Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

JUSTIZ/667: Anhörung zur Klage im Fall Anwar al-Awlaki (SB)


Tötungsauftrag der US-Regierung gegen islamischen Prediger


Als im April 2010 bekannt wurde, daß die Regierung Präsident Barack Obamas mit Anwar al-Awlaki erstmals einen US-Bürger auf eine CIA-Liste der meistgesuchten Extremisten gesetzt hatte, die zur Festnahme oder gezielten Tötung ausgeschrieben sind, wurde dies in den Medien als "beispielloser Vorgang" beschrieben. Beispiellos war diese Entscheidung allerdings nur insofern, als sie keinen Ausländer betraf. Wieviele tausend Menschen seit 2001 durch Drohnen oder Mordkommandos der CIA im Auftrag der US-Regierung gezielt getötet worden sind oder einem dieser Anschläge durch Zufall zum Opfer fielen, ist nicht bekannt. Es sind indessen so viele Fälle dokumentiert, daß an Charakter und Stoßrichtung eines Gewaltregimes, das vermeintliche oder tatsächliche Gegner weltweit jagt und liquidiert, kein Zweifel bestehen sollte. Mithin befaßt sich der Rechtsstreit im Fall al-Awlaki, der derzeit vor einem US-Bundesgericht verhandelt wird, mit einer weiteren Verschärfung exekutiver Ermächtigung, die nicht nur die Praxis willkürlicher Tötungen im Regierungsauftrag für sich in Anspruch nimmt, sondern dies auch als rechtskonformes Handeln bestätigt sehen will.

Präsident Obama bedurfte bei seiner Entscheidung, den Auftrag zur Tötung al-Awlakis zu geben, der Zustimmung des Nationalen Sicherheitsrats. Dieser gab grünes Licht, indem er sich der Auffassung anschloß, die Maßnahme sei hinsichtlich einer Person angemessen, die eine derartige Gefahr für die nationale Sicherheit darstelle. Im Juli 2010 setzte das U.S. Treasury Department al-Awlaki auf die Liste der "Specially Designated Global Terrorists", und die UNO fügte ihn ihrer Liste jener Personen hinzu, die mit Al Kaida in Verbindung stehen. Wie diese Schritte zeigen, hat man es keineswegs mit einer einsamen Entscheidung des US-Präsidenten oder der US-Regierung zu tun, wenngleich diese das Heft in der Hand hat. Im Namen des sogenannten Antiterrorkriegs sind die Kollaborateure Legion.

Im August 2010 reichte al-Awlakis Vater gemeinsam mit der American Civil Liberties Union (ACLU) eine Klage gegen Präsident Obama, Verteidigungsminister Robert Gates und CIA-Direktor Leon Panetta mit dem Ziel ein, den Tötungsbefehl gegen seinen Sohn, der sich im südöstlichen Jemen aufhalten soll, zurückzunehmen. Die Kontroverse schlug zu diesem Zeitpunkt in den USA bereits hohe Wellen, da der Umstand, daß die Regierung einen US-Bürger ohne Prozeß und ausschließlich aufgrund geheimdienstlicher Erkenntnisse sogar fern eines Kriegsgebiets töten läßt, für beträchtliche Unruhe sorgte, ahnte man doch die tendentielle Schrankenlosigkeit derartiger Verfügung über das Leben der Bürger.

Nasser al-Awlaki macht bei seiner Klage geltend, daß sein Sohn nicht der "Terrorist" ist, als den ihn die Regierung bezeichnet. Während jedoch die Bürgerrechtsanwälte noch mit der Vorbereitung der Klage befaßt waren, legte das Treasury Department mit dem Antrag nach, al-Awlaki zum "global terrorist" erklären zu lassen. Dadurch wurden seine gesamten Vermögenswerte eingefroren und alle Transaktionen mit ihm oder zu seinen Gunsten zur Straftat erklärt.

