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LATEINAMERIKA/2269: Chevron verschleppt Prozeß wegen Umweltzerstörung in Ecuador (SB)


New York Times nutzt Gelegenheit, gegen Präsident Correa zu stänkern


Wie man mit journalistischen Mitteln in der Grauzone wenig aussagekräftiger Informationen, gezielt lancierter Andeutungen und als objektive Berichterstattung getarnter Mutmaßungen Front gegen die Regierung Ecuadors macht, die sich aus Sicht eines renommierten US-amerikanischen Leitmediums der Kollaboration mit der eigenen Bevölkerungsmehrheit schuldig macht, demonstriert die New York Times in ihrer heutigen Internetausgabe. [1]

Worum geht es bei dieser zu einem skandalösen Korruptionsfall aufgebauschten Gemengelage? Jahrelang hat der US-Ölgigant Chevron bei der Ausbeutung seiner Ölfelder in entlegenen Regionen des nördlichen Amazonasgebiets von Ecuador verheerende Umweltschäden verursacht, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Das schien sich 1993 endlich zu ändern, als Klage gegen den Konzern mit einem Streitwert von 27 Milliarden Dollar eingereicht wurde, was nicht allein wegen der Höhe dieser Forderungen, sondern auch mit Blick auf mögliche weitere Prozesse in anderen Ländern bedeutsam war. Folglich ließ Chevron nichts unversucht, um das Verfahren zu verschleppen und womöglich sogar zu Fall zu bringen.

Präsident Rafael Correa hat sich mehrfach offen auf die Seite der Kläger gestellt, was keineswegs seine einzige und bedeutendste Parteinahme gegen die Ausplünderung durch ausländische Konzerne und die Drangsalierung seitens der Regierung in Washington und deren Werkzeugen in Gestalt der internationalen Finanzadministration war. Daraufhin entfaltete Chevron eine heftige Lobbyarbeit mit dem Ziel, Ecuadors Handelserleichterungen im Verkehr mit den USA zu Fall zu bringen. Diese Intrige scheiterte jedoch im Juni, als es die Obama-Administration im Zuge ihrer Propagandaoffensive in Lateinamerika vorzog, die Beziehungen zu der Regierung in Quito lieber zu pflegen.

Nun hat Chevron Videoaufnahmen auf seine Website gestellt, die angeblich ein Korruptionskomplott unter Beteiligung des engsten persönlichen Umfelds von Präsident Correa, von Mitgliedern seiner Partei sowie des vorsitzenden Richters im Verfahren gegen den US-Konzern offenlegen. Sollte es dank dieses Szenarios gelingen, eine Einflußnahme des Staatschefs auf den Prozeß zu belegen oder wenigstens die Ablösung des Richters zu erwirken, hätte Chevron mindestens etliche weitere Jahre Aufschub gewonnen, in denen juristisch oder politisch viel geschehen kann.

Dem Vernehmen nach haben Geschäftsleute bei verschiedenen Gelegenheiten belastende Äußerungen mit Hilfe miniaturisierter Spionageausrüstung in Armbanduhren und Schreibwerkzeugen heimlich in Bild und Ton festgehalten. Chevron will diese Aufnahmen von einem Ecuadorianer erhalten haben, der früher für einen US-amerikanischen Dienstleister des Konzerns gearbeitet hat. Niemand habe Zahlungen für dieses Material erhalten, wobei man natürlich dem Informanten und seiner Familie aus Sicherheitsgründen die Ausreise finanzieren mußte, heißt es seitens des Unternehmens.

