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ASIEN/732: Pakistan nach Tötung Bin Ladens massiv in der Kritik (SB)


Pakistan nach Tötung Bin Ladens massiv in der Kritik

Washingtons Hetze gegen Islamabad ein Ablenkungsmanöver?


Am heutigen 5. Mai fährt US-Präsident Barack Obama nach New York, um sich am Ground Zero, dem einstigen Standort der Zwillingstürme des World Trade Center, mit Angehörigen der rund 3000 Opfer der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 zu treffen und dort einen Kranz niederzulegen. Die Begegnung findet vor dem Hintergrund einer widerlich-chauvinistischen Jubelorgie statt, mit der die großen Medien, praktisch alle Politiker in Washington und ein Teil der amerikanischen Bevölkerung die angebliche Erschießung Osama Bin Ladens bei einer Razzia in Pakistan durch US-Navy-SEALs in den frühen Morgenstunden des 1. Mai feiern. Der Gründer des Al-Kaida-"Netzwerks" galt als Auftraggeber besagter Flugzeuganschläge. Ungeachtet dessen wurde bis zuletzt auf Bin Ladens Fahndungsplakat auf der Internetwebsite des FBI der 9/11-Massenmord nicht ausdrücklich als Grund angeführt, weshalb der "Topterrorist" gefaßt werden sollte (Dessen hat sich der Schattenblick am 2. Mai bei einem Besuch bei www.fbi.gov/wanted/wanted_terrorists vergewissert). Als die US-Bundespolizei vor einigen Jahren um eine Erklärung für diese seltsame Tatsache gebeten wurde, hieß es aus dem J.-Edgar-Hoover-Gebäude in Washington, es gebe keine ausreichenden Beweise für eine Verwicklung Bin Ladens in jenes schreckliche Ereignis, mit dem sein Name für immer in Verbindung stehen wird.

Die Umstände des angeblichen Todes Bin Ladens und die Weigerung des Weißen Hauses, die Bilder von seiner Leiche zu veröffentlichen, dürften dazu beizutragen, das Mysterium um diesen Mann zu vergrößern. Entgegen erster Behauptungen hat die Obama-Regierung nach zwei Tagen verlauten lassen, daß der saudische Exilant doch unbewaffnet gewesen sei, als er durch zwei Schüsse von einem oder zwei US-Elitesoldaten - eine Kugel in den Kopf und eine zweite in die Brust - getötet worden sei. Es gibt auch Hinweise, etwa die von pakistanischen Beamten gegenüber dem arabischen Nachrichtensender Al-Arabiya wiedergebene Schilderung der zwölfjährigen Tochter Bin Ladens, die der Erstürmung des fraglichen Verstecks ihres Vaters, einer Villa im pakistanischen Abbottabad, wonach es nicht einmal zu einem Feuergefecht gekommen ist. Sollte dies stimmen, dann hätten Bin Laden, sein erwachsener Sohn Hamsa, sein Kurier Arshad Khan und dessen Bruder Tareq, die mit ihren Frauen und Kindern das mehrstöckige Haus gemeinsam bewohnten, gar keine Gegenwehr geleistet, sondern wären einem Hinrichtungskommando zum Opfer gefallen.

Dies würde auch die Verärgerung der pakistanischen Regierung erklären, die angeblich nicht in die Operation der Amerikaner eingeweiht gewesen ist. In ersten Presseberichten hieß es, das Geheimkommando sei per Hubschrauber gekommen und sei im Tiefflug geflogen, um dem pakistanischen Radar zu entgehen. Auf gleiche Weise wäre man nach rund vierzig Minuten Schießerei auf dem Anwesen in Abbottabad - einschließlich des Absturzes und der Explosion einer der vier Hubschrauber -, die zu unterbrechen niemand in der Garnissonstadt gekommen sein soll, mit der Leiche Bin Ladens als Trophäe nach Afghanistan zurückgeflogen. Aufgrund der Entfernungen und der Tatsache, daß Abbottabad unweit der Hauptstadt Islamabad und dem Hauptquartier der pakistanischen Armee in Rawalpindhi und damit quasi in deren Luftabwehrbereich liegt, klingt die Geschichte von dem wundersamen Nachtflug des 79köpfigen SEAL Team 6 zu gut, um wahr zu sein. Die von ABC News und der Army Times am 4. Mai lancierte Meldung, die Bin-Laden-Jagdgesellschaft sei mit neuartigen Tarnkappen- Hubschraubern unterwegs gewesen, trägt nicht gerade zur Plausibilität bei.

