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ASIEN/722: Petraeus beschwört Sieg der NATO in Afghanistan (SB)


Petraeus beschwört Sieg der NATO in Afghanistan

Washingtons Lieblingsgeneral absolviert PR-Stunde auf dem Kapitol


Zum erstenmal, seit er im vergangenen Sommer seinen von Präsident Barack Obama wegen Respektlosigkeit gegenüber der zivilen Regierung entlassenen Untergebenen Stanley McChrystal als ISAF-Oberkommandeur ersetzen mußte, ist am 14. März der einstige CENTCOM-Chef General David Petraeus vor dem verteidigungspolitischen Ausschuß des Senats in Washington getreten, um über die militärische Lage für die USA und ihre NATO-Verbündeten am Hindukusch Bericht zu erstatten. Unterstützt von notorischen Kriegstreibern wie dem Republikaner John McCain aus Arizona und dem früheren Demokraten und heutigen Parteilosen Joseph Lieberman aus Massachusetts, die sich erwartungsgemäß als eifrige Stichwortlieferanten für Washingtons Lieblingsgeneral erwiesen, hat Petraeus ein äußerst beschönigendes Bild der Lage im Afghanistankrieg gemalt. Schließlich ging es bei der Anhörung nicht darum, daß sich die Volksvertreter, die ihre Position in Sachen Afghanistan ohnehin schon vor Jahren bezogen haben, informierten, sondern um die krude Beschwichtigung der amerikanischen Bevölkerung, die immer mehr Zweifel am Sinn und Zweck des Krieges der NATO gegen die Taliban hegt.

Wenige Stunden, bevor die Anhörung im Senat begann, führten die Taliban in der nordafghanischen Provinz Kundus einen Selbstmordanschlag auf ein Rekrutierungsbüro der afghanischen Streitkräfte durch, der 37 Menschen tötete und weitere 42 verletze, während die Washington Post das Ergebnis einer von ihr und dem Nachrichtensender ABC in Auftrag gegebenen Umfrage veröffentlichte, derzufolge 64 Prozent der befragten US-Bürger die These bejahten, daß der Krieg in Afghanistan, der inzwischen seit neuneinhalb Jahren läuft, den ganzen finanziellen und materiellen Aufwand einschließlich des Verlustes an menschlichem Leben nicht wert sei. Auch wenn sie sich größte Mühe gaben, dürften Petraeus und seine Bewunderer im Senat durch das, was sie bei der Anhörung von sich gaben, nicht dazu beigetragen haben, die wachsende Kriegsmüdigkeit der Amerikaner zu dämpfen.

Petraeus behauptete, unter seinem Kommando sei es den NATO-Truppen in Afghanistan gelungen, "den seit 2005 zu verzeichnenden Vormarsch der Taliban in weiten Teilen des Landes zum Erliegen zu bringen und in einigen wichtigen Regionen in sein Gegenteil zu verkehren". Mit letzteren sind Teile der Provinzen Helmand und Kandahar gemeint, wo die Geländegewinne der NATO und der Afghanischen Nationalarmee zum nicht geringen Teil auf taktische Rückzüge der Taliban nach klassischer Guerillakriegsstrategie zurückzuführen sind. Darüber hinaus hat der Erfolg von Petraeus einen hohen Blutzoll gefordert. Gegen die nächtlichen Razzien, mittels derer die US-Spezialstreitkräfte laut Petraeus alle drei Monate 360 "Aufstandsanführer" töten oder gefangennehmen, bei denen aber viele Unschuldige zu Schaden kommen, läuft die afghanische Bevölkerung Sturm. Bei einer solchen Razzia vor wenigen Tagen wurde sogar ein Vetter von Präsident Hamid Karsai versehentlich erschossen. Heftig umstritten sind auch die NATO-Luftangriffe, die weit mehr unschuldige Zivilisten als bewaffnete Rebellen zu töten scheinen. Am 17. Februar soll nach Angaben der afghanischen Behörden ein NATO-Luftangriff in der Provinz Kunar 65 Dorfbewohnern, darunter 50 Frauen und Kindern, das Leben gekostet haben. Die öffentliche Empörung in Afghanistan über diesen Vorfall hatte sich nicht einmal gelegt, als bekannt wurde, daß die Besatzung eines US-Kampfhubschraubers am 1. März ebenfalls in der Provinz Kunar neun Jungen, die Brennholz für ihre Familien einsammelten, mit bewaffneten Aufständischen verwechselte und erschoß.

