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ASIEN/832: Die Auswirkungen des Syrien-Kriegs erreichen Pakistan (SB)


Die Auswirkungen des Syrien-Kriegs erreichen Pakistan

Saudi-Arabiens Konfessionskrieg gegen die Schiiten weitet sich aus


Als sich die Regierung in Islamabad im April sehr zur Verärgerung Riads kategorisch weigerte, pakistanische Bodentruppen der Militäraggression Saudi-Arabiens im Jemen beizusteuern, tat sie das aus mehreren Gründen. Erstens wollte Pakistan aus außenpolitischen Überlegungen heraus nicht zwischen den Iran und Saudi-Arabien geraten. Zweitens befürchtete man in Islamabad zu Recht, eine einseitige Parteinahme für Saudi-Arabien würde zur interkonfessionellen Gewalt in Pakistan selbst führen. Damals hieß es im Schattenblick (POLITIK\REDAKT\ASIEN/821: Greift Pakistan zugunsten Saudi-Arabiens im Jemen ein?):

Pakistan leidet bis heute noch schwer unter den Folgen des Afghanistankrieges der achtziger Jahre, als Saudi-Arabien und die CIA den Mudschaheddin im Kampf gegen die Sowjetarmee finanziell und militärisch unter die Arme griffen. Aus der gezielten Destabilisierung Afghanistans durch Washington und Riad ging nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 in New York und Arlington der unsägliche "Antiterrorkrieg" der USA gegen Al Kaida und die Taliban hervor, der nach einer neuen Studie der 1985 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) bisher 80.000 Pakistaner - davon 48.000 Zivilisten - das Leben gekostet hat.

Nach dem Abzug der letzten NATO-Kampftruppen aus Afghanistan Ende 2014 ist Islamabad in Zusammenarbeit mit Kabul gerade dabei, die Taliban auf beiden Seiten der afghanisch-pakistanischen Grenze zu einem Waffenstillstand zu bewegen. Die Bereitschaft der einfachen Pakistaner, ihre Soldaten für einen neuen Krieg ins Ausland zu entsenden, ist gering bis gar nicht vorhanden. Hinzu kommt, daß das sunnitische Saudi-Arabien den Bürgerkrieg im Jemen zu einem Stellvertreterkonflikt mit dem schiitischen Iran aufbauscht und deshalb den Huthis unterstellt, Marionetten Teherans zu sein. Zwar sind die meisten der 180 Millionen Pakistaner Sunniten, doch die Schiiten stellen mit 36 Millionen - rund 20 Prozent der Bevölkerung - eine nicht geringe Minderheit dar. Aus Gründen des gesellschaftlichen Friedens kann Islamabad deshalb kein Interesse daran haben, beim Anti-Huthi-Dschihad Riads mitzumachen.

Mehr als ein halbes Jahr später dürfte Pakistans Premierminister Nawaz Sharif mit der damaligen Absage an Riad zufrieden sein. Durch das Militärabenteuer im Jemen haben sich Saudi-Arabiens neuer König Salman und sein 29jähriger Sohn und Verteidigungsminister, Kronprinz Mohammad, übernommen. Mit Luftangriffen haben die Streitkräfte Saudi-Arabiens und der anderen sunnitischen Petromonarchien am Persischen Golf weite Teile der jemenitischen Infrastruktur zerstört und Tausende Zivilisten getötet, doch die Huthis und die mit ihnen verbündeten Anhänger von Ex-Präsident Ali Abdullah Saleh sind trotz heftiger Gefechte nach wie vor unbezwungen. Nach schweren Verlusten in den eigenen Reihen holten die Saudis zuletzt Soldaten aus Sudan, Eritrea und Marokko sowie Söldner aus Lateinamerika, um den entscheidenden Durchbruch auf dem Schlachtfeld zu erzielen - vergeblich. Am 15. Dezember sollte im Jemen eine mehrtägige Feuerpause eintreten, um den Kriegsparteien die Gelegenheit zu geben, sich bei Verhandlungen im schweizerischen Genf unter UN-Vermittlung auf eine Beilegung des Konfliktes zu verständigen.

Dessen ungeachtet wird Pakistan dieser Tage vom schiitisch-sunnitischen Regionalkonflikt, genauer gesagt von den Auswirkungen des Krieges in Syrien, eingeholt. Am 13. Dezember kam es auf einem hauptsächlich von Schiiten frequentierten Kleidungsmarkt in der Stadt Parachinar, die nahe der Grenze zu Afghanistan in Kurram, einem der Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (Federally Administered Tribal Areas - FATA) liegt, zu einer Bombenexplosion, die 24 Menschen in den Tod riß und mehr als siebzig weitere schwer verletzte. Zu dem Anschlag hat sich die Gruppe Lashkar-e-Jhangi (LeJ) bekannt und ihn als "Vergeltung" für die Teilnahme schiitischer Pakistaner am Syrien-Krieg auf der Seite der staatlichen Streitkräfte bezeichnet. In einer Stellungnahme erklärte LeJ-Sprecher Ali Bin Sufiyan: "Wir warnen die schiitischen Eltern, daß sie mit mehr solchen Angriffen rechnen müssen, sollten sie ihre Kinder nicht daran hindern, am Krieg Bashar Al Assads teilzunehmen."

