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LATEINAMERIKA/2274: Virtuelle Mobilisierung simuliert Massenprotest gegen Chávez (SB)


Opportunistische Medienhetze im Kielwasser Washingtons


Nachdem die US-Regierung mit ihren milden Sanktionen gegen Honduras das Treiben der Putschisten im Grunde gebilligt und mit Kolumbien ein Abkommen über sieben Militärstützpunkte ausgehandelt hat, wittern reaktionäre Kräfte Morgenluft. Triumphierend feiert man bereits die am Horizont heraufziehende Niederlage der Linken in Lateinamerika und prügelt insbesondere auf den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez ein, der sich der Todsünde schuldig gemacht hat, den für vernichtet erklärten Sozialismus zu neuem Ansehen verholfen zu haben. Die finale Weltordnung ist ein monolithischer Entwurf, der die Dynamik eines systemischen Widerspruchs ausschließt und damit die Überlebensratio einer elitären Minderheit zu Lasten einer zugrunde gehenden Mehrheit der Menschheit unumkehrbar zu verankern sucht. Dies erklärt den Haß, der dem Staatschef Venezuelas und seinen Verbündeten entgegenschlägt, die tabuisierte Fragen wieder auf die Tagesordnung gesetzt und Millionen ausgegrenzten Menschen eine Stimme gegeben haben.

Wie es heißt, habe ein kolumbianischer Geschäftsmann mit Hilfe von Online-Netzwerken wie Facebook und Twitter den aktuellen Protest gegen Chávez organisiert. Er rief zu Demonstrationen in aller Welt auf und simulierte auf diesem Wege eine massenhafte Kampagne, der durch internationale Medien Leben eingehaucht wurde, die in ihren diesbezüglichen Berichten aus der Mücke einen Elefanten machten. In mehr als zwanzig kolumbianischen Städten hätten Tausende Menschen protestiert wie auch in Süd- und Nordamerika sowie Europa zahlreiche Menschen auf die Straße gegangen seien. [1] Wortwahl und Zahlenangaben sind naturgemäß außerordentlich vage gehalten, da eine Konkretisierung das Phänomen auf seine tatsächliche Marginalität schrumpfen lassen würde.

Heftig vom Leder zieht "Die Welt" in ihrer heutigen Online-Ausgabe, die gewaltige Gärungsprozesse der Unzufriedenheit in Venezuela ausgemacht haben will und sich daran delektiert, daß die armen Leute die Krisenfolgen zu spüren bekommen. Außerdem schränke die Regierung die Informationsmöglichkeiten ein, verwandle den Schulunterricht in ein totale Indoktrination, greife mit der katholischen Kirche eine der letzten Bastionen gegen die völlige Vereinnahmung an und enteigne Privatunternehmen, um die bankrotte Staatskasse zu füllen. Chávez zündle nicht mehr, sondern fahre einen frontalen Kurs gegen seine Gegner. Die privat organisierte Protestwelle "in vielen Städten auf dem ganzen Globus" puste einen Hugo Chávez zwar nicht weg, signalisiere einer drangsalierten Opposition in Venezuela jedoch, daß sie in ihrem Kampf gegen die Etablierung einer totalitären Diktatur nicht allein steht. [2]

Vielleicht muß man einem Blatt, das sich selbst nicht eben bescheiden "Die Welt" nennt, eine sehr private Sichtweise bei der Verortung einer Protestwelle auf dem gesamten Globus zugestehen. Auch darf bezweifelt werden, daß sich die venezolanische Opposition wirklich so allein fühlt, wo sie doch nicht nur über wesentliche Teile der Wirtschaftsmacht und der Medien gebietet, sondern darüber hinaus aus diversen US-Fonds finanziert wird und sich klammheimlicher Hilfe ausländischer Geheimdienste sicher sein kann. Bezeichnenderweise ist in diesem gehässigen Kommentar nicht die Rede davon, Chávez abzuwählen, da man dann einräumen müßte, daß er von der Mehrheit seiner Landsleute unterstützt wird. Wegpusten möchte man ihn, was demgegenüber nur durch einen Putsch möglich ist, wie er in Venezuela gescheitert, in Honduras jedoch bislang von Erfolg gekrönt ist.