In dem nun in den USA eröffneten Verfahren fordern die Anwälte der ACLU das Gericht auf zu prüfen, ob das Vorhaben der Obama-Administration, einen US-Bürger zu töten, der nie wegen einer Straftat angeklagt, geschweige denn verurteilt worden ist, nicht gegen die Verfassung sowie internationales Recht verstößt. Im Gegenzug verlangen die Rechtsvertreter der US-Regierung, die Klage abzuweisen, wobei sie Nasser al-Awlaki die rechtlichen Voraussetzungen absprechen, diesen Fall vor Gericht zu bringen. Zudem bestreiten sie grundsätzlich die Zuständigkeit von Bundesrichtern, über Entscheidungen der Regierung in Angelegenheiten der Kriegsführung und Aktivitäten im Ausland zu urteilen. Wie die Anwälte des Justizministeriums argumentieren, handle es sich bei der möglichen Gewaltanwendung gegen "Terrororganisationen" im Ausland um eine Frage, die bei der Regierung am besten aufgehoben sei und nicht Richtern überlassen werden dürfe, die nicht gewählt worden sind. [1]

Das Bestreben der regierenden Administration, sich im Zuge des proklamierten "Antiterrorkriegs" Schritt für Schritt jeder Kontrolle parlamentarischer oder rechtlicher Art zu entledigen, tritt in dieser Argumentation deutlich zutage. So macht das Justizministerium nun geltend, der Kongreß habe in Reaktion auf die Anschläge des 11. September 2001 die Regierung autorisiert, mit notwendiger und angemessener Gewalt gegen Al Kaida und deren Verbündete vorzugehen. Dies betreffe sowohl Al Kaida in Afghanistan als auch al-Awlaki im Jemen. Um sicherzugehen, beruft sich die Regierung überdies auf das sogenannte Staatsgeheimnis und erklärt, die Klage der ACLU müsse abgewiesen werden, da ein öffentlicher Prozeß, in dem über Todeslisten gesprochen werde, sensible Quellen und Methoden der nationalen Sicherheit gefährde.

Auch dagegen ziehen die Anwälte der ACLU natürlich zu Felde, wobei sie nach der Strategie vorgehen, scharf zwischen Operationen im afghanischen Kriegsgebiet und solchen im Jemen zu unterschieden, wo ihrer Auffassung nach gegenwärtig kein derartiger bewaffneter Konflikt ausgetragen wird. In Abwesenheit eines bewaffneten Konflikts sei die US-Regierung an den Schutz der Bürgerrechte durch die Verfassung gebunden. Der vierte Verfassungszusatz verbietet der Regierung die Anwendung exzessiver Gewalt gegen amerikanische Bürger, der fünfte untersagt es ihr, einen Bürger ohne Anwendung des Gesetzes zu Tode zu bringen. Der Gebrauch tödlicher Gewalt sei nur dann gerechtfertigt, wenn eine unmittelbare Gefahr für das Leben oder die Sicherheit anderer bestehe, die zudem nicht auf andere Weise abgewendet werden kann. Diese Voraussetzungen seien im Fall Anwar al-Awlikis nicht gegeben. In diesem Zusammenhang beruft sich die ACLU auch auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 2004, wonach ein Kriegszustand dem Präsidenten keinen Blankoscheck ausstellt, sofern die Rechte von US-Bürgern betroffen sind.

Am 2. November 2010 wurde im Jemen in Abwesenheit ein Verfahren gegen Anwar al-Awlaki wegen dessen angeblicher Beteiligung an einem gescheiterten Bombenanschlag auf eine US-amerikanische Frachtmaschine im Mai 2009 eröffnet. Schon wenige Tage später schickte das Gericht in der Hauptstadt Sanaa Hunderte Soldaten mit dem Auftrag auf den Weg, Anwar al-Awlaki gefangenzunehmen. Diese ungewöhnlich schnelle Reaktion unterstreicht, wie verzweifelt sich die Regierung Präsident Ali Abdullah Salehs den USA andient, um seinem Land das Schicksal Afghanistans und des Iraks zu ersparen. [2]

Anmerkungen:

[1] Can US kill American-born cleric Anwar al-Awlaki? Judge to hear case (07.11.10)
The Christian Science Monitor

[2] Yemen orders troops to 'forcibly arrest' Al Qaeda cleric Anwar al-Awlaki (07.11.10)
The Christian Science Monitor

8. November 2010