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LATEINAMERIKA/2165: Regierung Venezuelas stellt Reisproduktion sicher (SB)


Präsident Chávez läßt landwirtschaftliche Betriebe vorübergehend besetzen


Im Rahmen kapitalistischer Produktionsweise sind Nahrungsmittel von ihrem Gebrauchswert abstrahierte Waren, deren ausschließlicher Zweck die Profitmaximierung ist. Die Versorgung der gesamten Bevölkerung eines Landes mit angemessenen Lebensmitteln zu erschwinglichen Preisen repräsentiert demgegenüber eine grundsätzlich andersgeartete Interessenlage, die allenfalls befristet mit der erstgenannten in Einklang zu stehen scheint, ihr jedoch ihrem Wesen nach fundamental widerspricht. Dieser Widerspruch spitzt sich derzeit auch in Venezuela zu, wo die Regierung bereits 2003 regulierend eingegriffen und Preisobergrenzen für Grundnahrungsmittel eingeführt hat, um insbesondere die Lebensverhältnisse der ärmeren Bevölkerungsteile zu stabilisieren und die hohe Inflation zu dämpfen.

Die Produzenten sehen durch solche staatlichen Eingriffe ihre Profite geschmälert und greifen zu Strategien, die den Widerspruch zu den Bedürfnissen der Konsumenten offen ausbrechen lassen, indem sie etwa die Produktion drosseln oder ihre Erzeugnisse horten, um eine Teuerung herbeizuführen. Eben dies hat Präsident Chávez nun den Reisproduzenten vorgeworfen und zur Vermeidung von Engpässen bei der Lebensmittelversorgung eine vorübergehende Besetzung aller landwirtschaftlichen Betriebe dieser Sparte angeordnet. Er ließ dabei offen, wie lange Truppen der Nationalen Garde die Reisplantagen besetzt halten werden, und schloß eine dauerhafte Verstaatlichung nicht aus, sofern sich die Erzeuger weiterhin widerspenstig zeigen.

Wie der venezolanische Staatschef im Zusammenhang einer Ansprache in Caracas sagte, mit der er an die Unruhen angesichts steigender Preise vor zwanzig Jahren erinnerte, in deren Verlauf sogar Menschen zu Tode kamen, habe er eine sofortige Intervention in den betreffenden Sektoren der Agroindustrie angeordnet. Es müsse sichergestellt werden, daß die maximale Menge Reis auf den Markt komme. Unter den von dieser Maßnahme betroffenen Betrieben befinden sich auch solche, die im Besitz des US-Konzerns Cargill sind. Dies rief im Verbund mit einer prinzipiellen Ablehnung jeder Form von Nationalisierung in den Vereinigten Staaten heftige Kritik wach, die der venezolanischen Regierung insbesondere deswegen Mißwirtschaft zum Vorwurf macht, weil sie der kapitalistischen Wirtschaftsweise nicht freien Lauf läßt.

Diese Vorwurfslage aus dem Munde der weltweit führenden Protagonisten einer Produktionsweise, die im eigenen Land nicht nur wachsendes Elend hervorbringt, sondern die globale Wirtschaftskrise ausgelöst hat, ist absurd. Welche Maßnahmen die venezolanische Regierung ergreift, um die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sicherzustellen, geht Washington schlechterdings nichts an, da man dort über keinerlei Legitimation verfügt, sich in die inneren Angelegenheiten des südamerikanischen Landes einzumischen, zumal sich dieses eine derartige Anmaßung oft genug verbeten hat.

Soweit es aber um die sachbezogene Diskussion geht, welche Vorgehensweise angesichts der Systemkrise der kapitalistischen Wirtschaftsweise und der Unmöglichkeit, die Weltbevölkerung mit den vorhandenen Mitteln zu ernähren, geboten scheint, ist der politischen Führung in Caracas um so weniger vorzuwerfen, sie steuere einen abenteuerliche Kurs und zerstöre aus ideologischen oder propagandistischen Gründen effektive Produktionsweisen.

Unter diesen Umständen griff beispielsweise die New York Times (01.03.09) zu einem halbherzigen Verweis auf das Referendum vom Februar, dessen Annahme den venezolanischen Amtsträgern die Möglichkeit eröffnet, ohne Einschränkung erneut zu kandidieren. Präsident Chávez, so stand da zu lesen, radikalisiere nach gewonnenen Wahlen häufig seine Politik und habe in den zurückliegenden Jahren wesentliche Teile der Wirtschaft nationalisiert. Das sollte wohl ein Seitenhieb sein, da sich diese Zeitung mit Blick auf Venezuela noch immer als Sprachrohr US-amerikanischer Regierungspolitik in einem parteiübergreifenden Sinn erwiesen hat.

Was das Referendum mit der Reisproduktion zu tun haben soll, konnte mangels eines inhaltlichen Zusammenhangs natürlich nicht erläutert werden. Vielleicht fühlt sich das Blatt ja in einem bildungsbürgerlichen Sinn von jenem berühmten römischen Redner inspiriert, der jede seiner Ansprachen mit dem klassischen Hinweis zu versehen pflegte, daß Karthago zerstört werden müsse. Übertragen auf Venezuela und Hugo Chávez müßte man gewissermaßen als Stichwortgeber jeder noch so mageren Meldung etwas hinzufügen, das den beabsichtigten Reflex beim Leser auslöst, der andernfalls womöglich auf den Gedanken kommen könnte, daß es am Ende gar nicht so verkehrt ist, die Agrokonzerne in die Pflicht zu nehmen. Denkbar ist andererseits auch, daß den Kommentatoren angesichts der galoppierenden Weltwirtschaftskrise langsam aber sicher die Phrasen ausgehen, in der gewohnten Selbstherrlichkeit den Untergang Venezuelas an die Wand zu malen.

4. März 2009