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LATEINAMERIKA/2278: Zelaya überrascht Putschisten mit heimlicher Rückkehr (SB)


Regime konsterniert nach der unbemerkten Einreise des Intimfeinds


Das Kalkül der Putschisten in Honduras, mit der Vertreibung Präsident Zelayas vollendete Tatsachen zu schaffen, die mit jeder weiteren Woche seines erzwungenen Exils um so unverrückbarer zu gesellschaftlichen Verhältnissen in ihrem Sinne gerinnen, schien so gut wie aufgegangen zu sein. Bestärkt durch den milden Tadel der US-Regierung, die über wirkmächtige Mittel verfügt, das mittelamerikanische Land auf jeden gewünschten Kurs zu steuern, und sie offensichtlich gewähren läßt, wiesen die Repräsentanten der honduranischen Eliten alle Vermittlungsversuche ab. Die sogenannte Übergangsregierung spielte in der Hoffnung auf Zeit, Manuel Zelaya nicht mehr ins Amt des Staatschefs zurückkehren zu lassen und ihn von der Bewegung des Widerstands fernzuhalten, wodurch sie den Protest gegen ihr Regime wirksam einzudämmen und abzuwürgen glaubten.

Die Ruhe der letzten Tage dürfte die Putschregierung in Tegucigalpa in der trügerischen Sicherheit bestärkt haben, der Lage Herr geworden zu sein. Wie bestürzend die Nachricht für sie gewesen sein muß, daß Zelaya 86 Tage nach seinem Sturz heimlich in sein Land zurückgekehrt ist und sich in der Hauptstadt aufhält, läßt sich daran ablesen, daß sein Gegenspieler Roberto Micheletti die Rückkehr bis zuletzt nicht wahrhaben wollte. Der "Interimspräsident" behauptete steif und fest, Zelaya halte sich weiterhin in einer Hotelsuite der nicaraguanischen Hauptstadt auf. Er und seine Regierung hätten dessen Rückkehr verhindert, und sollte er es wagen, den Boden des Landes zu betreten, werde man ihn vor Gericht stellen. [1] Von der jüngsten Entwicklung sichtlich verunsichert, verhaspelte sich Micheletti bei seiner ersten Stellungnahme. Er wetterte gegen "Propaganda" und "Medienterrorismus", die nur dem einen Zweck dienten, mit Falschmeldungen Menschenmengen zusammenzutreiben.

Hatte es zunächst geheißen, Zelaya habe in der UN-Vertretung in Tegucigalpa Zuflucht gesucht, so wurde diese Meldung von den Vereinten Nationen umgehend dementiert. Wenig später erfuhr man dann vom Aufenthalt des Präsidenten in der brasilianischen Botschaft, was von dieser ebenso bestätigt wurde wie vom US-Außenministerium. Sofort versammelten sich Tausende Anhänger Zelayas vor der Botschaft, um ihn zu schützen und seine Wiedereinsetzung ins Präsidentenamt zu fordern. Bauernführer Rafael Alegría, den die Putschisten wie viele andere Anhänger des legitimen Staatschefs verfolgt hatten, rief zu Demonstrationen auf.

Vorangegangene Versuche Zelayas, Honduras zunächst mit dem Flugzeug und dann zu Fuß zu erreichen, waren von den Putschisten blockiert worden. Nun hatte er einen geheimen Weg gewählt und war aus Nicaragua kommend mit nur wenigen Begleitern über El Salvador nach Honduras gelangt. Wegen der zahlreichen Kontrollpunkte von Militärs und Polizei sei die Reise sehr gefährlich gewesen, berichtete Zelaya. Er habe jederzeit damit rechnen müssen, entdeckt zu werden. [2]

Manuel Zelaya sei "zwei Tage lang über Land, Berge und Flüsse" gereist und habe mit nur vier Begleitern "sein Leben riskiert" und "tausend Hindernisse überwunden", erklärte der venezolanische Präsident Hugo Chávez in Caracas. "Wir verlangen, daß die Putschisten Leben und Würde Zelayas wie auch die seiner Familie respektieren und ihm die Macht zurückgeben." Zelayas Frau, Xiomara Castro, erklärte, ihrem Mann gehe es gut und er sei zur Aufnahme von Friedensgesprächen bereit.

