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AFRIKA/2212: Mali Militär - Krieg in spe ... (SB)



Am Mittwoch hat das Bundeskabinett eine umfangreiche Ausweitung des Afrikaeinsatzes der Bundeswehr beschlossen. Im Rahmen der europäischen Ausbildungsmission EUTM Mali soll das deutsche Militär zukünftig in fünf Staaten der Sahelzone aktiv werden und im gleichen Schritt noch "robuster" gegenüber dem bisherigen Einsatz vorgehen.

Die geplante Mandatserweiterung ist Ausdruck einer zunehmend schärferen Verfolgung hegemonialer Interessen mit militärischen Mitteln und deckt sich mit anderen Entwicklungen wie beispielsweise dem jüngsten Vorstoß der Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die an einem Krieg mit Atombomben aktiv teilhaben möchte und flugs entsprechende Trägersysteme (F-18-Kampfjets) aus den USA geordert hat. Zugleich erteilt die CDU der offensichtlich wahltaktisch motivierten Forderung einiger SPD-Führungskräfte nach einer Abschaffung der US-Atomwaffen in Büchel eine klare Absage. [1]

75 Jahre nach Kapitulation der Wehrmacht strebt deren offiziell nicht als Nachfolgeorganisation bezeichnete Bundeswehr sowohl nach mehr Einfluß in der Welt ("Gestaltungsmacht" [2]) als auch nach einer Position inmitten der Gesellschaft. [3]

Seit sieben Jahren bilden Bundeswehrangehörige malische Soldaten aus, nun soll die Mission auf die weiteren Sahelstaaten Burkina Faso, Mauretanien, Niger und Tschad, die mit Mali die G5-Sahel-Staaten bilden, ausgedehnt werden. Zugleich soll die Bundeswehr nicht mehr nur die Basisausbildung leisten, sondern die verbündeten Truppen auch bei Überwachungsaufgaben, dem sogenannten Monitoring, unterstützen. Das ist noch kein Kampfeinsatz, aber ein Mandat von "höherer Robustheit", wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) über den Kabinettsentwurf schreibt. Die Bundeswehr bleibe in "gesicherten Orten" wie Kasernen und Feldlagern, solle aber über die Basisausbildung hinaus die "operative Einsatzfähigkeit" der verbündeten Streitkräfte durch "militärische Beratung und Ausbildung, einschließlich einsatzvorbereitender Ausbildung, sowie durch Begleitung ohne Exekutivbefugnisse bis zur taktischen Ebene" unterstützen, zitiert die FAZ aus dem Papier. [4]

Der deutsche Anteil an EUTM Mali soll von 350 auf 450 Soldaten erhöht werden - Kostenpunkt 90 Mio. Euro bis Ende Mai 2021 -, wohingegen die Obergrenze der Bundeswehrsoldaten der UN-Mission Minusma in Mali bei 1100 bleibt.

Die Bundeswehr betreibt ihre grundgesetzlich festgelegte Landesverteidigung an 18 Einsatzorten in der Welt, manchmal mehrere tausend Kilometer von der Bundesrepublik Deutschland entfernt. "Verteidigt" wird also etwas anderes als ein geographisches Territorium auf der Landkarte. Schon eher könnte man von einem Wirtschaftsstandort sprechen oder, noch genauer, da umfassender, von der Verteidigung der von der Bundesregierung und den gesellschaftlichen Funktionseliten bevorzugten Produktions- und Reproduktionsverhältnisse Deutschlands.

Zeitgleich damit, daß die BRD finanz-, handels- und wirtschaftspolitisch innerhalb der Europäischen Union ihrer Vorteile gegenüber den zur Peripherie abgestempelten Staaten auszubauen bemüht ist, wie die Unterwerfung Griechenlands unter das Diktat der Troika, aktuell die Absage am Auflegen sogenannter Coronabonds und noch aktueller die Torpedierung der Europäischen Zentralbank durch das Bundesverfassungsgericht zeigen, dürfte dieses Jahrzehnt ganz im Zeichen der Militarisierung nach innen wie nach außen stehen.

Mit der Begründung, daß man sich nicht mehr wie früher auf seinen transatlantischen Partner verlassen kann, strebt das europäische Projekt unter Vorherrschaft Deutschlands eigene imperialistische Vorteilspositionen an. Dazu gehören eben auch sogenannte Stabilisierungsbemühungen. In Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten sollen geordnete Verhältnisse geschaffen werden, damit die Flüchtlingsströme daran gehindert werden, in den klimatisch und wirtschaftlich privilegierten EU-Raum zu migrieren.

Solange aber die Staatsorgane und die Menschen in der Sahelzone von islamischen Fundamentalisten, die sich im Dschihad befinden, attackiert werden, treibt das die Zahl der Flüchtenden, die übers Mittelmeer nach Norden schippern, in die Höhe. Da sei die Bundeswehr vor. Außerdem interessieren sich die Dschihadisten nicht für die "Abwehr" von Flüchtenden, damit diese nicht in die EU "eindringen". Wohingegen die Staaten in Nordafrika und der Sahelregion bereitwillig die Funktion von Vorfeldterritorien zur EU erfüllen und sowohl Flüchtende als auch Drogenschmuggel bekämpfen, weil sie dafür im Gegenzug beispielsweise wirtschaftliche Vorteile erhalten.

Insofern ist Deutschland an stabilen staatlichen Strukturen in der Sahelzone interessiert und entsendet seine Soldatinnen und Soldaten, die dort gemeinsam mit Frankreich und anderen EU-Ländern die militärische Variante der Befriedung erproben. Wobei der Schwerpunkt der Bundeswehr zur Zeit noch darauf liegt, sich in keine aufreibenden Kampfhandlungen zu verstricken, sondern die afrikanischen Kräfte in die Lage zu versetzen, daß sie auf ihrem eigenen Territorium das EU-Projekt "verteidigen".

