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ASIEN/582: Musharraf beklagt die Destabilisierung Pakistans (SB)


Musharraf beklagt die Destabilisierung Pakistans

David Sanger belastet Pakistans Geheimdienst und Militär


In Pakistan wächst der Unmut über die Politik der USA. Auf Drängen Washingtons liefern sich in den autonomen Stammesgebieten die pakistanischen Streitkräfte mit paschtunischen Milizionären, welche die afghanischen Taliban unterstützen, einen blutigen Konflikt. Weil dies dennoch dem Wiedererstarken der Taliban und ihrer Verbündeten in Afghanistan keinem Abbruch getan hat, führen entweder die CIA oder die US-Streitkräfte oder beide - niemand weiß es genau - per Drohne Raketenangriffe auf mutmaßliche Unterschlupfe der afghanischen Taliban in der Grenzregion Pakistans durch und töten dabei Dutzende, wenn nicht sogar Hunderte von Zivilisten. Seit der Demokrat Barack Obama von dem Republikaner George W. Bush die US-Präsidentschaft übernommen hat, nimmt die Häufigkeit solcher Angriffe zu.

Bei einem US-Raketenangriff am 14. Februar auf drei Gehöfte in Südwasiristan starben 30 Menschen, während eine ähnliche Aktion am 16. Februar in dem grenznahen Gebiet Kurram mindestens 18 Personen das Leben kostete. Nur wenige Tage zuvor hatte sich Obamas Sondergesandter Richard Holbrooke die Proteste zahlreicher pakistanischer Politiker und Bürger gegen solche Maßnahmen anhören müssen. Die Ankündigung Holbrookes, er sei gekommen, um den Menschen in der Region "zuzuhören", darf angesichts der Rücksichtslosigkeit, mit der die USA die Raketenangriffe weiterhin forcieren, zu den leeren Versprechungen Obamas und seiner Regierung gezählt werden. Für eine heftige Kontroverse sorgte in Pakistan gegen Ende des Holbrooke-Besuchs Dianne Feinstein, die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Senats in Washington, mit der Bemerkung, die eingesetzten Drohnen starteten von Stützpunkten auf pakistanischem Territorium aus. Damit hat die Demokratin aus Kalifornien die Regierung in Islamabad, die stets behauptet, die Angriffe würden von Afghanistan aus ausgeführt, in eine Vertrauenskrise bei der eigenen Bevölkerung gestürzt.

Einen weiteren Grund für die Verärgerung in Pakistan stellt das Buch "The Inheritance: The World Obama Confronts and the Challenges to American Power" aus der Feder von David Sanger dar, das im Januar in den USA erschienen ist. In dem Buch wirft der Washingtoner Korrespondent der New York Times der Führung des Militärs und Geheimdienstes Pakistans und mit ihnen dem Ex-Präsidenten Pervez Musharraf vor, gegenüber dem Verbündeten USA jahrelang ein "falsches Spiel" gespielt zu haben. Demnach wäre die politische und militärischen Führung in Islamabad respektive Rawalpindhi nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 nur zum Schein auf die Forderung Washingtons eingegangen, hätte eine Milliardenhilfe eingestrichen und dennoch die Kontakte zu den Taliban und den anderen Elementen des afghanischen Widerstands niemals richtig abgebrochen, sondern über diese ihre schützende Hand gehalten.

Sanger, dessen Verbindungen zum Sicherheitsapparat in Washington legendär sind, berichtet im Buch unter anderem von einem - vermutlich von der National Security Agency (NSA) abgefangenen - letztjährigen Telefongespräch, bei dem der pakistanische Generalstabschef Ashfak Kajani zu hören sein soll, wie dieser den afghanischen Milizenführer Jalaluddin Hakkani als "strategischen Aktivposten" bezeichnet. Eine Abschrift des angeblich schlagenden Beweises für das Doppelspiel der Pakistaner soll im Mai 2008 der damalige Director of National Intelligence (DNI), Mike McConnell, erhalten haben. Später wollen die Amerikaner weitere Telefonate abgefangen haben, auf denen zu hören gewesen sein soll, wie pakistanische Militärs Hakkani rechtzeitig vor einer gegen seine Gruppe gerichteten Operation warnten. Nur zwei Wochen später, am 7. Juli nämlich, sollen die Männer Hakkanis mit Hilfe des pakistanischen Geheimdienstes Inter-Services Intelligence (ISI) einen Autobombenanschlag auf die indische Botschaft in Kabul verübt haben. Bei diesem schwersten Bombenschlag in der afghanischen Hauptstadt seit dem Sturz der Taliban Ende 2001 wurden 58 Menschen getötet und mehr als 140 verletzt. Hakkanis Kämpfer sollen es auch gewesen sein, die am 19. August bei einem Überfall unweit von Kabul zehn französische Soldaten töteten und 21 verletzten.

Die Vorwürfe Sangers, welche die Drohnenangriffe der USA auf Ziele in Pakistan offenbar legitimieren sollen, wiegen unter anderem deshalb so schwer, weil General Kajani, der Ende 2007 von Musharraf den Posten des Generalstabschefs übernahm, in den USA ausgebildet wurde und als Vertreter der pro-westlichen Fraktion - im Unterschied zur islamistischen Fraktion - im pakistanischen Offizierskorps gilt. Folglich wundert es nicht, daß Musharraf bei einer Begegnung mit Sanger am 16. Februar beim pakistanischen Nachrichtensender Geo TV die Gelegenheit genutzt hat, sich energisch gegen die Schilderungen des NYT-Reporters zur Wehr zu setzen. Musharraf bestritt, die Ende 2007 ermordete Benazir Bhutto jemals auch nur indirekt bedroht zu haben. Seinerseits behauptete er, die Angaben Sangers beruhten nicht auf Tatsachen, sondern seien eine "grobe Verzerrung" der Wirklichkeit. Er erklärte kategorisch, er habe "niemals ein falsches Spiel" gespielt, und wies auf die mehr als 2000 pakistanischen Soldaten hin, die in den letzten Jahren im Kampf gegen Militante in der Grenzregion zu Afghanistan ihr Leben verloren haben. Indirekt warf er Sanger vor, Teil einer "großen Verschwörung", "um die pakistanische Armee und den ISI und damit Pakistan zu schwächen", zu sein.

Das Mißtrauen Musharrafs gegüber Sanger ist mehr als begründet. Der Washingtoner Insider hat sich während der Ära George W. Bushs zusammen mit seiner damaligen, inzwischen völlig diskreditierten NYT-Kollegin Judith Miller als einen der wichtigsten Verbreiter diverser Gruselgeschichten der CIA, des Pentagons und des Weißen Hauses hinsichtlich der vom der Achse des Bösen - dem Irak Saddam Husseins, dem Iran der Mullas und Kim Jong-ils Nordkorea - ausgehenden Bedrohungen hervorgetan. Seit Ende letzten Jahres vertritt er energisch die These, daß Pakistan mit seinem Atomwaffenarsenal und seinen islamistischen Milizionären die derzeit größte Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA darstellt.

18. Februar 2009