Der brasilianische Außenminister Celso Amorim dementierte jede Mithilfe bei den Rückkehrplänen Zelayas, der gemeinsam mit seiner Frau dank eigener friedlicher Vorgehensweise in der Botschaft eingetroffen sei. Amorim ließ offen, wie lange sich der honduranische Präsident darin aufhalten dürfe, doch rief er die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) dazu auf, sich erneut für eine Verhandlungslösung stark zu machen. Wozu sei die OAS gut, wenn sie angesichts eines derartigen Staatsstreichs gegen eine demokratisch gewählte Regierung keine Garantien geben könne, fragte der Außenminister Brasiliens.

Das US-Außenministerium hatte in seinen Stellungnahmen die Vertreibung Zelayas verurteilt und ihn als rechtmäßigen Präsidenten des mittelamerikanischen Landes bezeichnet. Auf diese Weise hoffte die Obama-Administration, ihr Gesicht zu wahren, obgleich sie nie offiziell von einem Putsch sprach. Dieser Schritt hätte automatisch die Aussetzung aller Hilfszahlungen nach sich gezogen, was die US-Regierung offensichtlich vermeiden wollte. Zwar verhängte sie einige Sanktionen, die jedoch gemessen an ihren Möglichkeiten, Druck auszuüben, so zögerlich und verhalten ausfielen, daß dies den Putschisten deutlich signalisierte, wie wenig ernsthafte Gefahr ihnen aus dieser Richtung drohte.

Nach der unverhofften Rückkehr Zelayas konnte Washington nicht anders, als dessen "Besuch" in Honduras zu bestätigen und die Konfliktparteien aufzufordern, alle Schritte zu unterlassen, die Gewalt hervorrufen könnten. In New York erklärte Außenministerin Hillary Clinton, es sei unbedingt erforderlich, daß der Dialog beginne und ein Kommunikationskanal zwischen Präsident Zelaya und dem De-Facto-Regime eingerichtet werde. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem costaricanischen Präsidenten Oscar Arias, der zwischen beiden Seiten vermittelt hatte, unterstrich dieser, es sei jetzt die beste Zeit für die Rückkehr Zelayas. Zugleich bot er sich erneut als Vermittler an.

Zelaya erklärte in verschiedenen Fernsehinterviews, er sei heimgekehrt, um einen friedlichen Dialog über die Wiederherstellung der Demokratie in Honduras aufzunehmen. "Ich bin hier in Tegucigalpa zur Wiederherstellung der Demokratie", sagte er dem Fernsehsender Canal 36. Im Kanal Telesur rief er zum "nationalen und internationalen Dialog" auf. Man müsse auf dem Wege des Respekts wieder "zur Souveränität des Volkes" gelangen. Seine Strategie sei friedlich, er habe die Rückkehr ohne Gewalt geschafft. Zelaya rief zur Ruhe auf und dankte der internationalen Gemeinschaft für ihre Unterstützung. "Ein Staatsstreich löst nie die Probleme eines Landes", sagte er, man brauche eine Debatte. In der spanischsprachigen Ausgabe von CNN unterstrich Zelaya, daß er unter dem Schutz des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva stehe.

Durch seine heimliche Rückkehr hat Zelaya die Taktik der Putschisten unterlaufen, ihm den Heimweg zu versperren und seine Festnahme anzudrohen. Umgeben von seinen Anhängern und geschützt in der brasilianischen Botschaft ist er vor unmittelbaren Übergriffen sicher. Der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), José Miguel Insulza, will heute nach Honduras reisen, um zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln. Die Lehrergewerkschaft kündigte einen unbefristeten Streik an, um die Forderung nach Wiedereinsetzung Zelayas zu unterstützen.