Das gelingt zunehmend weniger, wie die Menge an teils miteinander konkurrierenden, teils kooperierenden dschihadistische Organisationen in Westafrika zeigt: Boko Haram, Al-Qaida im islamischen Maghreb (AQIM), Ansar Dine, JNIM - Jama'at Nasr al-Islam wal Muslimin (z. Dt.: Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime) -, Islamischer Staat Westafrikanische Provinz (ISWAP), Islamischer Staat im Großraum Sahara (ISGS), Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO). [5]

Die Zahl der Anschläge islamistischer Organisationen in der Sahelregion verdoppelt sich von Jahr zu Jahr. Sie beherrschen ganze Landstriche, treiben Steuern ein, wirtschaften, setzen ihre religiösen Vorstellungen einschließlich der Rechtsauffassung der Scharia durch ... und versorgen die Menschen manchmal besser, als es die Regierungen je getan haben. So mörderisch das Vorgehen der Dschihadisten auch ist, sie ausschließlich als Teufel abzutun, könnte nicht erklären, warum sie so viele militärische Erfolge erzielen, sich immer wieder unerkannt zurückziehen oder umgekehrt auch in großer Zahl heimliche Vorstöße gegen militärische Einrichtungen vornehmen können.

Die Angst vor den Dschihadisten ist in der Sahelregion groß, aber die Kämpfer haben auch freiwilligen Zulauf. Sie sind ein von außen eingebrachtes Produkt, und doch treffen sie hier auf einen Nährboden aufgrund der Verarmung, der ihren Vormarsch von Ost nach West und Nord nach Süd auf dem afrikanischen Kontinent begünstigt.

Die historischen Wurzeln der dschihadistischen Bewegungen gründen unter anderem im Antikolonialismus, dem Widerstand gegen die westliche Vorherrschaft, auch wenn davon inzwischen nicht mehr viel übriggeblieben ist und der Befreiungskampf von anderen Werten wie der Unterwerfung der Menschen unter das Religiöse überprägt wird. Mit Blick auf den anhaltenden Krieg gegen den Terrorismus könnte man erstens fragen, ob das Konstatieren des Kampfs der Kulturen nicht selbigen heraufbeschworen, zumindest aber angefeuert hat, und zweitens, was zuerst da war, der sogenannte Terrorismus in der Sahelzone oder der Kampf gegen den sogenannten Terrorismus in der Sahelzone.

Noch 2005 fragte der Thinktank International Crisis Group (ICG), ob der islamistische Terrorismus im Sahel "Fakt oder Fiktion" ist. Das US-Militär betrachte das Gebiet als neue Front im Krieg gegen Terrorismus, heißt es in einer Analyse der ICG. Zwar gebe es aus der Perspektive der Sicherheit genügend Hinweise, die zu Vorsicht gemahnen und ein stärkeres Engagement des Westens rechtfertigen, "aber der Sahel ist keine Brutstätte terroristischer Aktivitäten". Wenn man allerdings die Dinge falsch anpacke, könnte das den Ausschlag "in die falsche Richtung" lenken. Die in Washington und Brüssel ansässige Denkfabrik empfahl, der Entwicklung der Region eine höhere Priorität einzuräumen als dem Militärischen. [6]

Anscheinend fand die ICG kein Gehör. Die geplante Erweiterung des Bundeswehreinsatzes in Mali, die in der nächsten Woche vom Bundestag abgesegnet werden muß, dürfte die dschihadistischen Organisationen in der Sahelzone nicht sonderlich beeindrucken. Das ginge allenfalls mit einer Einstufung der Region als Kriegsgebiet und dem Kampfeinsatz einer dann sehr viel größeren Truppenzahl internationaler Kräfte. Aber wird das seitens der deutschen Regierung überhaupt gewünscht?

Aus Sicht der deutschen Hegemonialinteressen scheint es wichtiger zu sein, bei den afrikanischen Partnerländern den Eindruck zu erwecken, man nehme ihre Probleme ernst und kämpfe an der gleichen Front. "Auf Augenhöhe" will die deutsche Regierung den afrikanischen Ländern wie Mali, Niger und Tschad begegnen. Daß das eine Täuschung ist, wird an dem riesigen Wohlstandsgefälle zwischen Deutschland (Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 2018: 40.339 Euro) und Mali (Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 2018: 899 Euro) deutlich. Von welcher Augenhöhe sprechen wir hier, wenn der Wohlstand in Deutschland fast 45mal so hoch ist wie in Mali? Wer verteidigt was und für wen?


Fußnoten:

[1] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/spd-vorstoss-grosse-koalition-streitet-ueber-us-atomwaffen-in-deutschland/25796228.html?ticket=ST-4822149-GZzjqhbaowD4rTFCEnFh-ap1

[2] https://www.sueddeutsche.de/politik/verteidigung-der-streit-um-deutsche-gestaltungsmacht-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-191108-99-647514

[3] https://www.brandenburg.de/cms/detail.php/bb1.c.546971.de

[4] https://www.faz.net/2.1677/ausweitung-von-mali-einsatz-deutsche-soldaten-in-fuenf-sahel-staaten-16757031.html

[5] https://magazin.zenith.me/de/politik/organisationen-des-islamischen-staates-afrika

[6] https://www.crisisgroup.org/africa/central-africa/chad/islamist-terrorism-sahel-fact-or-fiction

8. Mai 2020


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