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ASIEN/661: US-Spezialkräfte setzen sich in Nordafghanistan fest (SB)


Besatzungsarmee errichtet Kommandozentrale in Masar-i-Scharif


Freiwillig werden die Vereinigten Staaten ihr Besatzungsregime in Afghanistan nicht beenden, wie nicht zuletzt die Errichtung einer Kommandozentrale für Spezialeinheiten im Norden des Landes belegt. Laut der auf einer Website der US-Regierung veröffentlichten Ausschreibung sind für das Bauvorhaben in der Stadt Masar-i-Scharif 100 Millionen Dollar veranschlagt, wobei das Projekt eine Befehlszentrale, eine Sanitätsstation, Unterkünfte für die Soldaten und ein Trainingsgelände vorsieht. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 sind die Haushaltsmittel für Spezialeinheiten bei den US-Streitkräften von 2,2 Milliarden Dollar auf neun Milliarden Dollar gestiegen, wobei Präsident Barack Obama den Etat auf 9,8 Milliarden Dollar erhöhen will. [1]

Die geplante Kommandozentrale ist nur einer von mehreren aufwendig ausgestatteten Stützpunkten der US-Streitkräfte am Hindukusch, zu denen sich der personell größte Außenposten der CIA gesellen wird. Bei diesen Einrichtungen handelt es sich offensichtlich nicht um Feldlager, die befristet betrieben werden, sondern dauerhaft konzipierte Komplexe, von denen aus die strategisch überaus wichtige Region zwischen Rußland, China, dem Iran und Pakistan künftig kontrolliert werden soll.

Zugleich unterstreicht diese Zentrale für Spezialeinheiten die wachsende Bedeutung verdeckter Einsätze in sogenannten asymmetrischen Kriegen, also dem Versuch militärisch weit überlegener Mächte, den Guerillakrieg zu ihren Gunsten zu entscheiden. Sieht man von allen euphemistischen oder beschönigenden Umschreibungen ab, handelt es sich de facto um Mörderbanden, die im Regierungsauftrag, doch ohne jede parlamentarische oder juristische Kontrolle ihr Unwesen treiben. Im Unterschied zu Paramilitärs stellen Spezialeinheiten keine Auslagerung der Staatsgewalt oder neoimperialistischen Aggression an private Akteure, sondern entuferte Gewaltausübung hochspezialisierter Teile der regulären Streitkräfte dar. Auch dies belegt, daß zwar erhebliche Aufgaben auf afghanische Polizei- und Militärkräfte umgelastet werden sollen, zentrale Zugriffsmöglichkeiten jedoch auf lange Sicht in Händen der Besatzungsmächte verbleiben sollen.

Wenn sich diese Form der Kriegsführung dauerhaft im Norden Afghanistans etabliert, so zielt dies nicht nur auf die Bekämpfung der wachsenden Widerstandsbewegung im Lande selbst, sondern darüber hinaus auf die angrenzende Region ab. Zwar hat die Bundeswehr nach offizieller Lesart nach wie vor die Befehlsgewalt in den nördlichen Provinzen, doch ist weder bekannt, was ihre eigenen KSK-Kräfte im einzelnen treiben, noch in welcher Form sie mit den US-Spezialeinheiten zusammenarbeiten und wie sich dies wiederum im Verhältnis zu den regulären Truppenkontingenten gestaltet. Daß es dabei unvermeidlich zu gewissen Widersprüchen und Gegenläufigkeiten kommt, liegt auf der Hand: Wenn deutsche Soldaten bei Tag den Eindruck zu erwecken versuchen, sie seien zum Schutz der Zivilbevölkerung stationiert, des Nachts aber Spezialkommandos dieselbe Bevölkerung überfallen, um sie zu töten, zu foltern und zu verschleppen, ist die daraus resultierende Dissonanz weder ein Problem der Afghanen, noch der Vermittlung, sondern von der politischen und militärische Führung mindestens in Kauf genommen und deren involviertesten Fraktionen sicherlich auch gewollt.

