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JUSTIZ/658: Britanniens Justiz nimmt den Geheimdienst in Schutz (SB)


Britanniens Justiz nimmt den Geheimdienst in Schutz

Folteropfer erhalten keinen Zugang zum Belastungsmaterial


In Großbritannien kämpfen sieben Opfer des CIA-Programms der "extraordinary renditions" um die Anerkennung des an ihnen begangenen Unrechts. Mit ihrer zivilen Schadensersatzklage haben Binyam Mohamed, Bisher Al Rawi, Jamil El Banna, Richard Belmar, Omar Deghayes, Moazzam Begg und Martin Mubanga - allesamt entweder Bürger Großbritanniens oder dort lebende, anerkannte Flüchtlinge - den britischen Staat in größte Erklärungsnot gebracht. Sie behaupten, daß ranghohe Mitarbeiter des Außenministeriums und des Innenministeriums in London von ihrem Märtyrium gewußt und nichts dagegen unternommen haben und daß sogar einzelne Agenten des britischen Inlands- und des Auslandsgeheimdienstes, MI5 und MI6, während ihrer Folter in Guantánamo Bay oder Ländern wie Pakistan, Afghanistan und Marokko entweder persönlich anwesend waren oder den zuständigen Vernehmungsbeamten Fragen beigesteuert haben. Die Vorwürfe wiegen schwer, und könnten sie belegt werden, hätten sie zur Folge, daß einige britische Staatsbeamte wegen Verstoßes gegen das Folterverbot angeklagt und verurteilt werden könnten.

Gegen ein solches Alptraumszenario kämpft seinerseits der britische Staatsapparat, angeführt von Außenminister David Miliband, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln an. Damit die Vorwürfe nicht bewiesen werden können, vertreten die Angeklagten den Standpunkt, daß das Material über die damaligen Vorgänge strenggeheim sei und daß eine Aushändigung der relevanten Dokumente an die Kläger und ihre Anwälte einschließlich einer regulären gerichtlichen Erörterung des Sachverhaltes der nationalen Sicherheit abträglich und nicht im öffentlichen Interesse wäre sowie daß ein solcher Vorgang die Zusammenarbeit Großbritanniens mit ausländischen Geheimdiensten, vornehmlich denjenigen der USA, beeinträchtigte. Am 18. November haben die staatlichen Stellen einen wichtigen juristischen Sieg errungen, als sich der High Court ihrer Argumentation anschloß.

In einer Entscheidung, die laut der Tageszeitung Independent "weitreichende Konsequenzen haben könnte", befand Richter Silber vom High Court in London, daß aus Gründen der nationalen Sicherheit die vertraulichen behördlichen Dokumente, in die die Kläger Einblick erhalten wollen, hinter verschlossenen Türen einem "Sonderadvokaten" zur Verfügung gestellt werden sollen. Dieser soll dann anstelle der eigentlichen Anwälte und mit Rücksicht auf die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Vertraulichkeit der "geheimen Regierungsfinformationen" gegenüber dem Richter die Rechte der Kläger wahren und deren Behauptungen zu belegen versuchen. Das Problem dabei ist, daß von diesem Teil des noch stattzufindenden Prozesses - man befindet sich immer noch sozusagen in der Vorbereitungsphase - die Geschworenen, die letztendlich das Urteil fällen sollen, ausgeschlossen blieben.

Mit dieser Entscheidung hat Richter Silber zum erstenmal in der britischen Rechtsprechung den Geheimdiensten gestattet, Beweismittel Klagenden und ihren Anwälten vorzuenthalten. Entsprechend groß war die Empörung seitens der Rechtsberater der ehemaligen Guantánamo-Häftlinge. In einem am 19. November erschienenen Bericht der Tageszeitung Guardian zitierte der Sicherheitskorrespondent Richard Norton-Taylor drei von ihnen. Louis Christian, die Martin Mubanga vertritt, erklärte: "Der Richter hat etwas sanktioniert, was eigentlich ein verfassungsmäßiger Frevel ist, nämlich der Regierung zu erlauben, sich in den normalen zivilen Gerichten auf geheimes Beweismaterial zu stützen." Irene Nembhard, die Jamil El Banna und Omar Deghayes zur Seite steht, stellte fest, die Entscheidung Silbers würde "das Recht auf einen Geschworenenprozeß für Menschen, die solche Klagen erheben, zunichte machen." Clive Stafford Smith, Leiter der Menschenrechtsorganisation Reprieve, der Binyam Mohamed vertritt und sich seit Jahren wie kaum ein zweiter für die Rechte jener quasi rechtlosen "feindlichen Kombattanten" im "globalen Antiterrorkrieg" der USA einsetzt, kam zu folgendem deprimierenden Fazit:

Wenn die Geschichtsbücher geschrieben werden, werden die dunkelsten Kapitel unserer heutigen Zeit nicht von der Folter handeln, sondern von dem sich ausbreitenden Übel der Geheimhaltung, bei der "nationale Interessen" mit "nationaler Verlegenheit" vermengt werden und schlußendlich alles, wofür sich die Regierung schämen müßte, von Spesenabrechungen der Parlamentarier bis hinauf zur Folter, zur geheimen Verschlußsache erklärt wird.

20. November 2009