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AFRIKA/2203: Waldraub - Begriffshopping sagt alles ... (SB)



Wären all die Verpflichtungen, Zusagen, Absichtserklärungen, Einsichten und Verträge zum Stopp der Entwaldung verwirklicht, gäbe es weltweit kein Problem damit. [1] Dann würde die globale Waldfläche nicht ab-, sondern zunehmen, und nicht nur in Form von Plantagen und Monokulturen, sondern als naturbelassene, von der lokalen Bevölkerung verwaltete Waldhabitate. Diese würden zwar genutzt, wie schon seit Jahrhunderten, aber nicht übernutzt.

Indes steht anscheinend die große Menge an internationalen Vereinbarungen zum Schutz der Wälder im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Umsetzung. Nach wie vor roden staatliche und nichtstaatliche Akteure tropischen Regenwald, werden Dorfgemeinschaften vertrieben oder verdrängt und Umweltschützerinnen und -schützer, die sich dem entgegenstellen, getötet. Oder aber Dorfgemeinschaften werden auf weniger blutige, aber dennoch nachdrückliche Weise um ihren Wald gebracht.

Es gibt mehrere hundert Definitionen für "Wald", insofern verwundert es nicht, daß auch für "Entwaldung" keine einheitliche Definition vorliegt. Das bleibt nicht ohne Konsequenzen. So veröffentlichten kürzlich die internationale Nichtregierungsorganisation (NGO) World Rainforest Movement (WRM) und die nationale NGO Muyissi Environnement aus Gabun einen Report über Plantagen zur Palmölgewinnung der Firma OLAM. Obgleich sich das in Singapur ansässige Unternehmen zu "null Entwaldung" verpflichtet habe, nutze es eine Reihe von Schlupflöchern aus, beispielsweise indem es nur "netto null Entwaldung" einhalte. Der Unterschied sei gravierend, heißt es in dem Bericht "ZERO DEFORESTATION PLEDGES: THE CASE OF OLAM IN GABON" (z. Dt.: Null-Entwaldung-Zusagen: Der Fall OLAM in Gabun). [2]

Zwischen dem 25. April und 25. Mai 2019 hatten die beiden NGOs Recherchen in 18 Dörfern in der gabunesischen Provinz Ngounie durchgeführt. Zu den Kernvorwürfen gegen OLAM gehört, daß das Unternehmen durch die Erweiterung seiner Plantagen die Lebensgewohnheiten der Menschen vor Ort zunehmend beeinträchtigt.

Die Vorwürfe wurden nicht zum ersten Mal erhoben, und so hatte sich auch OLAM bereits im September vergangenen Jahres gegen die seiner Ansicht nach "falschen Vorwürfe" in einer Petition der World Rainforest Movement verwahrt und unter anderem erklärt, daß seine Plantagen nicht in Primärwald angelegt werden und daß es die Hälfte des gepachteten Landes gar nicht nutze, sondern als naturbelassene Kompensationsfläche unterhalte, sogar aufwerte. [3]

Die Bezeichnung "null Entwaldung" (engl.: zero deforestation) wurde 2007 in Brasilien aufgebracht, um dort binnen acht Jahren die rapide Abholzung des tropischen Regenwalds zu stoppen. Internationale NGOs wie WWF, Conservation International (CI) und The Nature Conservancy (TNC) hatten die Initiative angestoßen, und große Lebensmittelkonzerne wie Unilever, Nestle und Mars sowie Teile der Finanzwelt verlangten daraufhin von den Palmöllieferanten in Südamerika, Asien und Afrika, daß sie keinen Wald mehr abholzen.

Anfangs versuchten die Palmölproduzenten noch, den gegen sie gerichteten Trend aufzuhalten, aber schwenkten dann um und machen sich Kriterien für nachhaltigen Anbau zu eigen. Allerdings in mancher Hinsicht nur formal. Beispielsweise besteht ein erheblicher Unterschied hinsichtlich der Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung, ob sich ein Unternehmen zu "null Entwaldung" oder zu "netto null Entwaldung" bekennt. Letzteres bedeutet, daß zwar Wald abgeholzt, aber an anderer Stelle eine gleichwertige Fläche aufgeforstet wird. Es entspricht keiner lokalen, sondern ausschließlich einer globalen, von außen eingebrachten Sichtweise, von "netto null Entwaldung" zu sprechen - zum Nutzen der dahinter stehenden übergreifenden, in diesem Fall übergriffigen Verfügungsinteressen.