Zuvor hatte bereits die "New York Times" fabuliert, in Venezuela hätten "Zehntausende" gegen Chávez und "Tausende" seiner Anhänger für ihn demonstriert, womit offensichtlich der Eindruck erweckt werden sollte, die Opposition bringe weit mehr Menschen auf die Straße und gebe angemessener die Stimmung im Land wieder. Dann folgten zusammengewürfelte Einzelstimmen aus den Reihen der Regierungsgegner, die sich über dieses und jenes beklagten und dem üblichen Stil des Blattes entsprechend Athentizität vorgaukelten, wo sie doch zwangsläufig nicht mehr als eine selektive und paßförmige Zitation zugunsten der favorisierten inhaltlichen Stoßrichtung des Artikels sein können. [2]

Andere Medien fühlen sich offenbar etwas stärker gewissen journalistischen Mindeststandards verpflichtet und berichten immerhin, daß in der venezolanischen Hauptstadt Caracas jeweils mehrere tausend Menschen für und gegen die Politik von Präsident Hugo Chávez demonstriert hätten, ohne daß es zu Zusammenstößen gekommen sei. Während die oppositionellen Kräfte ihr Recht auf friedlichen Protest gegen das im August verabschiedete Bildungsgesetz oder die Schließung der Radio- und Fernsehsender geltend gemacht hätten, seien die Anhänger der Regierung insbesondere gegen die geplanten Militärstützpunkte im Nachbarland Kolumbien zu Felde gezogen. [3] Präsident Chávez, der sich auf einer Auslandsreise befand, während der er unter anderem Station im Iran und in Syrien machte, begrüßte in einer Videobotschaft aus Teheran die Mobilisierung seiner Anhänger.

Klopft man die aktuellen Kontroversen auf ihre konkreten Streitpunkte ab, stellt sich heraus, daß durchaus vorhandene Auseinandersetzungen um Bildungsinhalte und Medienfreiheit in der Darstellung der Opposition und der sie kolportierenden ausländischen Presseorgane extrem verzerrt und in den Rang einer Schlacht zwischen Demokratie und Diktatur überhöht werden. Während die Regierung das Bildungsgesetz mit der Begründung verteidigt, es ziele auf eine Verbesserung der Allgemeinbildung im Land ab, behauptet die Opposition, es komme zu einer zu starken Mitsprache des Staates in Bildungsfragen und einer Einschränkung der Autonomie der Universitäten.

In Mexiko-Stadt hatten die örtlichen Organisatoren der Kampagne in einer Presseerklärung zu einer Kundgebung im Zentrum aufgerufen. Wie es darin hieß, sei man es leid, daß Präsident Chávez Mexiko, Lateinamerika und die ganze Welt beleidige. Man habe genug von seiner Heuchelei, da er auf der einen Seite Interventionismus verurteile, doch auf der anderen der interventionistischte Staatschef sei, den es je gegeben hat. [5]

Diese groteske Bezichtigung blendet die aktuelle interventionistische Bedrohung Lateinamerikas durch die reaktivierte 4. US-Flotte, die sieben neuen US-Stützpunkte in Kolumbien, die enge militärische Zusammenarbeit der Administration in Washington mit Alvaro Uribe und Felipe Calderón, den letztjährigen Angriff auf das Lager der FARC in Ecuador, die Finanzierung von Regierungsgegnern und Umsturzplänen in diversen Ländern durch US-Fonds und viele weitere konkrete Anhaltspunkte für optionale Übergriffe vollkommen aus. Präsident Chávez, der seit Jahren vehement gegen die imperialen Ansprüche der Vereinigten Staaten zu Felde zieht und für eine unabhängige Entwicklung des Südens auf Grundlage eines engeren Zusammenschlusses eintritt, hat sich immer wieder als Störenfried engagiert. Den Vorwurf, er polarisiere die Gesellschaft seines Landes und die Staaten des Subkontinents, kann man in einer Sphäre extremster Unterschiede von Armut und Reichtum wie auch unter dem drohenden Schatten der nordamerikanischen Übermacht geradezu als unfreiwilliges Lob aus dem Munde seiner Gegner auffassen.

Anmerkungen:

[1] Tausende demonstrieren für und gegen Hugo Chávez (07.09.09)
http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5iAI8E8oIRFSuFGJJSWo2e6TR44Dw

[2] Critics and Allies of Chávez March (06.09.09)

New York Times

[3] Kommentare: Weltweite Proteste gegen Hugo Chávez. Hört er das Signal? (07.09.09)
http://www.welt.de/die-welt/debatte/article4477268/Hoert-er-das- Signal.html

[4] Demonstrationen für und gegen Regierung in Venezuela (06.09.09)
http://www.dw-world.de/dw/function/0,,12356_cid_4641328,00.html

[5] No More Chávez? Global marchers hope so (04.09.09)
http://www.csmonitor.com/2009/0904/p06s10-woam.html

7. September 2009