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JUSTIZ/644: Obama verteidigt Bushs Telefonspionage vor Gericht (SB)


Obama verteidigt Bushs Telefonspionage vor Gericht

Obamas Bekenntnis zu Gesetz und Verfassung entpuppt sich als Schwindel


In den USA sind führende Rechtsgelehrte und Vertreter diverser Bürgerrechtsorganisationen über die Erklärung Barack Obamas vom 21. Mai entsetzt, wonach Amerikas neuer Präsident für mutmaßliche "Terroristen", die gefoltert worden sind und bei denen deshalb vor einem ordentlichen Gericht keine Aussicht auf eine Verurteilung besteht, ein System der "dauerhaften Inhaftierung" schaffen will. Weil es dem amerikanischen Justizsystem fundamental widerspricht, Menschen ohne Anklageerhebung oder Prozeß dauerhaft gefangenzuhalten, wird Obama nun vorgeworfen, mit der erklärten Absicht, jenes provisorisches Gulagsystem, das sein Vorgänger George W. Bush mit dem umstrittenen Internierungslager auf dem Gelände des US-Marinestützpunktes Guantánamo Bay auf Kuba geschaffen hatte, zu institutionalisieren, bereits den Boden jener Verfassung verlassen zu haben, die zu schützen er mit seinem Amtseid versprach.

Nun, noch lange vor der Präsidentenwahl am 4. November dürfte es jedem aufmerksamen Beobachter klar gewesen sein, daß Obama sein vollmundiges Versprechen, die Gesetze und die Verfassung der USA nach den jahrelangen Eigenmächtigkeiten Bushs wieder zur vollen Geltung zu bringen, niemals einhalten würde. Ein erstes, wichtiges Versprechen hat Obama sogar vor der Wahl gebrochen. Nur wenige Wochen, nachdem sich Hillary Clinton aus dem Rennen um die Nominierung zum Kandidaten der Demokraten zurückgezogen hatte, stimmte am 9. Juli 2008 Obama - entgegen früherer, kategorischer, anderslautender Erklärungen - mit der Mehrheit im Senat für jenes umstrittene Gesetz, das den großen US-Telekomunternehmen, die seit 2001 der NSA bei der illegalen Überwachung des Telefon- und E-Mail-Verkehrs von Millionen amerikanischer Bürger geholfen hatten, Immunität vor Schadensersatzklagen gewährleisten sollte.

Unter Juristen in den USA steht es im Grunde außer Frage, daß Bush im Jahre 2001 durch seine Anweisung an die NSA, das FISA-Gesetz von 1978 zu ignorieren und Telefonüberwachungsmaßnahmen ohne richterliche Genehmigung durchzuführen, Verfassungsbruch begangen hatte. Man streitet lediglich darüber, ob die illegale Maßnahme Bushs vor dem Hintergrund des "globalen Antiterrorkrieges" gerechtfertigt gewesen war oder nicht, um das amerikanische Volk vor terroristischen Bedrohungen zu schützen. Die rund 40 Klagen, welche diverse Bürgerrechtsorganisationen, Anwälte und Experten wie die Geheimdienstkoryphäe James Bamford nach Bekanntwerden des Programms durch einen Artikel der New York Times im Dezember 2005 gegen die beteiligten Unternehmen angestrengt hatten, hätten im Fall ihrer Behandlung vor Gericht der amerikanischen Öffentlichkeit eine einzigartige Gelegenheit geboten, diese schwerwiegenden, rechtsstaatlichen Fragen zu diskutieren. Dies haben jedoch Obama und die anderen Volksvertreter im Kongreß durch ihre Zustimmung zu der von Bush geforderten Novellierung des FISA-Gesetzes verhindert. Ob die Entscheidung der Demokraten, sich nach zweieinhalb Jahren Schauprotesten doch noch hinter dem republikanischen Präsidenten zu scharen, damit zusammenhing, daß Bush möglicherweise die Anweisung an die NSA gleich nach dem Einzug ins Weißen Haus und nicht erst nach den Flugzeuganschlägen über ein halbes Jahr später erteilt hat - was natürlich der Frage nach der Nicht-Verhinderung derselben zusätzliche Brisanz verleihen würde -, werden wir vermutlich niemals erfahren.

Fest steht, daß durch das Inkrafttreten der FISA-Novellierung alle Klagen - bis auf eine - gegen die US-Telekomunternehmen gegenstandslos geworden sind. Letztere Klage - Al Haramain gegen Bush bzw. jetzt Al Haramain gegen Obama vor dem 9. U.S. Circuit Court of Appeals in San Francisco - hat folglich enorme Bedeutung erhalten. Während alle anderen Gegner der Spionage im Innern auf Verdacht geklagt hatten, können Wendell Belew und Asim Ghafoor, zwei Anwälte der Oregoner Dependence der inzwischen eingegangenen Al Haramain Islamic Foundation konkrete Anhaltspunkte vortragen, daß ihre Telefonate von der NSA illegalerweise abgehört wurden. 2004 hatte das Finanzministerium in Washington Al Haramain zu einer Organisation erklärt, die den "Terrorismus" unterstützt, und sämtliche Guthaben und Konten der Wohltätigkeitsvereinigung eingefroren. In Verbindung mit der drastischen Maßnahme bekamen die Al-Haramain-Anwälte vom Finanzministerium jede Menge Dokumente zugeschickt. Darunter befand sich fälschlicherweise eine NSA-Auflistung, aus der eindeutig hervorging, daß Belews und Ghafoors Telefongespräche abgehört worden waren.

Nach wenigen Wochen stellten die Behördenvertreter ihren Fehler fest, forderten die Rückgabe besagten Dokuments und bekamen es auch zurück. Nun verlangen Belew, Ghafoo und ihre Anwälte, daß das Dokument dem Gericht in San Francisco vorgelegt wird, damit sie ihre Vorwürfe der Spionage belegen können. Trotz mehrerer Teilurteile zugunsten der Kläger weigert sich die Obama-Regierung, das Dokument dem zuständigen Richter Vaughn Walker vorzulegen. Die NSA will nicht einmal zugeben, daß das Dokument existiert bzw. jemals existiert hat. Wegen der Blockadehaltung Washingtons hat Richter Walker am 22. Mai dem Justizministerium bis zum 3. Juni Zeit gegeben, seine Position zu erklären, ansonsten würde er - ohne den eigentlichen Prozeß durchgeführt zu haben - zugunsten der Kläger entscheiden und die NSA der illegalen Spionage im Innern schuldig sprechen. Vom Ausgang des Al-Haramain-Prozesses hängt ab, ob die anderen früheren Kläger ihre Anzeigen gegen die US-Telekomunternehmen wieder aufnehmen können. Es steht also viel auf dem Spiel. Nicht umsonst wartete am 26. Mai die Washington Post mit der dramatischen Überschrift "Showdown Looming On 'State Secrets' - Judge Threatens To Penalize U.S. In Wiretap Case" auf.

26. Mai 2009