Genau das kann auf eine Beeinträchtigung bis hin zur Zerstörung traditioneller Nutzungsformen von Wäldern durch die lokale Bevölkerung hinauslaufen. Denn die meisten Wälder werden zum Sammeln von Feuerholz, Pilzen, Beeren oder Honig, zur Jagd, als Gebiet für Wanderfeldbau, Brandrodung oder als Weidefläche für Vieh genutzt. Das alles kann den örtlichen Lebensgemeinschaften genommen werden. Womöglich werden Dörfer vom Umland abgeschnitten, so daß die Menschen lange Umwege gehen müssen, weil niemand die Plantagen betreten darf, oder aber ganze Dörfer werden aufgrund von Winddrift mit toxischen Pestiziden aus dem Plantagenanbau besprüht. Typisches Beispiel dafür sind die Dörfer und Siedlungen am Rande des Sojaanbaus in Argentinien. Darüber hinaus sorgen biodiverse Wälder im Unterschied zu Plantagen für eine natürliche Regulation des Wasserhaushalts.

2009 hatte die Regierung Gabuns den "Strategic Plan Emergent Gabon" (PSGE) verabschiedet, um die starke Ausrichtung des Landes auf den Export von Erdöl und Tropenholz zu beenden. Im Rahmen dessen sollte das Land zum größten afrikanischen Produzenten für Palmöl aufsteigen, und der Konzern OLAM, der in 70 Ländern tätig ist, galt als das wichtigste Unternehmen, das dort ab dem Jahr 2010 angefangen hat, Plantagen zur Palmölgewinnung anzulegen.

Wie verhält es sich nun mit den von den NGOs untersuchten Dörfern in und um die vier Lizenzgebiete von OLAM in der gabunesischen Provinz herum? Diese liegt im zentralen bis südlichen Gabun, einem Land am Äquator, das zu rund 89 Prozent von tropischem Regenwald bedeckt ist.

OLAM, hinter dem die Temasek Holdings der singapurischen Regierung und die japanische Mitsubishi Corporation stecken, hat mit der gabunesischen Regierung zwei Joint-Ventures gegründet. An OLAM Palm Gabon ist Gabun zu 40 Prozent und OLAM zu 60 Prozent beteiligt. Bis zu 300.000 Hektar soll das Joint Venture nach und nach zugesprochen bekommen. Gegenwärtig nimmt die in drei Gebiete aufgeteilte Lizenzfläche OLAMs eine Größe von 143.412 Hektar ein. Davon befinden sich nach Angaben der beiden NGOs auf 59.275 Hektar Plantagen mit Ölpalmen.

Für das Joint Venture SOTRADER, an dem OLAM zu 49 Prozent und Gabun zu 51 Prozent beteiligt sind, hat die Regierung eine Fläche von 200.000 Hektar vorgesehen. SOTRADER wiederum hat das Projekt GRAINE gegründet, das die Produktion von Nahrungsmitteln und Palmöl durch Kleinbäuerinnen und -bauern fördern soll. Im Rahmen dessen werden in der Provinz Ngounie zur Zeit auf 7.953 Hektar ausschließlich Ölpalmen angepflanzt.

OLAM erklärt, daß es besonders schützenswerte Flächen, die von hohem Wert für den Naturschutz (High Conservation Value - HCV) und Teil des lizenzierten Gebiets sind, von der Abholzung ausgenommen hat. Das wird auch von der World Rainforest Movement und Muyissi Environnement anerkannt. Kritisiert wird jedoch, daß außerhalb der HCV-ausgewiesenen Flächen auf Tausenden Hektar Ölpalmen gepflanzt wurden. Erst nachdem diese Entwicklung von der NGO Mighty Earth anhand von Satellitenbildern nachgewiesen worden war, habe OLAM im Februar 2017 mit dieser in Washington ansässigen Organisation vereinbart, sich zukünftig an "null Entwaldung" zu halten.