Vieles in diesem Zusammenhang mutet nur auf den ersten Blick kontraproduktiv an, läßt sich aber im Sinne einer langfristigen Schrittfolge durchaus als nachvollziehbar und plausibel entschlüsseln. Zum einen ruft das unterschiedliche Ausmaß der Kriegsbeteiligung Spannungen unter den Besatzungsmächten hervor, die von diesen produktiv gewendet werden. Beispielsweise grenzte sich das deutsche Engagement anfangs entschieden von dem US-amerikanischen und britischen ab, da man mit Rücksicht auf die deutsche Geschichte und das Grundgesetz zunächst nicht mit der Tür ins Haus einer verfassungswidrigen Beteiligung an einem noch dazu gegen das Völkerrecht verstoßenden Krieg am fernen Hindukusch fallen konnte, ohne die Bundesbürger zu verprellen. Heute ist allenthalben zu lesen, die Bundeswehr sei endlich im Afghanistankrieg angekommen, wobei man Politiker und Militärs auch noch dafür lobt, dies mehr oder minder offen auszusprechen.

Zweifellos hat die US-Führung kaum ein Mittel unversucht gelassen, um die Verbündeten immer tiefer in diesen Krieg zu ziehen. Ebenso sicher ist aber auch, daß deutsche Regierungen und Parteien sich nur zu gern hineinziehen ließen, um den Eindruck zu erwecken, sie hätten diesen Waffengang weder gewollt noch begonnen, müßten nun aber wohl oder übel der Bedrohungslage Rechnung tragen. Nicht nur die Boulevardpresse fordert heute unverblümt, daß sich "unsere Soldaten" in Afghanistan angemessen verteidigen müßten, weshalb die Verlegung schweren Kriegsgeräts weithin begrüßt wird. Von der Linkspartei abgesehen befürworten alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien den Krieg, wobei man sich allenfalls Scheingefechte um fiktive Abzugsdaten, angebliche Affären oder Hindernisse für eine effektive Gestaltung des Waffengangs liefert.

Da sich die Besatzungsmächte mit einem Guerillakrieg konfrontiert sehen, können sie den Widerspruch zwischen der angestrebten militärischen Kontrolle auf der einen, und der Gewinnung der Bevölkerung auf der anderen Seite unmöglich lösen. Als Aggressor zu kommen, sich als Besatzungsregime zu konsolidieren und am Ende als Freund in den Stützpunkten zu bleiben, ist eine krude Mixtur, bei der die Propaganda an die Stelle substantieller Analysen und Bewertungen tritt. Dennoch müssen diese Kriege aus Sicht der USA und ihrer Verbündeten geführt werden, da sie im Kontext raubgetriebener Besetzung der entscheidenden Felder keine andere Wahl haben, als ihren Konkurrenten zuvorzukommen.

Daß die Besatzungsmächte an fragwürdigen Figuren wie Präsident Hamid Karsai festhalten, der sich gemessen an den hehren Ansprüchen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit schon hundertmal diskreditiert hat, erklärt sich daraus, daß man diesen Statthalter erstens selbst aus der politischen Taufe gehoben und zweitens keinen geeigneteren Ersatz gefunden hat. Karsai hat nun nach dem Ende der Friedensversammlung in Kabul erste Konsequenzen gezogen und eine Überprüfung der Haftgründe für alle Taliban-Kämpfer in den Gefängnissen des Landes angekündigt. Er reagierte damit auf eine Empfehlung der "Friedens-Dschirga" und wies in einem Dekret das Justizministerium an, die Häftlinge freizulassen, sofern sich der Verdacht gegen sie nicht erhärten läßt. [1]