Die sunnitische Fundamentalistentruppe LeJ führt seit mehr als zwei Jahrzehnten in Pakistan schwere Überfälle und Anschläge gegen die schiitische Minderheit durch. Allein in Parachinar wurden im Februar 2012 21 Menschen getötet und 45 verletzt, als sich ein LeJ-Selbstmordattentäter in einer schiitischen Moschee in die Luft sprengte. Der Vorfall auf den Kleidungsmarkt in Eidgah ist jedoch das erste Mal, daß die verbotene Organisation eine Aktion mit dem Verweis auf den Syrien-Krieg begründet hat.

Interessanterweise hat die Nachrichtenagentur Reuters zwei Tage vor dem Bombenanschlag in Parachinar, nämlich am 11. Dezember, unter der Überschrift "Iran recruits Pakistani Shi'ites for combat in Syria" einen ausführlichen Artikel über die laufende Rekrutierung jünger Schiiten aus Pakistan - und Afghanistan - durch die iranischen Revolutionsgarden für den Kampf gegen den sunnitischen Aufstand in Syrien berichtet. Demnach ersetzen die pakistanischen und afghanischen Schiiten dort irakische Glaubensgenossen, die im eigenen Land im Rahmen der sogenannten Volksmobilisierungskräfte der Armee Bagdads im Kampf gegen die sunnitische "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) unter die Arme greifen sollen.

Derzeit bereiten die irakischen Streitkräfte die Rückeroberung von Ramadi vor, der Hauptstadt der mehrheitlich von Sunniten bewohnten Provinz Anbar. Danach soll es irgendwann eine Großoffensive zur Vertreibung des IS aus Mossul, der zweitgrößten Stadt des Iraks und Hauptstadt der ebenfalls mehrheitlich sunnitischen Provinz Ninawah geben. Im Reuters-Bericht schätzt Phillip Smyth, Nahostexperte an der University of Maryland sowie am Washington Institute for Near East Policy (WINEP), die Zahl der pakistanischen Schiiten, die derzeit in Syrien als Mitglieder der Zeinabiyoun, einer nach Zeinab, der Enkelin des Islam-Gründers Mohammed, genannten Miliz, kommt auf rund 1000. 53 von ihnen sollen dort bereits den "Märtyrertod" gestorben sein.

Nach dem Iran ist Pakistan das Land mit den meisten Schiiten weltweit. Von daher möchte man sich die Folgen nicht ausmalen, sollte Pakistan, ähnlich wie Syrien, vollends in den Strudel des schiitisch-sunnitischen Konfliktes geraten. Doch die Gefahr besteht solange Saudi-Arabien seine erbitterte Feindschaft mit dem Iran mittels Stellvertreterkriegen in anderen Ländern austrägt. Einer der führenden Verfechter der Instrumentalisierung sunnitischer Mudschaheddin zur Durchsetzung der außenpolitischen, religiösen Ziele Riads ist Prinz Bandar bin Sultan. Von einem Konto von Prinzessin Haifa, der Gattin des langjährigen saudischen Botschafters in Washington, der mit dem Bush-Klan eng befreundet ist, wurde bis zum 11. September 2001 nachweislich der Aufenthalt von zwei der 19 mutmaßlichen 9/11-Attentäter in den USA finanziert. Ende 2006 heckte Bandar zusammen mit dem damaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney laut Seymour Hersh den Plan aus, durch die Destabilisierung Syriens den "schiitischen Bogen" zwischen Teheran, Damaskus und der Hisb Allah Südlibanons zu zerschlagen. Daraus ist der Syrien-Krieg mit inzwischen mehr als 250.000 Toten und Millionen von Flüchtlingen hervorgegangen.

Bei einem Vier-Augen-Gespräch noch vor den Flugzeuganschlägen vom 11. September soll Bandar nach Angaben von Richard Dearlove, dem langjährigen Chef des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6, folgenden kriegslüsternen Satz von sich gegeben haben. "Im Nahen Osten ist die Zeit nicht mehr fern, daß es buchstäblich Gott helfe den Schiiten heißen wird. Mehr als eine Milliarde Sunnniten haben einfach genug." Vor diesem Hintergrund gibt die Meldung vom 15. Dezember, Saudi-Arabien habe mit 33 anderen islamischen Staaten eine "Anti-Terror-Koalition" mit künftigem Operationszentrum in Riad gegründet, keinen Anlaß zur Beruhigung. Im Gegenteil zeigt das Fehlen des Irans in der Liste der teilnehmenden Länder die anti-schiitische Ausrichtung des ganzen Projekts. Bedenkt man die führende Rolle der Saudis seit Jahren bei der Förderung des sunnitischen Dschihadistentums macht sich hier auf dem Feld der Terrorismusbekämpfung wahrhaftig der Bock zum Gärtner.

15. Dezember 2015


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