Doch in seinem 2018 veröffentlichen Papier "OLAM living landscapes policy" [4] werde bereits gleich zu Beginn von "Netto-positiv- Prinzipien" gesprochen, die zu einem "netto positiv Einfluß" führen sollten, monieren die beiden NGOs. OLAM dagegen sagt von sich, daß es Teil einer "lebendigen Landschaft" sein wolle, in der die Stimme der einheimischen Bevölkerung "sehr wichtig" ist und in der die Interessen der wirtschaftlichen Nutzung, des ökologischen Erhalts und der Steigerung des Lebensstandards "koexistieren" können. Unter "netto positiv" versteht das Unternehmen, das es sogar dazu beiträgt, zuvor degradierte Landschaften aufzuwerten. Dazu schreiben die NGOs in ihrer Kritik:

"Im Kern sind solche Konzepte pervers. Jeder Ort ist einzigartig, hat seine eigene Vielfalt und ist auf besondere Weise in Zeit und Raum verwurzelt; er kann nicht mit anderen Gebieten verglichen oder durch sie ersetzt werden. Solche lebendigen Räume werden häufig von lokalen Gemeinschaften genutzt und bewahren deren Lebensweise. Sie sollten niemals zerstört werden!"

In einer Presseerklärung vom Oktober 2019 schreibe OLAM, daß seine Plantagen nur in Gebieten stehen, die als Grasland, Sekundärwald oder abgeholzte Flächen ausgewiesen sind. Das sehen die die lokalen Gemeinschaften anders, heißt es in der Kritik. Was OLAM als Bekräftigung seiner guten Absichten versteht, offenbart sich in der Schilderung der NGOs als Schlupfloch von der Verpflichtung zu "null Entwaldung". OLAM selber habe die Flächen abgeholzt, die hinterher als "degradierte, abgeholzte Flächen" identifiziert worden seien, heißt es. Und wenn OLAM argumentiert, daß es Plantagen nur auf Flächen mit Sekundärwald oder Savanne anlege, ignoriere es, daß beides von den lokalen Gemeinschaften intensiv genutzt werde.

Die beiden NGOs räumen in ihrer Kritik an OLAM durchaus ein, daß sich das Unternehmen 2012, als es erstmals in die Provinz Ngounie kam, an das Prinzip der "freien, vorherigen und informierten Zustimmung" gehalten und öffentliche Anhörungen zu seinen Plänen durchgeführt hat. Allerdings hatte der Staat zu dem Zeitpunkt bereits Landflächen ausgesucht, für die Lizenzen vergeben werden sollten, und OLAM als Partner der Regierung brachte einiges an Gewicht in die Gespräche mit den Dorfgemeinschaften ein, um sie für seine Vorstellungen zu gewinnen. Zwei Gemeinden hatten laut den Vor-Ort-Erkundigungen der NGOs das Plantagenprojekt in ihrer Nachbarschaft abgelehnt. In einem Fall habe OLAM tatsächlich keine Palmen angepflanzt, im anderen dennoch. Nach der Rodung habe sich OLAM entschuldigt, das Vorgehen als Versehen ausgewiesen und eine Entschädigung angeboten.

Am problematischsten sei jedoch, daß OLAM und die Regierung Gabuns die Definition, was ein Wald ist, ändern wollen. Nach Angaben der Nationalen Parkbehörde (ANPN) soll Wald als Ökosystem gelten, wenn er eine Fläche von mindestens vier Hektar endemischer Bäume aufweist, wobei pro Hektar mindestens fünf Bäume einen Stammdurchmesser in Brusthöhe von 70 cm und/oder eine Biomasse von 118 Tonnen Kohlenstoff haben müssen. Würde diese Definition angenommen, wäre das ein gefährliches Vorbild, denn dadurch würden Sekundärwälder oder Wälder, die sich regenerieren, nicht mehr als "Wald" gelten und wären damit zur Nutzung freigegeben, lautet die Kritik.

