Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

ASIEN/694: Karsai ernennt Friedensrat für Gespräche mit Taliban (SB)


Karsai ernennt Friedensrat für Gespräche mit Taliban

Petraeus setzt dagegen auf endlose Aufstandsbekämpfung in Afghanistan


Mit der Ernennung der Mitglieder eines Friedensrats hat Präsident Hamid Karsai am 28. September den ersten konkreten und formellen Schritt Richtung Verhandlungen mit den Taliban zwecks Beendigung des Krieges in Afghanistan unternommen. Es herrschen jedoch Zweifel, ob das neue Gremium die Hoffnungen Karsais wird erfüllen können. Ungeachtet aller Berichte über Geheimverhandlungen, bei denen ranghohe Regierungsvertreter Pakistans und Saudi-Arabiens die Vermittler spielen, bekämpfen sich gerade in den letzten Wochen die Hauptakteure des Afghanistankrieges, die Streitkräfte der USA und die Taliban um Mullah Muhammed Omar, so erbittert wie noch nie. Entweder legen die Amerikaner und die ehemaligen Koranschüler gerade einen Schlußspurt ein, um ihre jeweilige Position vor der Aufnahme offizieller Verhandlungen zu verbessern, oder das Vertrauen auf den Friedenswillen der anderen Seite ist so wenig entwickelt, daß man sich zwar nach außen hin gesprächsbereit gibt, jedoch intern zumindest mittelfristig von einer Fortsetzung des Krieges ausgeht.

Der von Karsai geschaffene Hohe Friedensrat hat 68 Mitglieder. Acht davon sind Frauen, was als Botschaft an die Taliban gedeutet wird, daß auch nach dem eventuellen Abschluß eines Friedensabkommens die Rechte der weiblichen Hälfte der Bevölkerung hochgehalten werden müssen. Bei nicht wenigen Angehörigen des Friedensrats handelt es sich um ehemalige Mudschaheddin-Kommandeure, die sich bereits vor dem Einmarsch der NATO im Oktober 2001 mit den Taliban einen über fünf Jahre langen Bürgerkrieg geliefert hatten. In einem entsprechenden Artikel in der New York Times vom 29. September zitierte die erfahrene Afghanistankorrespondentin Carlotta Gall den Leiter des Ministeriums für Stammesangelegenheiten in der Provinz Kandahar, Hajji Abdul Baqi Raghbat, zu der Besetzung des Rates wie folgt: "Das sind Gesichter aus dem Dschihad, aus dem Widerstand und von den Taliban, und sie werden eine Lösung finden müssen. Das sind die prominentesten Leute. Und wenn nicht sie, dann weiß ich nicht, wen es noch gibt." Noch zuversichtlicher war Maulavi Arsala Rahmani, der ehemalige Taliban-Minister für höhere Bildung, der heute afghanischer Senator ist. Gegenüber Gall erklärte Rahmani, die Taliban wüßten, sie könnten die NATO nicht verjagen, daher sei die Zeit für Verhandlungen reif: "Niemand wird diesen Krieg gewinnen. Als die Taliban an der Macht waren, hatten sie dennoch nicht das ganze Land unter ihrer Kontrolle. Und das wissen sie auch."

Nach der Besichtigung eines neuen US-Militärgefängnisses in der Provinz Parwan am 27. September hatte General David Petraeus, der Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte in Afghanistan, gegenüber Journalisten Karsais Friedensbemühungen gelobt und behauptet, man stehe "an der Schwelle" einer Versöhnung und einer Reintegrierung der Taliban in die Gesellschaft. Zwar erklärte Petraeus, mit Militärmacht allein sei kein "Aufstand industrieller Stärke" zu gewinnen, gleichwohl führte er die angeblich zu verzeichnende Friedensbereitschaft der Taliban auf die eigenen aggressiven Taktiken zurück. Vor einigen Tagen haben die US-Streitkräfte und die Afghanische Nationalarmee mit der lange angekündigten Offensive im Raum Kandahar, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz und traditionellen Hochburg der Taliban, begonnen, während sich im September mit mehr als zwanzig die Anzahl der per Drohnen durchgeführten Raketenangriffe der CIA auf vermeintliche Verstecke der Taliban im pakistanischen Grenzgebiet verdoppelt hat. Am 25. September soll sogar ein US-Militärhubschrauber einen Angriff auf mutmaßliche Taliban-Kämpfer in Pakistan durchgeführt haben, was eine offizielle Protestnote der Regierung in Islamabad nach sich zog.

Seit Tagen belebt in den USA die Veröffentlichung von Exzerpten aus Bob Woodwards neuem Buch "Obama's Wars" in der Washington Post die Diskussion über Sinn und Zweck des Afghanistankrieges. Aus dem Buch geht ganz klar hervor, daß Ende 2009 Washingtons führende Militaristen, Verteidigungsminister Robert Gates, Generalstabschef Admiral Michael Mullen, der damalige CENTCOM-Chef Petraeus und der damalige ISAF-Oberbefehlshaber General Stanley McChrystal, Barack Obama zur Genehmigung der von ihnen schon geplanten Eskalationsstrategie gezwungen haben. Der neu, unerfahrene US-Präsident durfte lediglich zwischen der Anzahl der zusätzlichen Soldaten - 20.000, 30.000 oder 40.000 - wählen (Er entschied sich für die zweite der drei Alternativen). Der Vorschlag von Obama und Vizepräsident Joseph Biden, die Truppen weitestgehend abzuziehen, um Taliban und Al Kaida ausschließlich mit Drohnenangriffen und Einsätzen der Spezialstreitkräfte zu bekämpfen, wurde unter Verweis auf ein Kriegsspiel im Pentagon, bei dem für das Scheitern dieser Option gesorgt wurde, als unrealistisch verworfen.

Bei dem entscheidenden Treffen des Kriegsrats am 29. November 2009 im Weißen Haus hat Petraeus - genauso wie Gates und Mullen - Obama versprochen, daß bis Juli 2011 mit dem Abzug der US-Soldaten aus Afghanistan begonnen werden würde, weil man bis dahin entweder die Taliban an den Verhandlungstisch bombardiert oder eingesehen habe, daß die Eskalation nicht funktioniere. Auf jedem Fall würde man keine weitere Entsendung von Soldaten beantragen. Seit einigen Wochen sind die US-Streitkräfte mit mehr als 110.000 Soldaten am Hindukusch vertreten. Die Truppenaufstockung ist vollzogen. Plötzlich will Petraeus 2000 weitere Offiziere, um die Afghanische Nationalarmee auszubilden. Im Buch Woodwards wird er sogar mit den Worten zitiert:

... ich glaube nicht, daß man diesen Krieg gewinnen kann. Ich denke, daß man einfach weiterkämpft ... Das hier ist die Art von Kampf, den wir unser restliches Leben und vermutlich auch das Leben unserer Kinder lang führen werden.

Das klingt nicht gerade nach jemandem, der sich im Rahmen von Friedensverhandlungen mit etwas weniger als der kompletten Kapitulation der Taliban zufriedenzugeben bereit wäre. Obama mag den Krieg in Afghanistan so schnell wie möglich beenden wollen, doch dem Pentagon geht es nach wie vor um den Erhalt mehrerer dauerhafter Militärstützpunkte - wie im Irak. Da es seitens der Taliban keinerlei Signale gibt, daß sie von ihrer Hauptforderung nach einem kompletten Abzug aller ausländischen Streitkräfte abzurücken gedenken, sind die Aussichten für Karsais neuen Friedensrat nicht besonders rosig.

29. September 2010