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ASIEN/598: Erneuter Atomtest Nordkoreas eine Folge der Ära Bush (SB)


Erneuter Atomtest Nordkoreas eine Folge der Ära Bush

Verschleppung des Atomstreits zieht Kriegsgefahr nach sich


Mit dem erfolgreichen Atomtest am 25. Mai hat sich Nordkorea auf der internationalen Bühne endgültig als Nuklearmacht etabliert. Der erste unterirdische Atomtest der Nordkoreaner am 9. Oktober 2006 war mißlungen und wies deshalb nur eine geringe Sprengkraft auf. Der zweite jedoch erzeugte im nordöstlichen Bezirk Kilju, unweit der Grenze zur Volksrepublik China, ein Erdbeben der Stärke 4,7 auf der Richterskala. Experten gehen deshalb davon aus, daß die erste erfolgreich gezündete, nordkoreanische Atombombe eine Sprengkraft von 20 Kilotonnen entfaltet hat und somit mit derjenigen, die im August 1945 die japanische Stadt Nagasaki zerstörte, zu vergleichen wäre. Parallel zum Atomtest haben die nordkoreanischen Streitkräfte mehrere Kurzstreckenraketen getestet. Offenbar will Pjöngjang militärische Stärke demonstrieren. Die Frage lautet nur, warum und wieso gerade jetzt?

Zur Begründung des provokanten Schritts hat die nordkoreanische Regierung auf die Haltung der Administration des neuen US-Präsidenten Barack Obama hingewiesen, die nach Angaben Pjöngjangs diesem gegenüber weiterhin die "rücksichtslose Politik" des Vorgängers George W. Bush fortsetzt. Der nordkoreanischen Regierung dürfte nicht verborgen geblieben sein, daß Obama "persönlich" - wie die New York Times am 9. Februar berichtete - Stuart Levey, der unter Bush im Finanzministerium für die Konzipierung und Formulierung von Sanktionsmaßnahmen gegen sogenannte "Schurkenstaaten" zuständig war, gebeten hatte, weiterhin den Posten des "Staatssekretärs für Terrorismus und Finanznachrichten" zu bekleiden. Gerade Levey war es, der im September 2005, gerade nachdem sich Pjöngjang prinzipiell zur nuklearen Abrüstung bereiterklärt hatte, mit der Verhängung von Sanktionen gegen die Banco Delta Asia in Macao, über die Nordkorea einen Großteil seines Außenhandels abwickelte, die endgültige Beilegung des Atomstreits erfolgreich verhinderte. Bis heute hat das Finanzministerium in Washington keinen einzigen Beweis für die damals gegen Nordkorea und die Banco Delta Asia erhobenen Vorwürfe der Geldwäsche und des Handels mit gefälschten Dollarscheinen vorgelegt.

In Pjöngjang war man verärgert und enttäuscht über die heftige Reaktion Washingtons auf den Start einer nordkoreanischen Rakete am 5. April. Während es sich für die Nordkoreaner um den Versuch handelte, einen Satelliten in die Erdumlaufbahn zu bringen - was offenbar auch mißlungen ist -, legten die Amerikaner den Vorgang als Test einer ballistischen Langstreckenraketen aus und erreichten, daß deshalb Pjöngjang in einer Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen wegen angeblicher Gefährdung der internationalen Stabilität verurteilt wurde. Bereits am 29. April wiesen die Nordkoreaner die Rüge zurück und warnten ihrerseits vor einem Atombombentest als Antwort auf die feindliche Haltung Washingtons.

Tatsächlich ist der Aufstieg Nordkoreas zur Atommacht eine Spätfolge der Ära Bushs und seiner neokonservativen Militaristenklique. Während Bill Clinton und Madeleine Albright 2000 fast ein formelles Ende des seit 1953 lediglich im Waffenstillsstand befindlichen Koreakrieges ausgehandelt hatten, wandelte sich mit dem Einzug Bushs ins Weiße Haus im Januar 2001 alles zum Schlechteren. Durch offene Drohungen und bösartige Unterstellungen sorgten Bush und Konsorten - was auch ihre Absicht war - dafür, daß sich die Sonnenscheinpolitik des damaligen südkoreanischen Präsidenten, des Friedensnobelpreisträgers Kim Dae-jung, und seines Amtsnachfolgers Roh Moo-hyun, die auf eine Versöhnung zwischen Pjöngjang und Südkorea und eine friedliche Vereinigung der beiden Teile Koreas abzielte, niemals richtig entfalten konnte. Der Atomstreit, der sich unter anderem deshalb über Jahre hinzog, weil die USA bilaterale Verhandlungen mit Nordkorea ablehnten und die Vertreter Pjöngjangs lediglich im Rahmen der Sechsergespräche, an denen auch Repräsentanten Chinas, Japans, Rußlands und Südkoreas beteiligt waren, begegnen wollten, sorgte dafür, daß die Südkoreaner den Glauben an die Sonnenscheinpolitik Kims und Rohs verloren und 2008 mit Lee Myung-bak wieder einen Konservativen zum Staatsoberhaupt und Regierungschef wählten.

