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LATEINAMERIKA/2310: Märchenstunde für die Welt des magischen Realismus (SB)


US-Botschafter verhöhnt die lateinamerikanischen OAS-Mitglieder


Als habe sie noch ein Gesicht zu verlieren, erweckt die US-Regierung derzeit den Eindruck, sie wolle das Abkommen von Tegucigalpa in Gestalt eines Kompromisses retten, mit dem beide Konfliktparteien leben können. Gedrängt von empörten Parteigenossen auf dem Capitol Hill und unter heftigem Beschuß zahlreicher Regierungen Lateinamerikas hat das Außenministerium Staatssekretär Craig Kelly nach Honduras entsandt, wo er Gespräche mit dem vor gut vier Monaten gestürzten Präsidenten Manuel Zelaya und Putschistenführer Roberto Micheletti führen soll. [1]

Damit geht die Farce in eine neue, noch absurdere Runde, da es bekanntlich eine Delegation unter Führung des US-Staatssekretärs Thomas Shannon war, die den jüngsten Vermittlungsvorschlag eingebracht und Zelaya damit über den Tisch gezogen hatte. Das Regime braucht seither nur die Buchstaben des Abkommens vom 30. Oktober zu erfüllen, um seine Ziele ohne Einbußen zu erreichen, während die Rückkehr des legitimen Staatschefs in sein Amt auf Grundlage der Übereinkunft weiter verzögert und blockiert werden kann. Geht es nach den Putschisten, behalten sie mindestens bis zu den Wahlen am 29. November das Heft in der Hand, um danach die wenigen Wochen bis zum Ende der regulären Amtszeit Zelayas mit dem Konstrukt der sogenannten Einheitsregierung zu überbrücken, in der sie kraft ihrer Mehrheit weiterhin die Kontrolle behalten.

Dieses Vorhaben setzt allerdings darauf, daß mit der Wahl des nächsten Präsidenten, der aller Voraussicht nach aus dem konservativen Lager stammen wird, das Kapitel Zelaya beendet und sein Reformansatz erfolgreich beschnitten ist. Wird der Urnengang jedoch in Honduras selbst weithin abgelehnt und international nicht anerkannt, drohen den Putschisten mehr oder minder unangenehme Folgen in Gestalt wachsenden Widerstands in der Bevölkerung und weiterer Sanktionen des Auslands.

Da außer dem Regime in Tegucigalpa bislang nur die US-Regierung behauptet hat, der Wahlgang sei bereits durch das geschlossene Abkommen legitimiert, gleich ob Zelaya bis dahin wiedereingesetzt wird oder nicht, steht die Scharade auf tönernen Füßen. Die Obama-Administration sieht sich gezwungen, ihren wetterwendischen Kurs mit einem erneuten Schwenk an die vorherrschende Stimmung anzupassen, ohne dabei ihre klammheimliche Kumpanei mit den Putschisten preiszugeben.

Inzwischen sind die Chancen Zelayas, nach einer Wiedereinsetzung ins Präsidentenamt noch etwas bewegen zu können, gegen Null gesunken. Für seine Widersacher stellt sich jedoch die Frage, ob es für sie günstiger ist, weiterhin Stärke zu demonstrieren und seine Rückkehr zu verhindern, um seine Anhänger einzuschüchtern und zu entmutigen, oder ihn lieber ohne Wirkungsmöglichkeiten wiedereinzusetzen, um der Bewegung des Widerstands den Wind aus den Segeln zu nehmen. Zelaya wird Anfang Februar 2010 Geschichte sein - jedoch nur, wenn der mit seiner Präsidentschaft assoziierte Reformprozeß damit zu Grabe getragen ist. Das bleibt der Unsicherheitsfaktor für die herrschenden Klassen des Landes, die um ihres uneingeschränkten Machterhalts willen weit über Zelaya hinausdenken.

Für die US-Regierung stellt sich die Interessenlage mit Blick auf Honduras genauso dar, doch muß sie zugleich mit Rücksicht auf ihr Ansehen in ganz Lateinamerika zweigleisig operieren: Da sie den Putsch wie alle anderen Regierungen in ihren offiziellen Verlautbarungen verurteilt und die Wiedereinsetzung Zelayas gefordert hat, spricht sie weiter mit gespaltener Zunge. Auf die Erklärung aus dem Außenministerium, man werde die Wahl auf jeden Fall anerkennen, folgt nun die vorgebliche Relativierung dieser Position durch die Mission Kellys, der in Honduras irgend etwas ausbraten soll, das eine Annäherung der Konfliktparteien suggeriert.