Vor dem Senatsausschuß prognostizierte der ISAF-Oberkommandierende eine erneute Frühlingsoffensive der Taliban. Es stünde "schwere Arbeit" bevor, die in den letzten Monaten erzielten Erfolge zu verteidigen; der seit dem letzten Sommer angeblich zu verzeichnende "Sicherheitsfortschritt" - die Menschen in Kunar könnten ein Lied vom Gegenteil singen - sei zwar "bedeutungsvoll, aber auch fragil und umkehrbar" so Petraeus. In diesem Zusammenhang warnte der frühere Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte im Irak vor einer Kürzung der Mittel zum Aufbau der afghanischen Polizei und Armee, wie sie derzeit unter linken Demokraten und rechten Republikanern diskutiert wird.

Mit sichtbarer Zufriedenheit hörten sich die versammelten Senatoren die Ausführungen Petraeus' an und sprang diesem in seiner Argumentation bei jeder Gelegenheit bei. Der demokratische Ausschußvorsitzende Carl Levin aus Michigan hob die Wichtigkeit des Aufbaus der afghanischen Ordnungkräfte hervor, damit diese wie geplant ab 2014 die Verantwortung für die Sicherheit im Lande übernehmen können. Petraeus will die Zahl der afghanischen Soldaten und Polizisten um weitere 70.000 auf bis zu 352.000 erhöhen. Da stellt sich jedoch die Frage, wer für die gigantischen Kosten für deren Besoldung und Bewaffnung aufkommen soll. Vor diesem Hintergrund mahnte McCain zu "extremer Vorsicht" in der Frage des Abzugs der US-Streitkräfte aus Afghanistan, mit dem laut Obama im kommenden Juli begonnen werden soll, und riet, ganz der Admiralssohn und Vietnamkriegsheld, zur "strategischen Vorsicht". Lieberman beklagte den schwindenden öffentlichen Rückhalt für den Militäreinsatz am Hindukusch und behauptete, er und seiner Kollegen müßten "das amerikanische Volk daran erinnern, warum wir in Afghanistan sind, warum es sich lohnt, und daß wir erfolgreich sind".

Eigentlich hätte man von Petraeus stichhaltige Anworten auf Liebermans lediglich rhetorisch gemeinte Frage, "warum wir in Afghanistan sind", erwarten müssen. Doch sie fielen eher dürftig und nebulös aus. Ursprünglich waren die USA nach Afghanistan einmarschiert, um Osama Bin Laden, den mutmaßlichen Auftraggeber der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001, zur Strecke zu bringen und den "Terroristensumpf" dort trockenzulegen. Fast zehn Jahre später ist Bin Laden immer noch nicht gefaßt, während sich laut Petraeus "rund 100" Mitglieder vom Al-Kaida-"Netzwerk" in Afghanistan befinden. Und wenn diese nun eine zweite 9/11-Operation aushecken und irgendwann einmal durchführen, müßte man den ganzen Militäreinsatz als sinnlos erachten, oder? Ganz und gar nicht. Vor dem Senatsausschuß erklärte Petraeus, für die USA sei es "sehr wichtig, in einer Region engagiert zu bleiben", in der man "solch lebenswichtige Interessen" habe. Welche Interessen das sind - etwa die Umzingelung Rußlands und China und/oder der Zugang zu den Energieressourcen Zentralasiens - hat er nicht näher ausgeführt.

Um dem weitverbreiteten Verdacht entgegenzutreten, das Pentagon strebe einer dauerhafte US-Militärpräsenz in Afghanistan an, schlug Petraeus die Errichtung gemeinsamer amerikanisch-afghanischer Stützpunkte vor. Was die für 2014 geplante Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Ordnungskräfte betrifft, so behauptete Petraeus, durch "den erzielten Fortschritt" befinde sich die nordatlantische Allianz am dem "richtigen Azimut", um das beim NATO-Gipfeltreffen in Lissabon im vergangenen November proklamierte Ziel zu erreichen. Durch die Verwendung eines Begriffs aus der Astronomie bzw. der Nautik wollte Petraeus, den die Washingtoner Denkfabriken seit dem Irak als unschlagbare Kapazität auf dem Feld der Aufstandbekämpfung feiern, offenbar seinen Überlegungen einen wissenschaftlichen Anstrich verleihen. Doch der ungewöhnliche Sprachgebrauch läßt einen anderen Schluß zu, nämlich, daß die Zukunft der NATO in Afghanistan in den Sternen steht.

17. März 2011