Bis heute haben weder das Weiße Haus noch das Pentagon noch die CIA die Angaben bestritten, die Marc Ambinder und Syed Saleem Shahzad am 2. Mai bei dem National Journal respektive der Asia Times Online gemacht haben und die am selben Tag von Jeremy Scahill, Autor des Buchs "Blackwater", auf seinem Blog bei The Nation bestätigt wurden, wonach die Navy SEALs ihren Angriff auf das Bin-Laden-Versteck von der seit 2008 auf dem pakistanischen Luftwaffenstützpunkt Tarbela Ghazi befindlichen Basis des Joint Special Operations Command (JSOC) des US-Verteidigungsministeriums nahe Islamabad aus starteten. Also wußte zumindest ein Teil des pakistanischen Sicherheitsapparats, daß in dieser Nacht eine JSOC-Operation stattfinden sollte. Was man in Islamabad und Rawalpindhi jedoch nicht gewußt zu haben scheint, war lediglich das Ziel.

Folglich tobt ein heftiger Streit zwischen Pakistan und den USA darüber, wie Bin Laden offenbar einige Jahre lang völlig unbehelligt in Abbottabad leben konnte. Im Repräsentantenhaus und Senat in Washington spielen sich Demokraten und Republikaner gleichermaßen auf, bezichtigen die Pakistaner, mit den USA ein doppeltes Spiel zu treiben, und drohen damit, die von der Obama-Regierung beantragten drei Milliarden Dollar Finanzhilfe für das Fiskaljahr 2012 zu blockieren. Seinerseits fühlt man sich in Pakistan von den Amerikanern düpiert und zu Unrecht an den Pranger gestellt. In einem Interview mit der BBC wies Außenminister Salman Bashir am 4. Mai die Vorwürfe Washingtons energisch zurück und behauptete, der pakistanische Geheimdienst Inter-Services Intelligence Directorate (ISI) habe bereits 2009 die CIA auf das Haus in Abbottabad als eventuelles Refugium des Al-Kaida-Chefs hingewiesen.

Möglicherweise waren es die Amerikaner selbst, die vom Versteck ihres vermeintlichen Erzfeindes wußten und diesen dort unter Beobachtung hielten. Es verdichten sich sogar die Hinweise, daß es die Veröffentlichung von Wikileaks-Dokumenten über die Vernehmung von Guantánamo-Häftlingen und Opfern der CIA-Folterflüge Ende April gewesen ist, die eine plötzliche Beseitigung Bin Ladens erforderlich machte. Denn aus den Dokumenten geht hervor, daß der damalige Operationschef von Al Kaida, Abu Faraj Al Libi, 2005 in Abbottabad festgenommen wurde, nachdem er dort bereits zwei Jahre - gegen Ende seines Aufenthalts sogar im selbem Haus, in dem Bin Laden getötet worden sein soll - gewohnt hat.

Bereits am 25. Januar dieses Jahres wurde Umar Patek, ein Indonesier jemenitischer Herkunft und mutmaßlicher Drahtzieher der Bombenanschläge von Bali im Oktober 2002, die 200 Menschen töteten, ebenfalls in Abbottabad aus dem Verkehr gezogen. Im Gegensatz zu Bin Laden wurde Patek von den pakistanischen Behörden lebend festgenommen und an Indonesien ausgeliefert. Bin Laden mußte vermutlich deshalb sterben, weil er vor Gericht Unappetitliches hätte auspacken können. Man bedenke allein die sonderbare Karriere seines Leibwächters Ali Mohamed, der als Ausbilder an der John F. Kennedy School of Special Warfare in Fort Bragg, North Carolina, in den ersten Anschlag 1993 auf das New Yorker World Trade Center verwickelt war und vermutlich als CIA-Doppelagent Bin Ladens Umzug 1996 vom Sudan nach Afghanistan und 1998 die Anschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam organisierte. Seit 2001 befindet sich der ehemalige ägyptische Offizier, dessen Spezialgebiet die psychologische Kriegsführung ist, im Zeugenschutzprogramm des FBI.

5. Mai 2011