Während die Fraktion der Republikaner um Senator Jim DeMint, die den Putschisten in Honduras den Hof gemacht hatten, nach dem Abkommen von Tegucigalpa eine Kehrtwendung der US-Regierung feiert, reagiert das Lager der Demokraten säuerlich. Der Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses im Repräsentantenhaus, Howard L. Berman aus Kalifornien, beschwerte sich bitter beim Außenministerium über dessen Umgang mit der Krise in Honduras. Und John Kerry, der die entsprechende Funktion im Senat innehat, ließ durch seinen Sprecher Frederick Jones mitteilen, die "abrupte Änderung" der Politik des Außenamts gegenüber Honduras "verursache das Scheitern eben jenen Abkommens, das unter dessen Vermittlung geschlossen wurde".

Angemessen harsch reagierten die Repräsentanten diverser Regierungen in der Organisation Amerikanischer Staaten. Wie OAS-Generalsekretär José Miguel Insulza bekräftigte, werde er keine Wahlbeobachter nach Honduras entsenden. Sollte Präsident Zelaya nicht wiedereingesetzt werden, könne man den Wahlsieger nicht anerkennen, lautete der Tenor in der 34 Mitglieder umfassenden Staatengemeinschaft. Brasiliens Botschafter bei der OAS, Ruy de Lima Casaes e Silva, beschrieb die Situation in Honduras als "Seifenoper mit fadenscheinigem Drehbuch", deren finstere Charaktere von dem De-facto-Regime verkörpert würden, über das die Geschichte ihr Urteil sprechen werde. Hugo Saguier Caballero schloß sich im Namen Paraguays mit den Worten an, sein Land werde das Wahlergebnis nicht anerkennen, ja es werde nicht einmal die Durchführung der Wahl akzeptieren: "Diese Wahlen werden für uns schlichtweg nicht existieren."

Nun durfte man gespannt sein, wie sich der Vertreter der US-Regierung, W. Lewis Amselem, aus der leidigen Affäre ziehen würde. Dieser räumte zunächst ein, daß das in Tegucigalpa unterzeichnete Abkommen die Wiedereinsetzung Zelayas nicht garantiere, sondern die Entscheidung in die Hände des honduranischen Kongresses lege. Dann zog er vom Leder und behauptete, die Position der lateinamerikanischen Länder zum Putsch in Honduras lasse sich nicht in praktische Politik umsetzen. In diesem Zusammenhang wies er darauf hin, daß die meisten Staaten der Region nach der Diktatur mit Hilfe von Wahlen zur demokratischen Ordnung zurückgekehrt seien. Damit sprach sich der US-Botschafter eindeutig dafür aus, das Regime in Honduras die Wahlen durchführen zu lassen, da man die Demokratie angeblich gar nicht anders wiederherstellen könne.

Damit nicht genug, verband er den Vorwurf, die anderen Mitglieder der OAS handelten nicht pragmatisch, mit einer pauschalen Bezichtigung Lateinamerikas: "Ich habe in diesem Raum viele Stimmen gehört, die die Wahlen in Honduras nicht anerkennen wollen. Ich will ja kein Schlauberger sein, doch was bedeutet denn das? Was bedeutet es in der realen Welt, nicht in der Welt des magischen Realismus?" Mit diesen Worten wollte US-Botschafter Lewis Amselem offenbar zum Ausdruck bringen, daß die Vereinigten Staaten die Erkenntnis und angemessene Handlungsweise in der realen Welt gepachtet haben, während die Lateinamerikaner allzu sehr der Mythologie, Magie und Phantasie verhaftet bleiben, um praktische Entscheidungen treffen zu können.

Hatte Barack Obama das gemeint, als er von einem neuen Ansatz der US-Politik in dieser Weltregion sprach? Unmündige Kinder kann man vor den Kopf stoßen, wie George W. Bush es tat. Man kann sie statt dessen aber auch zur Abwechslung mit allerlei Märchen bei Laune halten, damit sie nicht so schnell merken, welch bittere Pillen man ihnen nach wie vor verabreicht.

Anmerkungen:

[1] U.S. Tries to Salvage Honduras Accord (11.11.09)
New York Times

12. November 2009