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LATEINAMERIKA/2337: Machtkampf um Kurs der argentinischen Regierung (SB)


Präsidentin Kirchner will Gelder der Zentralbank verwenden


Der permanente Machtkampf um den Kurs der argentinischen Regierung unter Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner berührt nicht die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung des Landes, wohl aber die Frage regulatorischer Eingriffe des Staates hinsichtlich einer tendentiellen Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums mittels Subventionen und Sozialleistungen. Ohne das grundsätzliche Raubverhältnis in Frage zu stellen und sich damit ein Ende der Produktion gesteigerten Elends auf die Fahne zu schreiben, hofft die aktuelle politische Führung, die Notlage beträchtlicher Bevölkerungsteile mildern zu können.

Wenn Kritiker der Staatschefin vorwerfen, sie handle populistisch, um ihr politisches Überleben und die gemeinsame Perspektive mit ihrem Ehemann und Vorgänger Néstor Kirchner im Sinne einer präsidialen Dynastie zu sichern, blendet die Fixierung auf diesen Aspekt die wesentlichen Bewertungsmaßstäbe systematisch aus. Für viele Argentinier ist die relativ hohe Subventionierung von Lebensmitteln und Treibstoff ein zentraler Bestandteil der Gewährleistung eines halbwegs erträglichen Lebensstandards, was natürlich um so mehr gilt, je ärmere Schichten man dabei ins Auge faßt. Wer behauptet, dies sei eine verfehlte weil dirigistische Politik, müßte den Beweis erbringen, daß eine noch ungezügeltere kapitalistische Verwertung zu höherem Wohlstand in Händen aller führt, was jeder Analyse und Erfahrung nicht nur in Argentinien Hohn spricht.

Gestritten wird dort um die Verteilung grundsätzlich zu knapper Mittel, wobei die besondere Situation des Landes eine maßgebliche Rolle spielt. Die argentinische Regierung hatte sich 2001 auf dem Höhepunkt einer schweren Wirtschaftskrise für zahlungsunfähig erklärt, nachdem das südamerikanische Land Papiere im Volumen von 95 Milliarden Dollar nicht mehr bedienen konnte. Etwa 25 Prozent der Anleihegläubiger lehnten ein Umtauschangebot der Regierung im Jahr 2005 ab, das ihnen 30 Cent je Dollar Nominalwert bot. Für die erforderliche Umschuldung ist nach wie vor ein hoher Schuldendienst zu leisten, für den der Staat dringend Geld benötigt.

Präsidentin Kirchner sinnt auf Möglichkeiten, diese Last zügig abzubauen. In diesem Jahr sind Verhandlungen mit den im Club von Paris organisierten staatlichen sowie mit privaten Gläubigern in der Hoffnung geplant, die Voraussetzungen für eine Rückkehr an die internationalen Finanzmärkte zu schaffen und damit Zugang zu zinsgünstigeren Krediten zu erhalten. Noch in diesem Monat soll den Gläubigern notleidender argentinischer Staatsanleihen im Volumen von 20 Milliarden Dollar ein Umtauschangebot vorlegt werden. [1]

Um akute Liquiditätsengpässe zu beheben, wollte die Staatschefin mit Blick auf den anstehenden Schuldendienst 2010 insgesamt 6,6 Milliarden Dollar aus der Zentralbank entnehmen, die zur Tilgung von rund 13 Milliarden Dollar Schulden herangezogen werden sollten. Kirchner verteidigte diese Vorgehensweise in einer Fernsehansprache mit dem Argument, auf diese Weise müsse Argentinien keine "fetten Profite" an Spekulanten abführen. Da die Reserven der Zentralbank nicht mehr als 0,5 oder 1 Prozent einbrächten, sei es wesentlich günstiger, sie einzusetzen, als Geld zu Zinssätzen von 14 oder 15 Prozent zu leihen. Jeder Mensch mit Grundschulbildung verstehe diese Rechnung sofort. [2]

Zentralbankchef Martín Redrado weigerte sich jedoch, die gewünschten 6,57 Milliarden Dollar aus den ausländischen Devisenreserven ohne eine umfassende Prüfung auszuzahlen. Daraufhin verlangte die Präsidentin seinen Rücktritt, was der brüskierte Redrado mit der Begründung ablehnte, die Zentralbank sei unabhängig von der Regierung. Kirchner beantwortete dies mit dem Vorwurf, der Banker habe sich schlecht benommen und seine Amtspflichten verletzt, und setzte ihn per Dekret ab. [3] Am folgenden Tag erklärte ein Gericht die Absetzung mit einer vorläufigen Verfügung für nichtig. Wie Richterin María José Sarmiento zur Begründung anführte, sei die Entlassung so lange ohne Wirkung, bis sich das Parlament mit den Vorwürfen der Regierung gegen Redrado auseinandergesetzt habe. Zuletzt kündigte die Regierung Rechtsmittel gegen die einstweilige Anordnung an.

