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LATEINAMERIKA/2248: Raúl Castro schließt Abkehr vom Sozialismus kategorisch aus (SB)


Kubas Staatschef betont Dialogbereitschaft - doch nicht um jeden Preis


Die globale Krise der kapitalistischen Gesellschaftsordnung offenbart das Scheitern dieses Verwertungssystems, welches unter der Maßgabe innovativer Herrschaftssicherung eine zugespitzte Form der Verfügung auf den Plan ruft. Die Krise als Niederlage einer systemimmanenten Sackgasse zu feiern, besteht daher kein Anlaß, zumal die Führungsmächte keinesfalls als Verlierer aus diesem Umbruch hervorgehen, sondern im Gegenteil ihre Dominanz zu perpetuieren und bis zur Unumkehrbarkeit zu konsolidieren trachten, indem sie die rasant wachsende Peripherie im eigenen Land wie auch weltweit um so mehr in Knechtschaft binden und ins Elend stürzen. Daraus resultiert das Bestreben, anderen Gesellschaftsentwürfen dasselbe Verhängnis als einzig vorstellbaren und tolerierbaren Weg zu menschlicher Entwicklung in Wohlstand und Freiheit anzuempfehlen oder besser gesagt aufzuzwingen.

Im Diskurs um die künftige Entwicklung der kubanischen Gesellschaft scheiden sich zwangsläufig die Geister, da die Apologeten kapitalistischer Glückseligkeit wie so oft in der Vergangenheit das Ende sozialistischer Ambitionen herbeireden und Reformprozesse fordern, die nach ihrer Diktion mit der Preisgabe jeglicher Schutzmechanismen gegen konkurrenzgestützten Raub einherzugehen haben.

Wie alle vergleichsweise armen Länder bekommt auch Kuba die Weltwirtschaftskrise mit voller Wucht zu spüren, da es über keine nennenswerten Möglichkeiten verfügt, den Verfall seiner wichtigsten Einkommensquellen zu kompensieren. Der Preissturz seines bedeutendsten Exportprodukts Nickel und die sinkenden Einnahmen aus dem Tourismus haben die ökonomische Situation dramatisch verschärft, wobei die Karibikinsel nach wie vor mit den schweren Verwüstungen durch drei tropische Wirbelstürme im vergangenen Jahr zu kämpfen hat. [1] Die Wachstumsprognose für das laufende Jahr mußte zum zweiten Mal nach unten korrigiert werden und ist von ursprünglich sechs Prozent auf nunmehr 1,7 Prozent gesenkt worden. Zwar hat Rußland vor kurzem Kredite bewilligt, mit deren Hilfe der akute finanzielle Engpaß überwunden werden kann, doch sah sich das Parlament gezwungen, einige Einschnitte im Sozialsystem zu beschließen. Präsident Raúl Castro rief seine Landsleute auf, so viel wie irgend möglich zu sparen. [2]

Die Analyse der Lage Kubas und die drängenden wirtschaftlichen Probleme stellen die Regierung in Havanna vor die gewaltige und umfassend zu erörternde Aufgabe, grundlegende Entscheidungen mit Blick auf den künftigen Kurs zu treffen. Bei einer Sitzung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei verschob Castro daher den für Ende des Jahres geplanten Parteitag der Kommunistischen Partei auf unbestimmte Zeit, wobei der letzte Parteitag im Oktober 1997 stattgefunden hatte.

In einer Rede vor der Nationalversammlung schloß der 78jährige eine Abkehr vom Sozialismus kategorisch aus: "Mit allem Respekt vor Frau Clinton ... Ich wurde nicht zum Präsidenten gewählt, um den Kapitalismus in Kuba wieder einzuführen oder um die Revolution auszuliefern. Ich wurde gewählt, um den Sozialismus zu verteidigen, zu erhalten und weiter zu perfektionieren - nicht, um ihn zu zerstören." Für seine Ansprache erhielt Castro lange anhaltenden Applaus der Abgeordneten.

Raúl Castro bezog sich direkt auf Äußerungen von US-Außenministerin Hillary Clinton, die wiederholt angemahnt hatte, die Regierung in Washington erwarte von Kuba Vorleistungen, bevor es zu einem Dialog kommen könne. Er bezog Position, indem er seine Bereitschaft unterstrich, mit den USA und der EU über alles zu reden, außer über das politische und soziale System seines Landes.

Dabei räumte der kubanische Staatschef ein, daß sich das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten seit dem Amtsantritt Barack Obamas etwas entspannt habe. Aggression und anti-kubanische Rhetorik auf Seiten der US-Administration hätten abgenommen. Andererseits habe die seit 47 Jahren bestehende Blockade nach wie vor Bestand und die Lockerungen seien zwar angekündigt, jedoch noch nicht umgesetzt worden. Er bezog sich dabei auf die vage Absichtserklärung des US-Präsidenten, die Beziehungen zu Kuba neu gestalten zu wollen. Obama machte unter anderem Verschärfungen der Reise- und Devisenbeschränkungen für Exilkubaner, die von der Bush-Administration vorgenommen worden waren, rückgängig.

Die Regierungen Lateinamerikas haben das Ende des US-Embargos gegen Kuba auf die Tagesordnung gesetzt und zum Prüfstein für die erklärte Bereitschaft der neuen US-Administration erhoben, die Beziehungen tatsächlich neu zu gestalten. Wie Raúl Castro zutreffend analysiert, ist Washington ungeachtet seiner etwas milderen Wortwahl und geringer Erleichterungen den entscheidenden Beweis für einen Sinneswandel schuldig geblieben. Daß der kubanische Staatschef dennoch seine wiederholt erklärte Bereitschaft zu einem Dialog auf gleicher Augenhöhe hervorhebt, ist in seiner Position und im Interesse seines drangsalierten Landes nur zu verständlich. Die Befürchtung, daß nach dem Elefanten im Porzellanladen in Gestalt des Vorgängers George W. Bush nun ein Wolf im Schafspelz namens Barack Obama die durch unverhohlene Aggression entfremdeten hispanischen Völker wieder zurück in den Pferch und damit auf die Schlachtbank zu locken versucht, dürfte dabei eine düstere Ahnung bleiben, die Castro ohnehin manche schlaflose Nacht bereitet.

Anmerkungen:

[1] Kuba. Castro zeigt Dialogbereitschaft mit EU und USA (02.08.09)
http://www.welt.de/politik/ausland/article4240946/Castro-zeigt-Dialogbereitschaft-mit-EU- und-USA.html

[2] Raul Castro an USA. "Kuba wird Kommunismus nicht aufgeben" (02.08.09)
www.taz.de/1/politik/amerika/artikel/1/castro-legt-den-rueckwaertsgang-ein

3. August 2009