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ASIEN/716: Verhandlungen über dauerhafte US-Basen in Afghanistan (SB)


Verhandlungen über dauerhafte US-Basen in Afghanistan

Äußerungen Karsais dürfte Frieden mit den Taliban unmöglich machen


Wie man schon immer vermutet hat, waren die Beteuerungen diverser NATO-Vertreter, der Krieg in Afghanistan diene lediglich der Terrorbekämpfung, sobald man Al Kaida ausgerottet bzw. ihre Verbündeten von den Taliban besiegt habe, werde man die Truppen vom Hindukusch wieder nach Hause holen, nichts als Augenwischerei. Das gleiche gilt für Barack Obamas Ankündigung, Mitte 2011 mit dem Abzug der US-Streitkräfte in Afghanistan zu beginnen und ihn bis 2014 abgeschlossen zu haben. Wegen der großen Bedeutung von Afghanistan unter anderem mit Blick auf die Pläne amerikanischer und europäischer Energieunternehmen zur Verlegung verschiedener Öl- und Gaspipelines vom Kaspischen Meer an den Indischen Ozean und seine strategischen Position gegenüber dem Iran, Rußland, China, Indien und Pakistan haben sich westliche Politiker stets eine Hintertür in ihren Rechtfertigungen für den umstrittenen Militäreinsatz offengehalten. Demnach gilt es, das Land nicht wieder zum Schurkenstaat verkommen zu lassen und Demokratie, Wiederaufbau und Frauenrechten zum Durchbruch zu verhelfen.

Auf dem NATO-Gipfel Ende letzten Jahres im portugiesischen Lissabon war viel von der "langfristigen Partnerschaft", welche die selbsternannte Wertegemeinschaft mit Afghanistan eingehen wolle und die der geplanten Übergabe der Verantwortung für Sicherheit an die neue afghanische Armee und Polizei 2014 überdauern solle, die Rede. Hinter der schwammigen Formulierung verbirgt sich die nackte Tatsache, daß Afghanistan niemals wieder ein souveräner Staat werden, sondern eine informelle Kolonie der USA und ihrer NATO-Partner bleiben soll. Fast zehn Jahre nach dem Einmarsch der ersten westlichen Truppen wird dieser Umstand immer offensichtlicher.

Am 8. Februar hat Afghanistans Präsident Hamid Karsai, der seit Jahren mittels irgendwelcher Streitereien mit Washington vergeblich zu beweisen versucht, daß er nicht die Marionette der Vereinigten Staaten ist, bekanntgegeben, daß er mit seinen amerikanischen Gesprächspartnern über die Errichtung mehrerer dauerhafter US-Militärstützpunkte am Hindukusch verhandelt. Wie die Nachrichtenagentur Agence France Presse am selben Tag berichtete, erklärte Karsai, daß bei Besuchen in Kabul "US-Regierungsvetreter und US-Senatoren" diesen Wunsch geäußert hätten und daß sich beide Seiten "darüber in Verhandlungen" befänden. Zu den von Karsai gemeinten Personen gehört laut AFP Lindsey Graham, der republikanische Senator aus South Carolina, der im Militärausschuß des Oberhauses des Kongresses in Washington sitzt und als Wasserträger des Pentagons und der US-Rüstungsindustrie gilt. Bei einem Besuch in Afghanistan im Januar hatte sich Graham im Interview mit dem amerikanischen Fernsehsender NBC für dauerhafte US-Basen ausgesprochen, was damals die afghanische Regierung in eine gewisse Erklärungsnot brachte.

In seiner jüngsten Stellungnahme hat Karsai versprochen, das entsprechende State of Forces Agreement (SOFA), von der Art, wie die USA es mit ihren zahlreichen Gastgeberländern zu vereinbaren pflegen, dem afghanischen Parlament vorzulegen, sobald der Vertragsentwurf fertig ist. In diesem Zusammenhang äußerte Karsai die Ansicht, eine dauerhafte Militärpräsenz der USA in Afghanistan würde "wirtschaftlichen Wohlstand und ein Ende der Gewalt" mit sich bringen. Da kann man seine Zweifel haben.

2010 war das blutigste Jahr bisher im Afghanistankrieg. Nach Angaben der Vereinten Nationen fanden letztes Jahr infolge von Kriegshandlungen 2421 Zivilisten den Tod. 2009 waren es 2332. Es fielen 711 ausländische Soldaten, was einen dramatischen Anstieg im Vergleich zu 2009 - 521 - darstellt. Darüber hinaus kamen Tausende afghanischer Soldaten, Polizisten und Aufständischer ums Leben. Der blutige Trend dürfte sich in diesem Jahr fortsetzen. Denn durch die Bekanntgabe der Tatsache, daß Kabul mit Washington über "dauerhafte US-Basen" in Afghanistan verhandelt, hat Karsai zu erkennen gegeben, daß die seit seiner Wiederwahl als Präsident im letzten Herbst laufenden Bemühungen Kabuls um Verhandlungen mit den Taliban nicht ernst gemeint sind. Schließlich stellt der Abzug aller ausländischen Truppen aus Afghanistan die Kernforderung der Taliban dar. Nach eigenen Angaben wären sie erst zu Gesprächen mit Kabul bereit, wenn eine Frist für die Durchführung dieser Maßnahme gesetzt und der Anfang gemacht worden wäre.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, daß der ISAF-Oberbefehlshaber in Afghanistan, US-General David Petraeus, in einem am 8. Februar ausgestrahlten Interview mit dem hauseigenen Fernsehsender NATO TV schwere Kämpfe in den kommenden Monaten prognostizierte und 2011 zum entscheidenden Jahr erklärte. Laut Petraeus macht die Entschlossenheit der NATO der Taliban-Führung in Pakistan zu schaffen. Innerhalb des Führungszirkels käme es zunehmend zu Richtungstreitereien, so Petraeus. Zwar klingt letztere Angabe wie eine Anekdote aus einem Handbuch für psychologische Kriegsführung, doch für die Richtigkeit der Vorhersage einer Eskalation des Afghanistankrieges spricht einiges. Ungeachtet der vielen Taliban-Kämpfer, welche die NATO seit Jahren getötet haben will, hat am 8. Februar das afghanische Verteidigungsministerium die Zahl der Aufständischen mit 25.000 bis 35.000 Mann angegeben. Ihnen stehen 140.000 NATO-Soldaten entgegen. Währenddessen flog laut der US-Technologiezeitschrift Wired die NATO-Luftwaffe im vergangenen Monat doppelt so viele Einsätze wie im Januar 2010, Tendenz steigend.

10. Februar 2011