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ASIEN/938: Koreakonflikt - Willkür und Beliebigkeit ... (SB)


Koreakonflikt - Willkür und Beliebigkeit ...


Leider hat die Entlassung von John Bolton als Nationaler Sicherheitsberater im September nicht zu der erhofften Verbesserung der Beziehungen zwischen Nordkorea und den USA geführt. Bekanntlich hatte George W. Bushs früherer UN-Botschafter Bolton mit der Forderung nach einer vollständigen Trennung Nordkoreas von allen seinen atomaren, biologischen und chemischen Waffen samt der dazugehörigen Technologie als kategorische Grundbedingung für die Lockerung von UN-Handelssanktionen den frühzeitigen Abbruch des mit großen Friedenshoffnungen inszenierten Gipfeltreffens zwischen Trump und Kim Jong-un im Februar in Hanoi eigenhändig herbeigeführt.

Der Umstand, daß sich die Beziehungen zwischen Pjöngjang und Washington trotz Trumps "weiser politischer Entscheidung" - so die offizielle Bezeichnung Nordkoreas -, sich von Bolton zu trennen, nicht verbessert haben, liegt unter anderem darin begründet, daß Amerikas führender Kriegsfalke nun als Privatmann mächtig gegen den eigenen Präsidenten intrigiert. Die allermeisten derjenigen Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrats, die wie Fiona Hill, Timothy Morrison und Oberstleutnant Alexander Vindman gegen Trump in der sogenannten Ukraine-Affäre aussagen und ihm deshalb ein Amtsenthebungsverfahren durch den Kongress beschert haben, gelten als Handlanger Boltons und waren von diesem ins Weiße Haus geholt worden. Bei einer Rede am 30. September vor dem einflußreichen Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington, aus der zwei Tage später wenig überraschend die New York Times zitierte, tat Bolton jeden Versuch, mit dem von ihm verhaßten "Regime" in Pjöngjang eine Entnuklearisierung der koreanischen Halbinsel auszuhandeln, als "zum Scheitern verurteilt" ab.

Unter schlechten Voraussetzungen also haben sich am 4. Oktober die Unterhändler beider Seiten, angeführt von Stephen Biegun und Kim Myong-gil, zu den ersten Gesprächen auf der Arbeitsebene seit Februar getroffen. Nach nur einem Tag waren die Verhandlungen vorbei. Die Nordkoreaner machten die Amerikaner dafür verantwortlich und behaupteten, letztere wären "mit leeren Händen" gekommen und hätten die "alte Position und Haltung" der Unnachgiebigkeit an den Tag gelegt. Beim Gipfel in der Hauptstadt Vietnams sieben Monate zuvor hatte Nordkorea eine komplette, unter internationaler Aufsicht durchgeführte Demontage seiner Atombombenfabrik Yongbyon im Gegenzug für eine Lockerung jener Sanktionen, die Pjöngjang den Export der beiden Devisenbringer Kohle und Textilien verbietet und dadurch die Volkswirtschaft des kommunistischen Landes schwer trifft, angeboten. Im Vorfeld hatte Biegun sogar Entgegenkommen signalisiert. Daß eine solche oder ähnliche Regelung trotz der Entlassung des Störenfrieds Bolton offenbar nicht mehr möglich ist, enttäuscht und weist zugleich auf veränderte, weniger günstige Rahmenbedingungen hin.

Mit seinem Zick-Zack-Kurs vor allem in der Iran- und Syrien-Politik hat Trump in den vergangenen Monaten bei Freunden und Feinden gleichermaßen erhebliche Zweifel an seinem außenpolitischen Sachverstand und seinem diplomatischen Geschick aufkommen lassen. Hinzu kommt, daß die außenpolitische Elite in Washington von Anfang an dem trumpschen Ansatz einer Versöhnung mit Rußland und Nordkorea feindlich gegenübergestanden hat. Während Trump vor allem den Aufstieg Chinas bremsen will und deshalb einen schweren Handelskrieg mit der Volksrepublik vom Zaun gebrochen hat, meinen die wichtigsten Vertreter des amerikanischen Sicherheitsapparats, die USA hätten auf allen Kontinenten gleich stark militärisch auftreten müssen.

