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ASIEN/621: Schutzgeldvorwürfe belasten NATO in Afghanistan (SB)


Schutzgeldvorwürfe belasten NATO in Afghanistan

Finanziert die NATO den afghanischen Widerstand?


Ein Bericht der Londoner Times vom 15. Oktober, wonach die italienischen Streitkräfte in Afghanistan "zehntausende Dollar" an Schutzgelder an Aufständische in der Provinz Surobi, östlich der Hauptstadt Kabul, bezahlten, es aber versäumten, ihren französischen Kameraden darüber in Kenntnis zu setzen, als diese im Sommer 2008 die Verantwortung für den Bezirk übernahmen, hat heftige Dementis aus Brüssel, Paris, Rom und Washington ausgelöst. Das verwundert wenig. Schließlich hieß es im Times-Artikel, das Versäumnis der Italiener, den Franzosen über die geheimen Transferleistungen an die Taliban und ihre Verbündeten - Geld gegen Frieden - in Kenntnis zu setzen, soll der wesentliche Grund für den Überfall gewesen sein, der am 18. August 2008 neun französischen Fallschirmjägern und einem Mitglied der Fremdenlegion das Leben kostete. 21 weitere Soldaten wurden verletzt. Es waren die höchsten Verluste, welche die NATO-Streitkräfte seit dem Einmarsch in Afghanistan im Oktober 2001 bei Bodenkämpfen und welche die Franzosen seit einem Bombenanschlag auf einen Stützpunkt in der libanesischen Hauptstadt Beirut im Jahre 1983 - damals 58 Tote - erlitten hatten.

Nur wenige Tage vor der Veröffentlichung des Times-Artikels hatte der Radiosender NDR Info international für Schlagzeilen mit der Meldung gesorgt, ein Großteil derjenigen 10.000 Pistolen vom Typ Walther P1, welche das Bundesverteidigungsministerium der Regierung in Kabul zur Ausrüstung von Offizieren der afghanischen Armee und Polizei hatte zukommen lassen, befinde sich nicht mehr im staatlichen Besitz, sondern werde auf dem Schwarzmarkt in Afghanistan und den Stammesgebieten auf der anderen Seite der pakistanischen Grenze feilgeboten. Beide Meldungen, die der Times und von NDR Info, weisen auf ein Problem, das jede Besatzungsarmee in einem fremden Land hat. Nicht nur sympathisiert oder arbeitet ein nicht geringer Teil der eigenen Lokalverbündeten mit den Aufständischen, sondern die Bemühungen der Besatzer Wohlwollen zu erkaufen, läßt die Korruption erblühen und untergräbt die Legitimität des Marionettenregimes.

In einem Kommentar, das am 16. Oktober bei Antiwar.com erschienen ist, hat Kelley Beaucar Vlahos die umstrittenen Zahlungen des italienischen Geheimdienstes an die Taliban als "die Spitze des Eisberges" bezeichnet. Die Einschätzung von Beaucar Vlahos ist wohlbegründet. In der Oktober-Ausgabe der Zeitschrift American Conservative hat sie unter der Überschrift "The Taliban's Toll - How American taxpayer dollars are being used to fund our Afghan enemies", zu deutsch "Die Maut der Taliban - Wie amerikanische Steuergelder benutzt werden, um unsere afghanische Feinde zu finanzieren", den bisher am wenigsten beleuchteten Aspekt der Finanzierung und Ausrüstung der Männer um Mullah Muhammed Omar, Gulbuddin Hekmatjar und Jalaluddin Hakkani eingehend untersucht. Das Ergebnis ist erschreckend.

Nach Einschätzungen von Beaucar Vlahos, die mit NATO-Militärs, Vertretern von Hilfsorganisationen in Afghanistan sowie Eignern und Mitarbeitern derjenigen Unternehmen, welche den Nachschub für die westlichen Truppen am Hindukusch organisieren und aufrechterhalten, gesprochen hat, bekommen die Taliban neben ihren Einkünften aus dem Opiumhandel und ihren Spenden aus der arabischen Welt eine Milliarde Dollar pro Jahr an Schutzgeld von den Auftragsunternehmen der NATO in Afghanistan - einheimische genauso wie ausländische. Die Washingtoner Reporterin bezeichnet die verzwickte Lage am Hindukusch deshalb als ein "sich selbst erhaltendes Desaster". Daran wird die von NATO-Oberbefehlshaber, US-General Stanley McChrystal, geforderte Truppenaufstockung um mindestens 40.000 Soldaten - sollte Präsident Barack Obama sie bewilligen - nur noch verschlimmern.

17. Oktober 2009