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LATEINAMERIKA/2227: Bleibt Zelayas Stich ins Wespennest langfristig ohne Folgen? (SB)


Honduras international isoliert - Zelayas Einlenken wirft Fragen auf


Mit seiner Annäherung an den Gesellschaftsentwurf, wie er von den Regierungen der ALBA-Mitglieder favorisiert wird, in deren Kreis er sein Land geführt hat, sticht der honduranische Präsident Manuel Zelaya in ein Wespennest. Wie zuvor in Venezuela, Bolivien und Ecuador provozieren die Gegner dieser Entwicklung eine Kontroverse um die Frage weiterer Amtszeiten des Staatschefs, um die fundamentale Widerspruchslage zu verschleiern. Der Vorwurf, welcher das Konstrukt angeblicher diktatorischer Ambitionen des Präsidenten in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt, soll verhindern, daß die herrschenden Gewalt- und Ausbeutungsverhältnisse beim Namen genannt und in Frage gestellt werden.

Die Putschisten in Honduras - ein Pakt aus Militärs, politischem Establishment, Justiz und Wirtschaft - berufen sich auf die Verfassung, die nicht nur eine zweite Amtszeit des Präsidenten, sondern auch den Versuch, eine solche anzustreben, verbietet. So gesehen hat sich Manuel Zelaya ins Unrecht gesetzt, wenn er vorschlägt, das Volk nach seiner Meinung zu befragen. Nicht von ungefähr fürchten die honduranischen Eliten jede Form direkter Demokratie, da sie nur zu gut um ihre eigene Minderheitsposition wissen, und führen den Vorwurf des Populismus ins Feld, als verbiete es sich von selbst, den Menschen im Land zu einer Stimme zu verhelfen.

Manuel Zelaya will in seine Heimat zurückkehren und seine Amtszeit fortsetzen, doch strebt er keine Wiederwahl mehr an. Damit hat er der entscheidenden Vorwurfslage den Boden entzogen, die zur Rechtfertigung des Militärputsches ins Feld geführt wurde. Wie er in New York nach einer Rede vor der UN-Vollversammlung mitteilte, wolle er die bis zum 27. Januar laufende Amtszeit beenden, sich dann aber nicht mehr zur Wiederwahl stellen. Er bestätigte auf Nachfrage, daß er nie mehr Präsident sein, sondern die Politik aufgeben und ins Privatleben zurückkehren werde.

Da die honduranischen Behörden inzwischen einen Haftbefehl gegen Zelaya erlassen haben, droht dem Staatschef bei seiner Rückkehr eine Festnahme. Der Generalstaatsanwalt des Landes, Luis Alberto Rubi, wirft Zelaya Verstöße gegen die Verfassung und gegen Gesetze, aber auch kriminelle Handlungen vor. Um Manuel Zelaya bei seiner Heimkehr zu schützen, wollen ihn lateinamerikanische Amtskollegen und Repräsentanten internationaler Gremien begleiten: Die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, der ecuadorianische Staatschef Rafael Correa, der Präsident der UN-Vollversammlung, Miguel D'Escoto, und der OAS-Vorsitzende José Miguel Insulza kündigten ihren Begleitschutz an.

Unterdessen wächst der internationale Druck auf die Putschregierung in Honduras. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hat ihr eine Frist von 72 Stunden gesetzt, um den gestürzten Präsidenten Manuel Zelaya wieder einzusetzen. Sollte Honduras dieser Aufforderung nicht nachkommen, werde das mittelamerikanische Land aus der Organisation ausgeschlossen, erklärte der OAS-Vorsitzende Insulza. Die honduranische Interimsregierung ist in Lateinamerika weithin isoliert, nachdem die Staaten Mittelamerikas die diplomatischen Beziehungen zu ihrem Nachbarn eingefroren und vorübergehend ihre Grenzen zu Honduras geschlossen haben. Auch wurden internationale Kredite eingefroren.

