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ASIEN/835: USA töten Taliban-Chef Mansur per Drohnenangriff (SB)


USA töten Taliban-Chef Mansur per Drohnenangriff

Washington wirft Friedensbemühungen in Afghanistan um Jahre zurück


Am 21. Mai haben US-Spezialstreitkräfte auf Befehl von Präsident Barack Obama den Anführer der afghanischen Taliban, Mullah Aktar Muhammad Mansur, mittels eines per Drohne durchgeführten Raketenangriffs in der pakistanischen Provinz Belutschistan getötet. Bei der Bekanntgabe der erfolgreichen Operation wenige Stunden danach behauptete der Pressesprecher des Pentagons, Peter Cook, Mansur sei "ein Hindernis zum Frieden und zur Versöhnung zwischen der Regierung Afghanistans und der Taliban" gewesen. Er habe anderen Talibanführern die Teilnahme an Friedensgesprächen mit der Regierung, die zu einer Beendigung des Konflikts führen könnten, verboten. Am Rande einer Konferenz in Katar, an der Afghanistans Präsident Aschraf Ghani teilnahm, erklärte dessen Sprecher Syed Zafar Haschemi am 22. Mai gegenüber der Presse, die Liquidierung Mansurs sei mit Einverständnis Kabuls erfolgt; die afghanische Regierung hoffe, "daß infolge der neuen Entwicklung ein von Afghanen geführten Friedensprozeß dauerhaften Frieden und Stabilität herbeiführen könne". Beide Äußerungen stellen die Wirklichkeit an den Kopf. Mansur stand dem gemäßigten Flügel innerhalb der Taliban vor. Seine außergerichtliche Hinrichtung wirft die Bemühungen um eine Beilegung des Konflikts am Hindukusch um Jahre zurück.

Mansur hatte den Tod von Taliban-Gründer Mullah Muhammad Omar im Jahre 2013 vorerst geheimgehalten, um eine Annäherung an Kabul nicht zu gefährden. 2014 haben die Regierungen Afghanistans, Pakistans, der USA und Chinas eine neue Friedensinitiative gestartet, mit der das Auslaufen der NATO-Mission Ende desselben Jahres als Gelegenheit zur Einleitung einer Deeskalation der Kämpfe genutzt werden sollte. Anfang 2015 trafen in Katar erstmals Abgesandte des im Jahr zuvor gewählten Präsidenten Ghani mit Vertretern der Taliban zu Sondierungsgesprächen zusammen. Diese kleinen, vorsichtigen Schritte in Richtung Frieden wurden jedoch regelrecht torpediert, als im Juni 2015 unbekannte Personen in der afghanischen Regierung Omars Tod und die Verheimlichung jener Tatsache durch Mansur publik machten. Hinter der spektakulären Enthüllung wurden Kreise beim afghanischen Militärgeheimdienst vermutet, die Ghanis angestrebter Aussöhnung mit den Taliban einschließlich einer Verbesserung der Beziehungen zu Pakistan feindlich gegenüberstanden.

Die Nachricht vom Ableben des charismatischen und unangefochtenen Anführers Mullah Omar hat, wie nicht anders zu erwarten, innerhalb der Taliban einen heftigen Machtkampf ausgelöst. Mansur wurde von einigen Vertretern der Organisation sogar in aller Öffentlichkeit bezichtigt, Omar selbst vergiftet zu haben, um im Auftrag Islamabads die Taliban in Richtung Waffenstillstand und Friedensverhandlungen zu bewegen. Nur mit mühsamer interner Diplomatie und drastischen Strafmaßnahmen gegen rivalisierende Fraktionen hat sich Mansur behaupten können. Durch die Eroberung und mehrtägige Besetzung der Stadt Kundus Ende September sowie einer Reihe weiterer Erfolge auf dem Schlachtfeld - sowohl gegen die afghanischen Streitkräfte als auch gegen Überläufer zur "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) - konnte Mansur seinen Führungsanspruch durchsetzen. Ihm vor diesem Hintergrund vorzuwerfen, wie es Pentagonsprecher Cook vor zwei Tagen tat, in die Planung von Anschlägen in Kabul und anderen Regionen Afghanistans "aktiv involviert" gewesen zu sein, ist nicht nur kurzsichtig, sondern verlogen. Aus ihrer Sicht führen die Taliban einen gerechten Krieg gegen eine ausländische Besatzungsmacht und eine Quisling-Regierung im eigenen Land.

Gerade Anfang April konnte der Machtkampf innerhalb der Taliban endgültig beigelegt werden, als Omars Bruder, Mullah Abdul Manan, und sein Sohn, Mullah Muhammad Jakub, in die Quetta Schura, das höchste Entscheidungsgremium des Islamischen Emirats Afghanistan, aufgenommen wurden. Mullah Manan übernahm die Leitung der Glaubenskommission der Taliban, während der jüngere Mullah Jakub mit der militärischen Befehlsgewalt über die Kampfeinheiten der Taliban in 15 der 34 afghanischen Provinzen betraut wurde. Die Liquidierung Mansurs wird mit Sicherheit zum erneuten Ausbruch von blutigen Machtkämpfen bei den Taliban führen. Vermutlich war das auch der Primärzweck des Drohnenangriffs. Die USA können kein ernsthaftes Interesse an Friedensverhandlungen mit den Taliban haben, solange diese nicht von ihrer Kernforderung nach dem Abzug aller ausländischen Streitkräfte aus Afghanistan abrücken. Man hat Mullah Mansur getötet, um die Taliban zu schwächen. Nach dem Motto "Widerstand ist zwecklos" will die Supermacht USA offenbar in klassischer Kolonialmanier eine Spaltung der afghanischen Islamisten in "Gemäßigte" und "Extremisten" erreichen, um erstere in die Verwaltung Afghanistans einzubeziehen und letztere auszurotten.

Des weiteren darf nicht unberücksichtigt gelassen werden, daß Mullah Mansur bis zuletzt als heimlicher Ansprechpartner bzw. Schützling Islamabads galt, der über Jahre seine Aktivitäten aus der pakistanischen Stadt Quetta mehr oder weniger frei entfalten durfte. Folglich ist seine Ausschaltung auch ein Schuß der Amerikaner vor den Bug Pakistans. Als solcher wurde er auch in Islamabad verstanden. Die pakistanische Regierung, die nach eigener Angaben in den geplanten Angriff nicht eingeweiht war, hat offiziell die tödliche Aktion als Verletzung der staatlichen Souveränität Pakistans verurteilt. Angesichts der sich verstärkenden Militärallianz zwischen den USA und Indien verschlechtern sich die Beziehungen zwischen Islamabad und Washington rapide. Die USA sind über die wirtschaftliche und militärische Annäherung zwischen Pakistan und der Volksrepublik China verstimmt, während man in Islamabad über die Entscheidung der Amerikaner, von Islamabad den vollen Preis für den geplanten Kauf von acht Kampfjets vom Typ F-16 - statt nur 270 Millionen 700 Millionen Dollar - mehr als aufgebracht ist. Nach der Ausschaltung von Mullah Mansur dürfte die Bereitschaft der Pakistaner, sich um die Einbindung der Taliban in irgendwelche Friedensverhandlungen zu bemühen, gegen null sinken.

23. Mai 2016


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