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ASIEN/593: Pakistan wirft Indien Einmischung in Belutschistan vor (SB)


Pakistan wirft Indien Einmischung in Belutschistan vor

Militärische und politische Führung Pakistans in der Zwickmühle


Nach der Vereinbarung eines Friedensabkommens am 13. April zwischen den pakistanischen Taliban und der Regierung in Islamabad, das die Einführung der Scharia in dem in der Nähe der Grenze zu Afghanistan liegenden Swat-Tal und den Abzug der regulären Streitkräfte von dort zur Folge hatte, geht die Angst um, daß die radikalislamischen Kräfte in Pakistan auf dem Vormarsch sind und über kurz oder lang den ganzen Staat - samt dessen Atomwaffenarsenal - unter ihre Kontrolle bringen könnten. Am 22. April hat US-Außenministerin Hillary Clinton der Regierung in Islamabad vorgeworfen, sich mit dem Friedensabkommen von Swat aus ihrer Verantwortung "gestohlen" zu haben, und bezeichnete die aktuelle Entwicklung in Pakistan als "tödliche Bedrohung" für die ganze Welt. Am folgenden Tag sprach US-Verteidigungsminister Robert Gates unter Hinweis auf den gewaltsamen Vormarsch der Gotteskrieger von Swat nach Buner, das nur 100 Kilometer von der Hauptstadt Islamabad liegt, von einer "existenziellen" Bedrohung des Staates Pakistan und appellierte an die Politiker und Militärs dort, endlich drastische Schritte zu unternehmen, um die Lage wieder unter ihre Kontrolle zu bringen.

Dies dürfte für die politische Führung in Islamabad und die Generalität in Rawalpindhi sehr schwer sein. Wie man in den letzten zwei Jahren gesehen hat, haben die holzhammerartigen Bemühungen der pakistanischen Streitkräfte, die afghanischen Taliban aus der Grenzregion zu vertreiben, um so den NATO-Truppen im Nachbarland zu helfen, zusammen mit den tödlichen Drohnenangriffen der USA auf mutmaßliche "terroristische" Unterschlüpfe in Pakistans Nordwestfrontierprovinz (NWFP) und Federally Administered Tribal Areas (FATA) die Menschen in der betroffenen Region gerade in die Arme der Stammeskrieger getrieben und die Zentralregierung in den Augen der Bevölkerung des ganzen Landes diskreditiert. Viele Pakistaner, auch diejenigen, die für die Radikalislamisten wenig übrig haben, werfen den Verantwortlichen in Islamabad, allen voran dem Präsidenten Ali Asif Zardari, vor, sich wie willfährige Marionetten der USA zu verhalten und nicht konsequent genug die Interessen der eigenen Landsleute zu vertreten.

Inwieweit die pakistanischen Generalität zu einem energischen Vorgehen gegen die islamischen Militanten bereit ist, muß sich noch zeigen. Seit der Ära des Diktators Zia ul-Haq in den siebziger und achtziger Jahren hat sich der fundamentalistische Islam innerhalb Pakistans Streitkräfte sehr verbreitet. Des weiteren betrachtet Rawalpindhi die afghanischen Taliban und die Aufständischen in Kaschmir nach wie vor als potentielle oder tatsächliche Verbündeten, um die befürchtete Umzingelung durch Indien zu verhindern oder zumindest ihr entgegenzuwirken. Gerade diese existenzielle Angst vor dem großen Nachbar dominiert das strategische Denken von Pakistans Politikern und Militärs. Dies zeigt sich vor drei Tagen, als es aus der Garnisonsstadt Rawalpindi hieß, man könne keine zusätzlichen Truppen nach Buner entsenden, da alle Soldaten an der östlichen Front zu Indien gebraucht würden.

Einen noch deutlicheren Beweis für den Ausmaß der pakistanischen Ängste vor Indien lieferte ein bemerkenswerter Auftritt von Rehman Malik, De-Facto-Innenminister in der Regierung von Premierminister Yousaf Raza Gilani, am 23. April vor dem pakistanischen Parlament. Hinter verschlossen Türen trug Malik einen Bericht über die Lage in Belutschistan, wo es vor kurzem zu schweren Unruhen und dem gewaltsamen Tod von drei Lokalpolitikern gekommen war. Nach pakistanischen Presseberichten legte Malik den Abgeordneten "dokumentarische Beweise" dafür vor, daß ausländische Mächte, allen voran Indien, hinter den Aktivitäten separatistischer Gruppen in Belutschistan steckten. Er behauptete, daß sich Brahmandagh Bugti, der Chef der Befreiungsarmee Belutschistans, in Afghanistan verstecke und daß Präsident Zardari gegenüber seinem Amtskollegen in Kabul, Hamid Karsai, vergeblich wegen diesen Umstandes beschwert hätte.

Die Provinz Belutschistan, die im Nordosten an Afghanistan, im Westen an den Iran und im Süden an das Arabische Meer grenzt, ist wegen seiner geographischer Lage und seines großen Reichtums an Mineralien und Erdgas von enormer strategischer Bedeutung. Dort bauen die Chinesen mit einem Milliardenaufwand die Küstenstadt Gwadar zu einem Tiefseehafen aus. Die nördliche Stadt Quetta gilt als Operationsbasis der Führung der afghanischen Taliban und möglicher Versteck von Al-Kaida-Chef Osama Bin Laden. Deswegen drohen die Amerikaner seit einiger Zeit damit, auch in Belutschistan Drohnenangriffe durchzuführen, sollten die pakistanischen Streitkräfte dort nicht gegen die Taliban vorgehen. Doch wegen der schier Größe von Belutschistan mit seinem hohen Gebirgen und vielen Wüsten scheut sich die pakistanische Militärführung dieser Herkules-Aufgabe. Angesichts der vielen Probleme, mit der sich Islamabad konfrontiert sieht - Taliban-Offensive im Innern, Druck seitens der USA, Bedrohung durch Indien, separatistische Umtriebe in Belutschistan, schwächelnde Volkswirtschaft - ist die grassierende Angst vor einem Kollaps des pakistanischen Staates mehr als begründet.

25. April 2009