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ASIEN/689: Führen USA und Taliban bereits Friedenshandlungen? (SB)


Führen USA und Taliban bereits Friedensverhandlungen?

Eventuelle Einigung zwischen Omar und Obama zeichnet sich ab


Sechs Tage vor den Parlamentswahlen am 18. September in Afghanistan, die von massiven Einschüchterungsmaßnahmen seitens der Taliban und Manipulationsvorwürfen an die Adresse der Regierung von Präsident Hamid Karsai überschattet werden, hat der NATO-Generalsekretär Fogh Rasmussen eine kämpferische Rede gehalten. Vor dem Hintergrund des Streits darum, ob mit dem Abzug der westlichen Streitkräfte bereits im Juli 2011, wie von US-Präsident Barack Obama angestrebt, oder erst 2014, zu welchem Zeitpunkt angeblich die neue afghanische Armee und Polizei in der Lage sein sollten, für die Sicherheit im eigenen Lande die Verantwortung zu übernehmen, begonnen werden soll, erklärte ganz selbstbewußt der frühere konservative Premierminister Dänemarks, die NATO werde in Afghanistan bleiben, "bis der Job erledigt" sei. "Die Niederlage ist keine Option", so der oberste Repräsentant der nordatlantischen Allianz, die sich rühmt, das schlagkräftigste Militärbündnis der Menschheitsgeschichte zu sein.

Darüber hinaus versprach Rasmussen, daß die NATO niemals zulassen werde, daß die Taliban wieder an die Macht in Afghanistan kommen. Letztere Aussage verwundert ein wenig, schließlich stehen weite Teile des Südens und des Ostens Afghanistans nach wie vor unter der Kontrolle der ehemaligen Koranschüler um Mullah Muhammed Omar, während Präsident Karsai in Friedensverhandlungen mit gemäßigten Taliban treten will und die NATO unter der Leitung von US-General David Petraeus Aufständische der unteren und mittleren Ebene durch finanzielle Zuwendungen zum Waffenstillstand und zur Integrierung in die neuen gesellschaftlichen und politischen Strukturen bewegen will.

Doch nicht nur das. Angeblich haben die Taliban-Führung und die Obama-Regierung gerade in den letzten Wochen "zum erstenmal" bereits "ernsthafte" indirekte Vorgespräche über ein Ende des Blutvergießens am Hindukusch aufgenommen. Von dieser dramatischen Entwicklung berichtete am 11. September Syed Saleem Shahzad in einem Exklusivbericht für die Zeitschrift Asia Times Online unter der Überschrift "Taliban and US get down to talks". In einem weiteren Artikel, der am 14. September mit dem Titel "Taliban soften as talks gain speed" erschienen ist, der jedoch das Datum vom 15. September trägt, führte Shahzad, dessen detaillierte Kenntnisse vom Innenleben der Taliban und des Al-Kaida-"Netzwerks" Osama Bin Ladens im englischsprachigen Raum Seltensheitwert haben, weitere Einzelheiten der laufenden Geheimgespräche auf.

Laut Shahzad, der sich auf ein nicht namentlich genanntes, "ranghohes Mitglied des pakistanischen Sicherheitsapparats" beruft, das an den Vorverhandlungen beteiligt sein soll, war es die Armeeführung Pakistans, die in Absprache mit der obersten Generalität der USA die Taliban von der Kompromißbereitschaft Washingtons überzeugte und den Weg für Gespräche freimachte. Die Verhandlungen laufen über Vermittler der pakistanischen Armee, die Kontakte zu den Taliban pflegen, und der Regierung Saudi-Arabiens, die in Verbindung mit Washington steht, jeweils unter der Leitung von General Ashfaq Parvez Kiani und König Abdullah. Mullah Omar und Sirajuddin Hakkani, Anführer des Hakkani-Netzwerkes, sollen dem ganzen ihren Segen gegeben haben, jedoch nicht direkt an den Beratungen beteiligt sein.