Seit der Wahl Lees haben sich in den letzten 15 Monaten die Beziehungen zwischen Nord- und Südkorea drastisch verschlechtert. Lee hat die von Kim und Roh initiierten Hilfslieferungen mehrerer Hundertausend Tonnen Getreide und Düngemittel an Nordkorea eingefroren. Als Reaktion hat Nordkorea damit gedroht, den gigantischen gemeinsamen Industriepark Kaesong, wo zahlreiche südkoreanische Unternehmen produzieren lassen und dabei von den niedrigen nordkoreanischen Löhnen profitieren, zu schließen. Die Tatsache, daß zwei Tage vor dem nordkoreanischen Atomtest der Ex-Präsident Roh sich mit einem Sprung von einer Klippe das Leben genommen hat, hat sein Nachfolger Lee in Schwierigkeiten gebracht. Viele Südkoreaner sehen in den überzogenen Korruptionsvorwürfen gegen Roh, die diesen in den Tod getrieben haben, den Versuch Lees die Sonnenscheinpolitik zu diskreditieren und die eigene konfrontative Haltung gegenüber Pjöngjang zu rechtfertigen.

Für den nordkoreanischen Atomtest dürfen auch innenpolitische Gründe eine wichtige Rolle gespielt haben. Im letzten August soll das Staatsoberhaupt Kim Jong-il einem Schlaganfall erlitten haben. Obwohl sich der 67jährige Kim einigermaßen erholt zu haben scheint, hält sich seitdem hartnäckig die Frage nach der Nachfolgeschaft. Als aussichtsreichster Nachfolger wird Kims dritter und jüngster Sohn Kim Jong-un, der vor kurzem in das allmächtige Nationale Verteidigungskomitee berufen wurde, aber erst 26 Jahre alt ist, gehandelt. Auch wenn der Atomtest nicht zwingend Kim Jong-ils Nachfolgeschaft regelt, auf alle Fälle darf man ihn als Versuch Pjöngjangs bewerten, sich einen gewissen Freiraum für den kommenden Macht- und Generationswechsel zu verschaffen. Mit dem erfolgreichen Test werden die USA vor möglichen Versuchen eines "Regimewechsels" gewarnt.

Leider ist es so, daß jede Provokation in Ostasien angesichts der ohnehin angespannten zwischenstaatlichen Beziehungen in der Region schwere politische Folgen nach sich zieht. So hat Nordkoreas jüngster Atomtest die Lee-Regierung in Seoul dazu bewogen, als 45. Staat der Proliferation Security Initiative (PSI) der USA beizutreten. Dies könnte zur Folge haben, daß demnächst südkoreanische Kriegsschiffe auf der Jagd nach "Massenvernichtungswaffen" und Raketenteilen versuchen nordkoreanische Frachter aufzubringen und zu durchsuchen. Nicht umsonst hat Nordkorea nach der entsprechenden Ankündigung Seouls den Waffenstillstand auf der koreanischen Halbinsel für beendet erklärt. Während dessen tobt in Japan eine hysterische Wiederbewaffnungsdebatte, bei der sich Nippons Militaristen für die Beschaffung eines eigenen Atomwaffenarsenals stark machen. Ein solcher Schritt würde vermutlich ein nukleares Wettrennen zwischen Peking und Tokio auslösen. Bedenkt man den Unterschied zwischen der Lage in Ostasien, die Bush jun. von Clinton geerbt hat, und der, die ersterer Obama überlassen hat, so kann man zweifelsohne sagen, daß sich der Republikaner aus Texas acht Jahre lang wie der Elefant im Porzellanladen benommen und der Welt erfolgreich eine diplomatische Trümmerlandschaft hinterlassen hat.

27. Mai 2009