Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

LATEINAMERIKA/2341: Chile vor der Stichwahl zwischen Skylla und Charybdis (SB)


Rechtsruck wäre das schlimmere zweier Übel


In Chile entscheidet sich morgen in einer Stichwahl, wer am 11. März die Nachfolge von Präsidentin Michelle Bachelet antreten wird, deren erneute Kandidatur verfassungsgemäß nicht möglich war. Im ersten Wahlgang am 13. Dezember 2009 hatte sich Sebastián Piñera als Kandidat des rechten Parteienbündnisses "Koalition für den Wechsel" mit 44 Prozent der abgegebenen Stimmen durchgesetzt, ohne jedoch die absolute Mehrheit zu erreichen. Sein Gegner ist der christdemokratische Expräsident Eduardo Frei vom Mitte-Links-Bündnis Concertación, der weit abgeschlagen mit knapp 30 Prozent folgte. Letzten Umfragen zufolge ist der Vorsprung Piñeras jedoch nur noch hauchdünn, da für ihn 50,9 Prozent und für Frei 49,1 Prozent vorausgesagt wurden.

Zwanzig Jahre nach Ende der Diktatur droht dem Regierungsbündnis aus Christdemokraten, Sozialdemokraten sowie kleinen Fraktionen der Linken der Abschied aus dem Präsidentenpalast. Die stabilste Parteienkoalition in der parlamentarischen Geschichte des südamerikanischen Landes hatte das bürgerliche Lager zusammen- und die Rechte auf Abstand gehalten, die ihr oft gefährlich nahe gekommen war. Da in der Vergangenheit das rechte Lager stets zwei Kandidaten aufbot, konnte sich der geeinte Regierungsblock durchsetzen. Diesmal verhielt es sich umgekehrt, da Piñera von einer Spaltung der anderen Seite profitierte. Während Eduardo Frei für das Mitte-Links-Bündnis antrat, kandidierte der frühere sozialistische Abgeordnete Marco Enríquez-Ominami, der das Regierungslager im Sommer verlassen hatte, als unabhängiger Bewerber.

Ominami erhielt auf Anhieb über 20 Prozent der Stimmen und setzte damit ein deutliches Signal, wie weit die Unzufriedenheit mit der Concertación in deren angestammtem Klientel inzwischen verbreitet ist. Das Regierungsbündnis erfüllte immer weniger die Hoffnung auf Sozialreformen und einer Abkehr vom ausgeprägt neoliberalen Erbe der Diktatur, während es zunehmend von Streit und Korruption durchdrungen wurde. Der verknöchert wirkende Eduardo Frei hatte Chile schon einmal zwischen 1994 und 2000 regiert. Seine Kandidatur war in der Concertación umstritten, da man mit ihm die verkrusteten Strukturen des Bündnisses assoziiert und er insbesondere bei jüngeren Wählern schlecht ankommt.

Der 59 Jahre alte Sebastián Piñera, der vor vier Jahren Michelle Bachelet unterlegen war, gehört der rechten Bourgeoisie an, die das Regime von Diktator Augusto Pinochet (1973-1990) unterstützte, das ihr als Bollwerk gegen kommunistische Gefahr und gesellschaftsverändernde Revolten galt. Für Piñera und seine Wähler sind reaktionäre Wertvorstellungen und neoliberale Wirtschaftsideen kennzeichnend. [1] Er hatte sich erst zum Ende Diktatur von Augusto Pinochet abgesetzt und gegen das Plebiszit votiert, mit dem sich dieser 1989 an der Macht halten wollte. Der Milliardär besitzt ein weitverzweigtes Geschäftsimperium und gehört zu den erfolgreichsten Unternehmern des Landes. Piñera ist Senator der konservativ-wirtschaftsliberalen Renovación Nacional und hat einen geschickten Wahlkampf geführt, der sich der Verdrossenheit über die Politik der Concertación bediente und unter dem nichtssagenden Motto eines Politikwechsels stand.

Nun kommt es darauf an, wie sich die Wähler verhalten, die im ersten Wahlgang Ominami ihre Stimmen gegeben haben. Dieser wehrte sich lange gegen eine Empfehlung und rang sich auf Drängen der Concertación erst wenige Tage vor der Stichwahl dazu durch, seine Anhänger halbherzig aufzurufen, für Eduardo Frei zu stimmen. Unmittelbar darauf kritisierte er jedoch die Mitte-Links-Koalition als konservativ und verknöchert. [1]

Auch die amtierende Präsidentin Michelle Bachelet gab eine indirekte Wahlempfehlung für Frei ab, indem sie erklärte, es sei nicht gleichgültig, wer das Land regiert. Dies wurde von der Opposition als unzulässige Einmischung und Wahlbeeinflussung kritisiert. Sollte Piñera den morgigen Urnengang für sich entscheiden, kämen erstmals seit 1958 wieder die Rechten über Wahlen an die Macht, wobei sie jedoch nur über eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus, nicht aber im Senat verfügten. [2]

Das in konservativen Kreisen hochgehaltene chilenische Modell beruht auf einer ausgeprägten Spaltung der Gesellschaft in eine profitierende Minderheit von einflußreichen Familien, Großunternehmen, Banken sowie dem Großbürgertum auf der einen und einer abgehängten Mittelschicht sowie einem wachsenden Anteil in Armut lebender Menschen auf der anderen Seite. Diese Konzentration von Macht und Reichtum in Händen weniger hat dazu geführt, daß heute die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung mehr als 40 Prozent aller Ausgaben der Privathaushalte repräsentieren, während die ärmsten zehn Prozent mit nur zwei Prozent auskommen müssen. Mittel- und Unterschicht bleibt nur die Alternative zwischen Konsumverzicht oder Verschuldung, was in der Konsequenz auf dasselbe hinausläuft. Zudem hat der Wirtschaftsliberalismus die Situation zementiert, daß dank zahlreicher Freihandelsverträge Waren aus aller Welt eingeführt werden, während sich die Exporte Chiles weitgehend auf Rohstoffe und landwirtschaftliche Produkte beschränken.

Da die Concertación weder mit der Verfassung, noch dem Wirtschaftsmodell Pinochets gebrochen und somit die von der Diktatur geprägten Rahmenbedingungen beibehalten hat, wird der Sieger der Stichwahl um das Präsidentenamt an dieser Situation nichts grundsätzliches ändern, auch wenn er wider Erwarten Eduardo Frei heißen sollte. Dennoch ist nicht nur Chile, sondern ganz Lateinamerika zu wünschen, daß Sebastián Piñera keine Gelegenheit bekommt, einen reaktionären Kurs anzulegen und die Lebensverhältnisse der Mehrheit noch massiver zu verschlechtern wie auch den regionalen Zusammenschluß und die Abkehr von der hegemonialen Vorherrschaft der USA zu sabotieren.

Anmerkungen:

[1] Präsidentenwahl. Chile zwischen Liberalismus und Wohlfahrtsstaat (16.01.10)
http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-01/chile-wahl-ideologie?

[2] Pinochets Erbe Piñera schwächelt im Endspurt (16.01.10)
Neues Deutschland

[3] Chile: Stichwahl-Entscheidung über den zukünftigen Präsidenten (16.01.10)
http://www.quetzal-leipzig.de/nachrichten/chile_/chile-stichwahl- entscheidung-uber-den-zukunftigen-prasidenten-19093.html

18. Januar 2010