Die illegitime Interimsregierung forderte Brasilien auf, Zelaya den Behörden zu übergeben, damit man ihn vor Gericht stellen könne. "Wir warten schon auf ihn", drohte Micheletti auf einer Pressekonferenz. "Ein Gericht kann jederzeit das Verfahren gegen ihn eröffnen, und eine Gefängniszelle steht bereit." [3] Um zu verhindern, daß Anhänger des Präsidenten aus anderen Regionen in die Hauptstadt reisen, verhängten die Behörden kurzfristig eine landesweite Ausgangssperre, schlossen den internationalen Flughafen von Tegucigalpa und errichteten Straßensperren. Zudem wurde im Häuserblock um die brasilianische Botschaft der Strom abgeschaltet. [4]

Die Putschisten sind weltweit isoliert und werden mit Sanktionen belegt. Die für November geplanten Präsidentschaftswahlen wollen die meisten Staaten nicht anerkennen. Da Micheletti kein Visum von den USA mehr bekommt, ist er von der Teilnahme an der UN-Generalversammlung ausgeschlossen, die in dieser Woche in New York stattfindet. Zelaya hat Art und Zeitpunkt seiner Rückkehr so günstig gewählt, daß sich die Putschisten buchstäblich über Nacht in der Defensive sehen. Zweifellos wälzen sie zur Stunde alle erdenklichen Pläne, um diesen Rückschlag wettzumachen.

Daß die US-Regierung die von Zelaya eingeleitete Reformbewegung in Honduras und insbesondere die Annäherung an Venezuela und dessen Verbündete bremsen und aushebeln will, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Wie schon beim Putschversuch gegen Hugo Chávez und der Vertreibung Jean-Bertrand Aristides aus Haiti bediente sie sich auch in Honduras der Strategie einer Intervention, die den Umsturz als vorgeblich autonome Erhebung einer nationalen Oppositionsbewegung tarnt, deren Billigung und Unterstützung Washington verschleiert. Im Falle Venezuelas sagte die Bush-Administration den Putschisten binnen Stunden offiziell Rückendeckung zu, womit sie freilich allein auf weiter Flur stand. Sämtliche Regierungen Lateinamerikas verurteilten einhellig den Umsturz, und wenig später machten Tausende Venezolaner aus den Armenvierteln von Caracas dem Spuk ein Ende. In Haiti ließ Washington die Banditen ungehindert nach Port-au-Prince marschieren und schlug Aristides dringende Bitte um Hilfe aus, da man sich angeblich in die inneren Angelegenheiten des Landes nicht einmischen wollte. Im letzten Augenblick wurde der Präsident von den Amerikanern ins Zwangsexil ausgeflogen, wobei man ihm auch noch eine Rücktrittserklärung abpressen wollte. Tags darauf rückten die bereitstehenden US-Marines in Haiti ein, um ein Besatzungsregime zu installieren.

In Tegucigalpa war das Szenario noch ausgereifter, da alle Welt nur noch die Putschisten sah, die auch von der US-Regierung demonstrativ abgemahnt wurden. Hier ist der Innovationsschub Barack Obamas am Werk, der den Elefanten aus dem Porzellanladen zurückgepfiffen hat, damit man den Scherbenhaufen nur mit seinem Vorgänger Bush in Verbindung bringt. Von Samthandschuhen kann indessen keine Rede sein, da die neue Strategie vorsieht, sich in dieser Weltregion nicht selbst die Finger schmutzig zu machen, wenn man das Werk der Herrschaftssicherung mit geschmeidigeren Mitteln vorantreiben kann. Im übrigen zeigen die sieben neuen US-Militärstützpunkte in Kolumbien, daß brachiale Waffengewalt mehr denn die je die unabdingbare Voraussetzung für die erfolgreiche Um- und Durchsetzung politischer und diplomatischer Varianten bleibt.

Anmerkungen:

[1] Gestürzter Präsident kehrt nach Honduras zurück (21.09.09)
http://www.welt.de/politik/ausland/article4586537/Gestuerzter- Praesident-kehrt-nach-Honduras-zurueck.html

[2] Zelaya kehrt heimlich nach Honduras zurück (21.09.09)
http://www.dw-world.de/dw/article/0,,4712349,00.html

[3] Ousted Leader Returns to Honduras (22.09.09)

New York Times

[4] Zelayas Rückkehr bringt Honduras in Aufruhr. Interimsregierung fordert Auslieferung (22.09.09)
NZZ Online

22. September 2009