Als Geste des guten Willens sollen die USA die Freilassung der rund 60 in dem Sonderinternierungslager auf dem Gelände des US-Marinestützpunkts Guantánamo Bay auf Kuba gefangengehaltenen Pakistaner in Aussicht gestellt haben. Zur Verwirklichung des Vorhabens sollen demnächst Vertreter der pakistanischen Armee nach Guantánamo reisen (Man kann nur hoffen, daß die Delegation nicht, wie es Ende August einer neunköpfigen Gruppe ranghoher pakistanischer Militärs, die zu einem Strategietreffen im US-Zentralkommando in Tampa, Florida, unterwegs waren, geschah, wegen irgendeines abstrusen "Terrorverdachts" im inneramerikanischen Flugverkehr vorübergehend festgenommen und stundenlang vernommen wird). Mit Präsident Karsai scheinen die Taliban wenig Probleme zu haben. Mit einigen früheren Mudschaheddin-Kommandeuren wie Ex-Präsident Burhanuddin Rabbani und Ex-Verteidigungsminister General Abdul Rashid Dostum, deren Stimmen in Kabul heute noch viel Gewicht haben, wollen sie jedoch nichts zu tun haben. Dafür sollen sie sich bereiterklärt haben, sich an politischen Diskussionen mit Dostum- und Rabbani-Anhängern zu beteiligen, sofern diese kein Blut an den Händen haben.

Was das Thema Al Kaida betrifft, so sind die Taliban angeblich dazu bereit, den USA Garantien zu geben, daß sie künftig in ihrem Herrschaftsgebiet keine Ausbildungslager für "internationale Terroristen" dulden und diesen auch keinen Unterschlupf bieten werden (Bekanntlich lieferte die Jagd nach Bin Laden, dem angeblichen Drahtzieher der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001, die Begründung für den NATO-Einmarsch in Afghanistan rund vier Wochen nach den schockierenden Ereignissen von New York und Arlington).

Die größte Differenz zwischen den beiden Seiten besteht laut Shahzad in der Frage der NATO-Präsenz in Afghanistan. Die Taliban beharren nach wie vor auf dem Abzug aller ausländischen Streitkräfte. Die USA dagegen sollen zwar bereit sein, ihre Soldaten aus dem Süden und dem Osten des Landes, wo die Taliban den größten Rückhalt in der Bevölkerung genießen, abzuziehen, wollen dafür aber ihre Basen im Norden Afghanistans behalten. Diese Angabe nährt den schon länger bestehenden Verdacht, daß sich der NATO-Einmarsch in Afghanistan weniger gegen die Taliban richtete, als vielmehr mit dem Streben der USA nach Ausbau ihrer Militärpräsenz in Zentralasien zur Eindämmung Rußlands und China zusammenhing.

Interessant sind in diesem Zusammenhang die Erläuterungen Shahzads bezüglich der Pläne von Al Kaida, sollte es zu einer Einigung zwischen Taliban und Washington kommen. Demnach würde die internationale Dschihadistenbrigade ohne weiteres Afghanistan verlassen, um ihren Kampf in Pakistan und Kaschmir, aber vor allem in Zentralasien und im Kaukasus zu forcieren. Unter dem Vorwand der Bekämpfung des Drogenschmuggels und des "Terrorismus" richtet das US-Zentralkommando bereits Basen in Kirgistan, Tadschikistan und Kasachstan ein. In diesen ehemaligen Sowjetrepubliken, die Rußland zu seiner traditionellen Einflußsphäre zählt, könnte sich also demnächst der große "Antiterrorkrieg" der NATO verlagern. Erste Vorzeichen dafür gibt es schon. Bei einer schweren Schießerei an der Grenze Tadschikistans zu Nordafghanistan am 10. September sollen nach Angaben der Behörden in Duschanbe 20 Taliban-Kämpfer und ein tadschikischer Grenzsoldat ums Leben gekommen sein.

14. September 2010