Vor diesem Hintergrund hätte Trump größte Schwierigkeiten, einen Deal mit Nordkorea gegenüber Politik und Medien im eigenen Land zu verkaufen. Hinzu kommt, daß die Nordkoreaner ihrerseits nicht wissen, wie lange der Republikaner noch im Amt bleibt, ob ihm die Wiederwahl 2020 gelingen wird und falls nicht, ob sich sein demokratischer Nachfolger bzw. seine demokratische Nachfolgerin an die getroffenen Vereinbarungen hält. 2002 hat die Regierung von Bush jun. das von der Vorgängeradministration Bill Clintons ausgehandelte Framework Agreement auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen. 2005 hat das Washingtoner Finanzministerium mit eigenen Sanktionen gegen Pjöngjang eine umfassende Friedenseinigung bei den Sechser-Gesprächen in Peking, an denen auch China, Japan, Rußland und Südkorea beteiligt waren, torpediert. 2018 hat Trump das Atomabkommen Barack Obamas mit dem Iran aufgekündigt und damit erheblich zum Ruf der USA als unzuverlässig beigetragen.

Als Kim im Februar mit dem Zug nach Hanoi durch China fuhr, stand seiner Reise ganz im Zeichen einer möglichen ökonomischen Öffnung Nordkoreas. Immer wieder unterbrach er die lange Fahrt, um von chinesischer Prominenz dieses oder jenes Wirtschaftsprojekt gezeigt zu bekommen. Doch die monatelangen Proteste in Hongkong, hinter denen die Regierung in Peking die verdeckte Hand der CIA vermutet, haben die politische Großwetterlage in Ostasien verdüstert. Statt Aufforderungen zur Kompromißbereitschaft aus Peking bekommen Kim und die Nordkoreaner in letzter Zeit viel Lob dafür, die engsten Verbündeten Chinas zu sein, mit denen zusammen die Volksrepublik 1950-1953 den Koreakrieg gegen die USA ausgefochten hat und seitdem dem westlichen Imperialismus die Stirn bietet. Nicht umsonst hat am 21. September die Volksarmee bei der feierlichen Parade anläßlich des 70 Jahrestages der Ausrufung der Volksrepublik ihre neuesten Interkontinentalraketen und Hyperschallflugzeuge präsentiert.

Auch Nordkorea bleibt an der Aufrüstungsfront nicht untätig. Am 1. Oktober haben die Nordkoreaner erfolgreich eine u-boot-gestützte Mittelstreckenrakete getestet, die nuklearbestückt eine große Gefahr für die Metropolen an der amerikanischen Westküste bildete. Gleich am darauffolgenden Tag haben die USA mit dem Test einer eigenen Interkontinentalrakete geantwortet, die von Kalifornien aus ein Ziel bei den westpazifischen Marshall-Inseln traf. Am 22. Oktober nahmen zwei B-52-Bomber der US-Luftwaffe, die mit Atombomben bestückt werden können, vor der westjapanischen Küste an einem gemeinsamen Manöver mit den Selbstverteidigungskräften Japans teil. Am 31. Oktober hat die nordkoreanische Armee vor der eigenen Ostküste zwei landgestützte Kurzstreckenraketen getestet. Kim Jong-un hatte im April erklärt, bis Ende dieses Jahres das von ihm 2018 verhängte Moratorium für Atomtests und Testflüge von Langstreckenraketen aufrechtzuerhalten, um den Friedensverhandlungen mit den USA eine Chance zu geben. Derzeit sieht es nicht danach aus, als wäre die Trump-Regierung imstande oder bereit, die angebotene Chance auf eine Beilegung des Koreakonflikts zu ergreifen.

4. November 2019


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