Die von der World Rainforest Movement monierte Taktik von OLAM, Gebiete von hohem Erhaltungswert einzurichten, läuft darauf hinaus, alle anderen Gebiete für die Plantagenwirtschaft zur Verfügung zu haben. Und die Vorstellung OLAMs davon, was ein nachhaltiger, konservierender Umgang mit der Landschaft ist, deckt sich nicht unbedingt mit der des Kleinbauerntums, bei dem schon mal Waldflächen gerodet werden. Das wäre zukünftig auf den Flächen des Unternehmens nicht mehr möglich.

Wenn heute von "Entwaldung" gesprochen und den lokalen Gemeinschaften eine Mitverantwortung dafür zugesprochen wird, wird übersehen, daß diese seit Jahrhunderten im und vom Wald gelebt haben, ohne ihn zu zerstören. Wäre es anders, dürfte es in jenen Regionen heute keinen Wald mehr geben. Es waren jedoch Imperien wie das der Römer oder später der Briten und es ist in der heutigen Zeit der großflächige industrielle Plantagenanbau, die Entwaldung betreiben oder betrieben haben.

Nach konventionellen Kriterien würde man sagen, daß das Unternehmen im allgemeinen vieles richtig gemacht hat. Schaut man sich hingegen die Details an, erweist es sich und sein staatlicher Partner als Verbündete in dem Bemühen, den Wald, seine Ressourcen und die Arbeitskraft der Menschen verfügbar zu machen und das Ganze als "Entwicklung" zu preisen. Das mutmaßliche Entgegenkommen der Plantagenbesitzer dient eben diesem Zweck sowie dazu, den sozialen Frieden zu wahren. Nicht um dessen selbst willen, sondern wiederum, um ungestört die Verfügungsgewalt ausüben zu können.

Läßt man einmal sämtliches echte oder nur auf dem Papier existierende Entgegenkommen, alle Entschädigungen und Entgelte beiseite, so bleibt als Resümee, daß den Menschen vor Ort die Verfügungsgewalt über ihren Lebensraum genommen wird. Der Vorgang wird nicht dadurch harmlos, daß in anderen Weltregionen Menschen mit Knüppeln, Macheten und Gewehren aus ihren angestammten Lebensräumen vertrieben werden. In den reichen Ländern des Globalen Nordens wollen die Konsumentinnen und Konsumenten kein schlechtes Gewissen haben, wenn sie beispielsweise einen mit Hilfe von Palmöl hergestellten Schokoriegel essen. Aber ganz genau wissen, unter welchen Bedingungen die Zutaten produziert wurden, wollen sie ebenfalls nicht.


Fußnoten:

[1] Hier eine kleine Auswahl an Abmachungen, in denen sich zu "null Entwaldung" bekannt wird:
- 2009: Gründung des Consumer Goods Forum, dem die CEOs von rund 400 Unternehmen u.a. aus der Lebensmittelbranche angehören. Beschlossen wurde das Ende der Abholzung bis 2020.
- 2014: In der New York Declaration on Forests wurde null Entwaldung bis 2030 vereinbart.
- 2015: Verabschiedung der UN-Nachhaltigkeitsziele. Entwaldungsstopp bis 2020 beschlossen.
- 2015: Im Klimaschutzübereinkommen von Paris steht, daß im Kampf gegen die globale Erwärmung Wälder geschützt werden müssen, da sie Kohlenstoff binden.
- 2018: Der Roundtable on Sustainable Palm Oil (RSPO) bekennt sich zum High Carbon Stock Approach: Alle Wälder, auch Sekundärwälder und sich regenerierende Wälder, sollen bewahrt werden, also "null Entwaldung".

[2] https://wrm.org.uy/wp-content/uploads/2020/02/Communities-facing-Zero-Deforestation-pledges-case-Olam-Gabon.pdf

[3] https://www.olamgroup.com/news/all-news/news-bites/false-allegations-about-olams-palm-plantations-in-gabon.html

[4] https://www.olamgroup.com/content/dam/olamgroup/pdffiles/Olam-Living-Landscapes-Policy_English.pdf

24. Februar 2020


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