In der Führungsetage des Konzerns geht man davon aus, daß der vorsitzende Richter angesichts der Enthüllungen seiner Aufgabe enthoben werden müsse wie auch alles null und nichtig sei, was er jemals in diesem Verfahren unternommen habe. Daß Chevron es gern so hätte, liegt auf der Hand, doch darf bezweifelt werden, daß das präsentierte Material für eine solche Interpretation geeignet ist. In den Aufnahmen ist zwar davon die Rede, daß im Falle eines Urteils gegen den US-Konzern drei Millionen Dollar zu gleichen Teilen zwischen den Klägern, dem Richter und der Präsidentschaft aufgeteilt werden sollen. Aus den Aufnahmen wie auch den von Chevron mitgelieferten Transkripten geht jedoch nicht hervor, ob der Richter jemals etwas von dem Bestechungsplan erfahren hat. Gleiches gilt für die Schwester Präsident Correas, die man angeblich in das Schema einbinden wollte.

Ein Rechtsberater des Staatschefs wird denn auch mit den Worten zitiert, nun sei man offenbar endgültig auf des Niveau der Diffamierung und Verleumdung gesunken. Sofern Chevron von der Straftat heimlich abgehörter Gespräche profitiere, sei dies eine üble juristische Strategie des Konzerns. Ein Anwalt der Kläger geht von einer inszenierten Operation des Konzerns aus, was ebenso gründlich untersucht werden müsse wie eine mögliche Verwicklung des Richters. Überaus seltsam mute jedenfalls an, daß angeblich heimliche Aufnahmen mit Utensilien gemacht wurden, die aus einem James-Bond-Film stammen könnten.

Wie die New York Times einräumen muß, liefert das Material keinerlei Anhaltspunkte für eine tatsächliche Beteiligung des Richters oder der Schwester des Präsidenten. Spätestens an dieser Stelle müßte sich journalistische Ernsthaftigkeit regen und eingestehen, daß man es offensichtlich mit recht vagen Andeutungen und Möglichkeiten zu tun hat, die vielerlei Interpretationen zulassen, keinesfalls aber eine pompös aufgeblasene Schauergeschichte rechtfertigen. Zwar ist boulevardeskes Getöse nicht der Stil des New Yorker Blatts, doch was statt dessen an losen Assoziationen und wie beiläufig eingestreuten Bemerkungen zum besten gegeben wird, ist nicht gerade eines Pulitzerpreises würdig.

Hat nicht Correa noch einen Bruder, der unter Korruptionsverdacht stehen soll? Das sieht ja nicht gut für den Präsidenten aus, der sich erst kürzlich mit den Medien angelegt hat und die Schließung eines Fernsehsenders beantragen will, weil dieser im Präsidentenbüro abgehörte Gespräche ausgestrahlt hat! Heimliche Mitschnitte von Treffen hinter verschlossenen Türen scheinen offenbar in der Politik Ecuadors gang und gäbe geworden zu sein. Jedenfalls gewährten die von Chevron veröffentlichen Aufnahmen doch einen Blick in die finsteren Sphären ecuadorianischer Politik und Geschäftswelt. Und schließlich habe die Schwester des Präsidenten dem Gesprächspartner einmal anvertraut, sie müsse ihrem Bruder nur eine Kleinigkeit mitteilen, mehr sei nicht erforderlich.

Angesicht einer solchen Geisterbahnfahrt durch scheinbar wahllos hingeworfene Brocken ohne jeden inneren Zusammenhang fragt sich der Leser der New York Times möglicherweise, ob ihm beim Überfliegen des Artikels etwas Wesentliches entgangen ist. Aber nein, es geht tatsächlich um nichts weiter als den Transport einer inhaltlich durch nichts gestützten Botschaft, die Ecuador im allgemeinen und Präsident Correa im besonderen mittels zusammengewürfelter Bemerkungen diskreditieren soll. Wie wünscht man sich doch nach einem solchen Debakel ein Mindestmaß journalistischen Spürsinns, das sich nicht bereitwillig vor den Karren Chevrons spannen läßt, sondern Lunte riecht und nicht locker läßt, wenn ein US-amerikanischer Riesenkonzern plötzlich herausgefunden haben will, daß man in Ecuador ein Komplott gegen ihn geschmiedet hat.

Anmerkungen:

[1] Chevron Offers Evidence of Bribery in Ecuador Lawsuit (01.09.09)
New York Times

1. September 2009