Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

ASIEN/646: Sturm auf Mardschah gerät zum langwierigen Häuserkampf (SB)


Sturm auf Mardschah gerät zum langwierigen Häuserkampf

Der Stadt Mardschah droht zum Falludschah Afghanistans zu werden


Als erster Test der neuen Af-Pak-Strategie der Regierung Barack Obamas war die Offensive auf die 80.000 Bewohner zählende Stadt Mardschah in der südafghanischen Provinz Helmand groß angekündigt worden. Aus dem Zentrum des Opiumhandels in der Region sollten die Taliban so schonend wie möglich vertrieben werden, damit die regulären afghanischen Behörden dort die Verwaltung übernehmen, für Ruhe und Ordnung sorgen und somit die Bevölkerung auf die Seite von Präsident Hamid Karsai und dessen Verbündeten von der NATO ziehen. Eine Woche nach dem Auftakt der Offensive am 13. Februar zieht sich diese immer mehr in die Länge. Der große Sturm der rund 15.000 afghanischen und westlichen Soldaten auf Mardschah ist ins Stocken geraten. Ein baldiges Ende ist nicht in Sicht.

Angesichts des mächtigen Truppenaufmarsches und der für die Fernsehzuschauer in aller Welt mit vielen Hubschraubern groß inszenierten Auftakts der Operation Moschtarak ("Zusammen" auf Dari) hat man zunächst den Eindruck bekommen, die Kämpfe würden nicht lange dauern, die Taliban würden nur kurz etwas Widerstand leisten, bevor sie sich gemäß der bewährten Guerilla-Strategie der offenen Auseinandersetzung mit der zahlenmäßig und rüstungstechnologisch überlegenen Streitmacht auswich. Die schnelle Eroberung des nördlichen Teils und des Zentrums der Stadt durch die Gegner der Taliban hat diesen Eindruck verstärkt. Doch jetzt sitzen die NATO-Soldaten mit ihren afghanischen Verbündeten in Mardschah fest, müssen um jeden Haus kämpfen und kommen nur langsam voran. Überall liegen Minen und Sprengfallen. Aus allen erdenklichen Richtungen schießen Heckenschützen. Hatte die NATO anfangs die Zahl der Taliban-Kämpfer auf 400 geschätzt, so ist nun von bis zu 1000 Mann die Rede, die offenbar die Eroberung Mardschahs zu einer teueren Angelegenheit für die Gegenseite machen wollen.

In einem Artikel, der am 19. Februar beim britischen Guardian erschien ist, berichteten US-Marineinfanteristen vor Ort, die Taliban-Kämpfer leisteten "zähen Widerstand". Bisher sind nach offiziellen Angaben zwölf NATO-Soldaten - allein sechs davon am 18. und 19. Februar -, ein Mitglied der afghanischer Armee und 40 Taliban gefallen sein. Bereits am 18. Februar hatte der britische Generalmajor Nick Carter, Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte im Süden Afghanistans, vor "Triumphalismus" gewarnt und angekündigt, daß die Vertreibung der Aufständischen aus Mardschah weitere "25 bis 30 Tage dauern" könnte.

Der erbitterte Widerstand der Taliban macht das offizielle, vom ISAF- Oberkommandierenden, US-General Stanley McChrystal, herausgegebene Ziel der Operation Moschtarak, nämlich die Verschonung der Zivilbevölkerung, um deren "Herzen und Seelen" zu erobern, zum Wunschtraum. Inzwischen ist genau das eingetreten, was die NATO- Generäle angeblich nicht wollten, nämlich ein langwieriger Häuserkampf, ähnlich dem, den die US-Streitkräfte Ende 2004 mit sunnitischen Rebellen im irakischen Falludschah lieferten und an dessen Ende jene Stadt weitestgehend zerstört war. Bisher sollen die Angreifer 17 Zivilisten getötet haben - 12 davon beim Beschuß eines Wohnhauses mit einer Boden-Boden-Rakete der US-Marineinfanterie am zweiten Tag der Offensive. Mit weiteren Verlusten unter der Zivilbevölkerung ist zu rechnen.

Seitens der NATO und der afghanischen Militärbehörden wird behauptet, die Taliban nutzten Zivilisten als "menschliche Schutzschilde" und brachten sie damit ins Lebensgefahr. Die Aufständischen bestreiten dies vehement. Klar dürfte jedoch sein, daß je länger die Kämpfe anhalten, um so höher die Zahl der zivilen Opfer und je größer die Schäden an deren Häuser ausfallen werden. Während Generalmajor Carter meinte, es sei "noch zu früh, um sagen zu können", wie die Einwohner Mardschahs auf die Vertreibung der Taliban und den Einzug der NATO und der Behörden Karsais "reagieren werden", dürfte sich die Dankbarkeit der einfachen Menschen, daß ihre Heimat zum ersten Testobjekt der neuen Aufstandsbekämpfungstrategie Obamas und McChrystals wurde, in Grenzen halten.

20. Februar 2010