Verfassungsrechtlich gilt die Vorgehensweise der Präsidentin als umstritten. Den Statuten der Zentralbank zufolge muß die Regierung die Zustimmung des Kongresses einholen, wenn sie den Bankchef absetzen will. Die Opposition warf der Regierung vor, sie wolle eine unsolide Haushaltspolitik durch die Hintertür mit einem Zugriff auf die Zentralbankreserven finanzieren. Statt dessen solle sie besser die Staatsausgaben senken und die Schulden aus den Einnahmen begleichen. Wenngleich der Kongreß bis März in die parlamentarische Sommerpause gegangen ist, wurde auf Antrag von Oppositionspolitikern eine Sondersitzung der Abgeordnetenkammer für den 20. Januar anberaumt.

Der vorerst wiedereingesetzte Zentralbankchef verlieh seiner Überzeugung Ausdruck, daß er seinem Auftrag nachgekommen sei, "die Ersparnisse aller Argentinier zu schützen". Zugleich wies er auf den Umstand hin, daß die Zentralbank im Laufe ihrer 75jährigen Geschichte nicht weniger als 55 Präsidenten gehabt habe, was zur Instabilität des argentinischen Systems beitrage. Daß es sich bei den 48 Milliarden Dollar, über welche die argentinische Zentralbank derzeit an Reserven verfügt, um die Ersparnisse aller Bürger handle, ist natürlich ein Gerücht, das Redrado zur Stärkung seiner Position in die Welt gesetzt hat. Der frühere Notenbankpräsident Alfonso Prat-Gay kritisierte ebenfalls die Pläne Kirchners, die Reserven zu benutzen. Dies sei illegal, weil der Kongreß damit die Autorität über die Zentralbank an sich reißen würde. Er lobe zwar nicht die Geschäftsführung Redrados, doch habe dieser das Richtige getan, indem er nicht zurückgetreten sei, erklärte Prat-Gay. [5]

Ob es Präsidentin Kirchner gelingt, per Gerichtsbeschluß doch noch Zugriff auf die gewünschten Gelder aus der Zentralbank zu bekommen, müssen die nächsten Tage und Wochen zeigen. Absehbar ist jedenfalls ein heftiger und möglicherweise lang anhaltender Streit zwischen Regierung, Parlament und Zentralbank um Fragen von Autonomie und Verfügungsrechten. Offensichtlich ist die Staatschefin nicht bereit, auf ihren von der Opposition heftig kritisierten Regierungsstil per Dekret zu verzichten, was um so mehr gilt, seitdem ihr Flügel der Peronistischen Partei bei den Kongreßwahlen im Juni 2009 die Mehrheit verloren hat.

Da die Regierung die hohen Sozialausgaben mit den vorhandenen Haushaltsmitteln kaum finanzieren kann, sucht die Präsidentin fortgesetzt nach Möglichkeiten, der Staatskasse zusätzliche Einkünfte zuzuführen. So kam es in der Vergangenheit zu einem tiefgreifenden Konflikt mit den Landwirtsschaftsverbänden und Agrounternehmern, als Kirchner die Exportsteuern für Soja erhöhen wollte, um die sprudelnden Erlöse aus dem Verkauf des wichtigsten Ausfuhrprodukts in Teilen abzuschöpfen. Im Zuge der Auseinandersetzungen blockierten Bauern die Straßen, bis es in Buenos Aires zu Versorgungsengpässen kam und die Stimmung in der Bevölkerung endgültig umschlug. Die Präsidentin verlor diesen Machtkampf und zog ihr Dekret zurück. Anschließend verstaatlichte sie jedoch gegen großen Widerstand der Opposition die Rentenversicherung und sicherte mit den rund 30 Milliarden Dollar die Liquidität der Haushaltsführung.

Wohl ist die Einschätzung nicht von der Hand zu weisen, man habe es dabei in wesentlichen Zügen mit einer paternalistischen Regierungsweise zu tun, in der peronistische Traditionen ihre Fortsetzung finden. Dennoch sollte man sich die Vorwurfslage nicht zu eigen machen, die Staatsführung der Kirchners ziele grundsätzlich auf die Schwächung demokratischer Prinzipien und Institutionen ab, weshalb sie zu verwerfen sei. Die einflußreichsten Fraktionen ihrer Gegner lehnen jede geringfügige Umverteilung zugunsten der ärmeren Bevölkerungsschichten vehement ab und fordern die Rückkehr zu einer Politik, die sich uneingeschränkt dem Dienst an den herrschenden Klassen verschrieben hat.

Anmerkungen:

[1] Argentiniens Zentralbankchef bleibt im Amt. Gericht entscheidet gegen das Vorhaben der Regierung (09.01.10)
NZZ Online

[2] Argentine President and Central Bank in Standoff (11.01.10)
New York Times

[3] Argentiniens Präsidentin feuert den Chef der Zentralbank. Umstrittene Verfassungsmässigkeit (08.01.10)


[4] Staatskrise in Argentinien. Leere Kassen führen zum Dauerkonflikt: Präsidentin Cristina Kirchner hat nun ein Auge auf die Zentralbankreserven geworfen. (11.01.10)
http://www.tagesspiegel.de/politik/international/Argentinien;art123,2998603

[5] Argentiniens Seifenoper beschert Anlegern neue Einstiegschancen (08.01.10)
http://www.welt.de/die-welt/finanzen/article5773345/Argentiniens- Seifenoper-beschert-Anlegern-neue-Einstiegschancen.html

12. Januar 2010