Die UN-Vollversammlung hat in Anwesenheit Zelayas den Staatsstreich einmütig verurteilt und die Wiedereinsetzung des Präsidenten gefordert. Das Gremium verabschiedete eine Resolution, in der die "sofortige und bedingungslose Wiedereinsetzung der legalen und verfassungsmäßigen Regierung" verlangt wird. Auch empfahlen die UN-Vertreter der internationalen Staatengemeinschaft, keine andere Regierung als die Zelayas anzuerkennen. Die zwischenzeitlich installierte neue Regierung wies die UN-Resolution zurück. Niemand könne ihn zum Rücktritt zwingen, erklärte Roberto Micheletti, der bis Januar im Amt bleiben will. (Zeit Online 01.07.09)

Wenngleich die US-Regierung Truppen in Honduras stationiert hat und enge Beziehungen zu den dortigen Streitkräften unterhält, bezieht Präsident Barack Obama in seinen offiziellen Verlautbarungen weiterhin Stellung gegen den Putsch. Wie er nach einem Treffen mit dem kolumbianischen Präsidenten Alvaro Uribe erklärte, sei der Staatsstreich illegal und setze ein "schreckliches Beispiel" in der Region. Man wolle nicht zurück in die dunkle Vergangenheit. Auch Außenministerin Hillary Clinton forderte eine umgehende Wiederherstellung der demokratischen und verfassungsmäßigen Ordnung in Honduras. Zudem kündigte sie eine Überprüfung der US-Hilfen an, da die Unterstützung auf einem intakten demokratischen System im Empfängerland gründe.

In Madrid rief der spanische Außenminister Miguel Angel Moratinos die Staaten der Europäischen Union dazu auf, als Zeichen des Protests ihre Botschafter aus Honduras abzuberufen. Das katholische Hilfswerk Misereor und die internationale Menschenrechtsorganisation FIAN forderten in Deutschland Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf, diplomatischen Druck auszuüben. Da die honduranischen Behörden gewaltsam gegen ehemalige Regierungsmitglieder und die Protestbewegung vorgingen, müsse die internationale Gemeinschaft schnell und entschieden handeln, um ein Blutbad zu verhindern.

Der nach dem Umsturz vom Kongreß eingesetzte Interimspräsident Micheletti rief die Bevölkerung auf, sich dem internationalen Druck nicht zu beugen. Er bekräftigte seine Auffassung, daß überhaupt kein Putsch stattgefunden habe, da man nach wie vor der Verfassung entspreche, die Zelaya ohne rechtliche Grundlage habe ändern wollen. In der Hauptstadt Tegucigalpa kam es zu Aufmärschen für die neue Regierung, die unter dem Banner des Vorwurfs standen, Zelaya habe eine Diktatur angestrebt.

Repressalien und Medienzensur hat die einzige im Parlament in Opposition zu den Putschisten stehende Partei, die linksgerichtete Demokratische Vereinigung, beklagt. Ihren Angaben zufolge wurden 140 Anhänger der Partei verhaftet. In San Pedro Sula, der zweitgrößten Stadt des Landes, wurde der Zelaya nahestehende Oberbürgermeister festgenommen. In mehreren Landesteilen setzte sich der Protest gegen die Putschisten fort. Unweit des Regierungssitzes im Zentrum von Tegucigalpa errichteten Demonstranten Barrikaden aus Steinen, Holzplatten und Autoreifen, die sie in Brand setzten. Bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften kam es zu Verletzten, auch von Schüssen wurde berichtet. Polizeikräfte hinderten Dutzende Busse mit Anhängern Zelayas daran, in die Hauptstadt hineinzufahren.

Ungeklärt bleibt vorerst, wer oder was Manuel Zelaya bewogen hat, von seinem politischen Vorhaben Abstand zu nehmen. Nach dem Stand der Kräfteverhältnisse in Honduras, wie sie im Umsturz zum Ausdruck kamen, drohten gewaltsame Auseinandersetzungen bis hin zum Bürgerkrieg. Soweit bislang bekannt, geht Zelaya nicht nur einen Kompromiß ein, sondern zieht sich in absehbarer Zeit ganz aus der Politik zurück, was auf das Ende der von ihm repräsentierten Entwicklungsoption hinauslaufen könnte. Daher wäre es bedeutsam zu erfahren, ob insbesondere in Washington Fäden gezogen wurden, um Honduras wieder auf den gewünschten Kurs zu bringen, ohne dabei als Parteigänger eines Militärputsches in Erscheinung zu treten.

1. Juli 2009