Dieser Schritt dürfte die Besatzungsmächte dem Schein nach auf die Palme bringen, was Karsai auf der Habenseite vorgeblicher Interessenvertretung seiner Landsleute verbuchen kann. Wie sich bei näherer Prüfung zeigt, hatte die Ratsversammlung ihre Empfehlung allerdings auch auf die Häftlinge in US-Gefängnissen bezogen, die der Präsident mit keinem Wort erwähnt. Karsai beweist also einmal mehr beträchtliches Geschick, Fortschritte auf dem Weg zum vielzitierten Friedensprozeß vorzutäuschen und dabei Opposition gegen die westlichen Mächte zu simulieren, um seine doppelgesichtige Stellung als unentbehrlicher Kollaborateur zu behaupten. Da die dreitägige Versammlung von der Regierung gesteuert war, die durch die Auswahl der eingeladenen Teilnehmer das gewünschte Ergebnis vorbahnte, stand ihr die Bevölkerung eher skeptisch gegenüber. Letztendlich sprach das fragwürdige Zerrbild einer Dschirga keine neuen Empfehlungen aus, sondern wiederholte nur Vorschläge, die bereits auf dem Tisch gelegen hatten. [2]

Karsai konnte nicht umhin, Konsequenzen aus der Ratsversammlung zu ziehen, deren Einberufung ja auf seine Initiative zurückgeht, die er freilich zuerst von den Besatzungsmächten absegnen und zurechtstutzen lassen mußte. Er hat sich zu einem Schritt entschlossen, der eine Menge Staub aufwirbeln und heftige Debatten lostreten wird, was um so besser verschleiern dürfte, wie inhaltsarm die vom Präsidenten verfügte Maßnahme ist.

Außerdem mußten nach den Anschlägen auf die selbst von 12.000 Sicherheitskräften nicht ausreichend geschützte Ratsversammlung Köpfe rollen. Die Taliban hatten das Dschirga-Zelt schon zum Auftakt der Versammlung beschossen und Attentäter entsandt, um zu unterstreichen, daß sie von den angestrebten Verhandlungen der Karsai-Regierung nicht das Geringste halten. Möglicherweise waren noch sehr viel schwerere Angriffe auf die Versammlung geplant, da nach Regierungsangaben 15 Kämpfer der Taliban bereits im Vorfeld festgenommen und 700 Raketen beschlagnahmt wurden, die auf das Zelt abgefeuert werden sollten. Wie aus dem Büro des Präsidenten verlautete, habe dieser die Rücktrittsgesuche von Innenminister Hanif Atmar und Geheimdienstchef Amrullah Saleh angenommen. Die beiden übernahmen die Verantwortung dafür, daß es trotz enormen Sicherheitsaufwands nicht gelungen war, Anschläge auf die Ratsversammlung zu verhindern. [3]

Die einflußreichsten Fraktionen des afghanischen Widerstands bestehen darauf, daß alle Besatzungsmächte abziehen müssen, bevor man in Friedensverhandlungen eintritt. Dieser Forderung kann sich Karsai unmöglich anschließen, da sein Schicksal besiegelt wäre, sobald die westlichen Mächte das Land verlassen haben. Wenn er daher den Frieden und Abzug im Munde führt, verdreht er stets die Verhältnisse und erklärt, man müsse zuerst die Waffen niederlegen, worauf die Besatzungsmächte keinen Grund mehr hätten, in Afghanistan zu bleiben. In seinem Drang, den eigenen Vorteil zu wahren und seine Haut zu retten, arbeitet er einer dauerhaften Okkupation in die Hände, was ihn durchaus zu einem mehr als brauchbaren Sachwalter langfristiger westlicher Interventionsabsichten macht.

Anmerkungen:

[1] Karsai will Taliban-Kämpfer freilassen. USA planen Zentrale für Spezialeinheiten im Norden Afghanistans (07.06.10)
http://www.abendblatt.de/politik/ausland/article1522125/Karsai-will-Taliban-Kaempfer-freilassen.html

[2] Afghanistan. Der Optimismus des Ex-Talib (06.06.10)
http://www.sueddeutsche.de/politik/afghanistan-der-optimismus-des-ex-taliban-1.954384

[3] Rücktritte nach Anschlägen auf Friedens-Dschirga (06.06.10)
http://www.welt.de/die-welt/politik/article7934339/Ruecktritte-nach-Anschlaegen-auf-Friedens-Dschirga.html

7. Juni 2010