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ASIEN/861: Washington will den Afghanistankrieg wieder hochfahren (SB)


Washington will den Afghanistankrieg wieder hochfahren

Die USA haben Afghanistan in einen Dauerkriegsschauplatz verwandelt


Ungeachtet seiner wiederholten Kritik an der Sinnlosigkeit des Kriegs in Afghanistan im letztjährigen Wahlkampf steht der frischgebackene US-Präsident Donald Trump kurz davor, die Anzahl der amerikanischen Soldaten am Hindukusch von derzeit 8.500 um mehr als 5000 Mann aufzustocken. Dazu drängen die Ex-Generäle in seiner Administration, Verteidigungsminister James Mattis, der Nationale Sicherheitsberater Herbert McMaster, der Minister für Heimatschutz, John Kelly, und der Generalstabschef Joseph Dunford. Warum die USA diesmal mehr Erfolg haben sollen als vor acht Jahren, als sich Barack Obama von den großen Aufstandsbekämpfungskoryphäen David Petraeus und Stanley McChrystal dazu überreden ließ, 30.000 Mann gegen die Taliban einzusetzen, ist schleierhaft.

Der massive Lastwagenbombenanschlag, der am 31. Mai das Diplomatenviertel Kabuls verwüstete, mindestens 86 Menschen das Leben kostete und 460 schwer verletzt zurückließ, hat die Schlagkraft der afghanischen Aufständischen eindrucksvoll demonstriert. Am 6. Juni sollte in Afghanistans Hauptstadt eine internationale Konferenz über Wege, den Konflikt zu beenden, stattfinden. Möglicherweise kommt es gar nicht mehr dazu, denn viele Botschaften sind schwer beschädigt. Die Sicherheit der ausländischen Gäste kann vermutlich nicht gewährleistet werden. Am 2. Juni kam es im Zentrum Kabuls zu einem Massenprotest, der in eine gewaltsame Auseinandersetzung mit der Polizei ausartete und vier Tote forderte. Tausende von Demonstranten forderten lautstark den Rücktritt von Präsident Aschraf Ghani und Premierminister Abdullah Abdullah, weil sie sich bislang als unfähig erweisen, entweder den Krieg zu gewinnen oder eine Verhandlungslösung mit den Taliban zu erzielen.

Den Bombenanschlag von Kabul werden die Kriegsfalken in Washington unweigerlich als Infragestellung der militärischen Macht der USA auffassen und mit Waffengewalt beantworten. Gegen Ende der Amtszeit Obamas drängte das Pentagon ohne Erfolg das Weiße Haus, die Gefechtsregeln für Afghanistan zu lockern. Unter Trump dürfte die bisherige Zurückhaltung aufgegeben werden. Man kann davon ausgehen, daß es neben der Truppenaufstockung zu einem massiven Anstieg der Bomben- und Raketenangriffe durch bemannte und unbemannte Flugzeuge kommen wird. Im arabischen Armenhaus Jemen haben CIA und US-Militär zwischen Februar und April viermal so viele Drohnenangriffe durchgeführt wie im gesamten vergangenen Jahr. Dementsprechend ist dort auch die Zahl der zivilen Opfer überproportional hoch. In Afghanistan dürfte es nicht anders sein. Der demonstrative Abwurf der 10.000 Kilogramm schweren MOAB-Bombe auf ein vermutliches Versteck der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) in der östlichen Provinz Nangahar kündigt das kommende Unheil an.

Nach 16 Jahren Krieg und angesichts rund einer Million Toter stellt sich ernsthaft die Frage nach der Strategie der USA und deren NATO-Verbündeten in Afghanistan. Wie der Artikel, der am 2. Juni bei der New York Times unter der Überschrift "Peace Efforts May Be Another Casualty of Bombing in Afghanistan" erschienen ist, lautet der Ansatz von Mattis und McMaster wie einst bei Petraeus und McChrystal, die Taliban an den Verhandlungstisch zu bomben. In dem Artikel aus der Feder des NYT-Journalisten Ujib Mashal stößt man auf folgenden Absatz, der die Unbelehrbarkeit der amerikanischen Generalität in der Afghanistan-Frage vollends zum Ausdruck bringt:

Ein westlicher Regierungsvertreter schätzte, es könnte zwei bis drei Jahre dauern, bis die Taliban begreifen, daß sie ihre Möglichkeiten, militärische Geländegewinne zu erzielen, erschöpft haben. Damit es dazu kommt, dürfen sich die afghanischen Sicherheitskräfte, die letztes Jahr um die 20.000 Mann verloren haben, nicht unterkriegen lassen und müssen den Taliban, die derzeit über geschätzte 30.000 Kämpfer verfügen sollen, weiterhin schwere Verluste zufügen.

Für die USA und ihre NATO-Partner bleibt die Idee, die Forderung der Taliban nach Abzug aller ausländischen Streitkräfte aus Afghanistan zu erfüllen, offenbar indiskutabel. Doch solange dieses Denkverbot herrscht, wird das Blutvergießen am Hindukusch weitergehen. Für die kommenden Monate ist mit einer deutlichen Eskalation der Kämpfe zu rechnen.

3. Juni 2017


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