, die die gleiche Sprache sprechen und denen sie sich verbunden fühlen. Es gibt in Kamerun jedoch keine in sich geschlossene oppositionelle Bewegung, sondern die Opposition setzt sich aus verschiedenen Gruppierungen zusammen, die unterschiedliche Vorstellungen haben. Selbst innerhalb West- bzw. Südkameruns stehen nicht alle, die die Regierung kritisieren, hinter der Ausrufung eines unabhängigen Staats Ambazonien. Aber umgekehrt befürworten durchaus viele eben dies aus dem alleinigen Grund, weil sie hoffen, daß sich mittels einer radikalen Forderung überhaupt irgend etwas bewegen läßt. Wenn am Ende ein Autonomiestatus und eine angemessene Beteiligung des englischsprachigen Teils an der Regierung herauskommt, sehen sie ihr Ziel erreicht. Rund 20 Prozent der Kameruner sind anglophon, doch ist dieser Teil des Landes nicht in der Regierung vertreten.

Es geht in Kamerun bei weitem nicht allein um einen Sprachenkonflikt, sondern dieser bildet den Rahmen für gesellschaftliche Vorteilsnahme auf seiten des Establishments und gezielte Marginalisierungen der ungeliebten "Ambazonier". Und irgendwo in der Kette der konfliktfördernden Momente hat die Auseinandersetzung auch mit Erdöl zu tun. Denn die ganz im Westen Kameruns liegende Bakassi-Halbinsel grenzt an die weithin bekannte nigerianische Ölförderregion des Nigerdeltas. Die Sorge darüber, daß seine Regierung die Kontrolle über die lukrativen Einnahmen aus dem Ölgeschäft verliert, könnte ein Grund mit dafür sein, warum Biya auch nur den Ansatz zu mehr Autonomie derart harsch beantworten ließ.

Bisherige Bilanz des Prä-Bürgerkriegs: 180.000 Personen haben ihre Heimat verlassen, davon ist ein Fünftel nach Nigeria geflohen; mehrere hundert Menschen kamen gewaltsam ums Leben; es entstanden riesige wirtschaftliche Verluste insbesondere für Westkamerun, wo zeitweilig das Internet abgeschaltet worden war, und es entsteht eine wachsende Bildungslücke unter den Heranwachsenden, weil Schulen geschlossen wurden und der Unterricht ausfiel.

Nicht nur in Westkamerun rumort es, auch im übrigen Land bauen sich Spannungen auf, weil der französischsprachige Teil mit einer Abspaltung Ambazoniens nicht einverstanden ist. Gewaltsame Konflikte drohen auch im Norden wegen der Boko Haram sowie aufgrund von Milizen aus der Zentralafrikanischen Republik (ZAR), die aus dem Westen stammen und ihren Konflikt in Kamerun weiter austragen. Hinzu kommt, daß Menschen nicht nur "aus", sondern von der ZAR aus auch "nach" Kamerun fliehen.

Präsident Biya hat sich bislang nicht darin hervorgetan, Konflikte im Land mit Bedacht lösen zu können. Kamerun ist ein Pulverfaß, dessen Lunte schon ausgelegt ist. Nicht die ganze Lunte, aber einzelne ihrer Stränge reichen bis in die Kolonialzeit zurück. Andere werden womöglich durch neokolonialistische Interventionsinteressen hinzugefügt. Spätestens bei den Wahlen im kommenden Monat dürfte sich entscheiden, ob die Lunte gezündet oder die Gefahr gebannt wird.

24. September 2018


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