Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

LATEINAMERIKA/2385: Laura Chinchilla tritt Amt als Präsidentin Costa Ricas an (SB)


Konservative setzt wirtschaftsliberalen Kurs von Óscar Arias fort


In Costa Rica hat mit Laura Chinchilla erstmals in der Geschichte des mittelamerikanischen Landes eine Frau als Staats- und Regierungschefin ihr Amt angetreten. Die konservative Politikerin der regierenden Nationalen Befreiungspartei (PLN) wurde in San José als Nachfolgerin des Parteifreundes und Friedensnobelpreisträgers Óscar Arias vereidigt, der das Land von 1986 bis 1990 sowie ein zweites Mal von 2006 bis 2010 regiert hatte und nicht mehr kandidieren durfte. Wie die 51jährige Politologin in ihrer Antrittsrede versprach, werde sie mit "Bescheidenheit, Ehrlichkeit und Entschlossenheit" regieren. Die mit einem spanischen Unternehmer verheiratete Chinchilla kündigte an, eine Regierung des offenen Dialogs zu bilden. Sie werde für Transparenz in der Politik sorgen und sich auch für den Umweltschutz einsetzen.

Wesentlicher als diese beschönigenden Worte ist jedoch die Gewißheit, daß sie das Land auf einen stramm wirtschaftsliberalen Kurs zu steuern gedenkt. Als eine der größten Herausforderungen ihrer vierjährigen Amtszeit bezeichnete sie im Vorfeld der Vereidigung den Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Chinchilla, die unter Arias Vizepräsidentin und Justizministerin gewesen war, hatte sich bei der Präsidentschaftswahl im Februar bereits in der ersten Runde mit 47 Prozent der Stimmen gegen acht Mitbewerber durchgesetzt und daraufhin angekündigt, sie wolle dessen Politik fortsetzen. [1]

Vor Tausenden Landsleuten und Amtsträgern aus 56 Ländern schwor Chinchilla den Eid auf die Verfassung ihres Landes, worauf sie die Präsidentenschärpe erhielt. An der Zeremonie zur Amtseinführung nahmen unter anderem die Staatschefs Felipe Calderón aus Mexiko, Álvaro Uribe aus Kolumbien und Rafael Correa aus Ecuador teil. Chinchilla umarmte ihren Vorgänger Arias, der für seinen maßgeblichen Beitrag zur Beendigung von Bürgerkriegen in mehreren lateinamerikanischen Ländern 1987 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden war.

Wenngleich Laura Chinchilla in den Wochen nach der Wahl alle Vorsitzenden der Oppositionsfraktionen zu Gesprächen empfangen hatte, traten die engen Grenzen ihrer Dialogbereitschaft bei der Vorstellung ihres Kabinetts zutage. Ministerin für Außenhandel wurde die neoliberale Hardlinerin Anabel González, die 2003 Verhandlungsführerin der Delegation Costa Ricas bei den Gesprächen zum Freihandelsabkommen CAFTA-DR zwischen den Vereinigten Staaten, Costa Rica, der Dominikanischen Republik, El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua war. Gegner des Abkommens warfen ihr damals vor, die nationale Souveränität ihres Landes den Interessen Washingtons geopfert zu haben. Nicht minder problematisch aus Perspektive von Gewerkschaften und sozialen Organisationen ist der neue Transportminister Francisco Jiménez. Ihn hatte Arias als Direktor der öffentlichen Verwaltungsgesellschaft der Karibikhäfen Limón und Moín eingesetzt, um deren Privatisierung voranzutreiben. Um den Widerstand leistenden Vorstand der Hafenarbeitergewerkschaft zu entmachten, bedienten sich Jiménez und Regierungsvertreter zuletzt illegaler Methoden. [2]

Angesichts ihres beruflichen und politischen Werdegangs wie auch ihrer Ankündigungen im Wahlkampf ist in der Amtszeit Laura Chinchillas eine massiv verschärfte Sicherheitspolitik zu erwarten. Sie hat früher als Beraterin für Innere Sicherheit im Auftrag internationaler Organisationen, darunter die Interamerikanische Entwicklungsbank und die Vereinten Nationen, gearbeitet und war in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre Sicherheitsministerin sowie unter Arias zunächst Justizministerin. Beherrschendes Thema des Wahlkampfs war die steigende Kriminalitätsrate, da in Costa Rica im vergangenen Jahr fast 1000 Menschen ermordet worden sind. Chinchilla versprach, die Ausgaben für Sicherheit um 50 Prozent aufzustocken, Polizisten besser auszubilden und zu bezahlen wie auch eine flächendeckende Videoüberwachung des öffentlichen Raums, Eingangskontrollen an Schulen sowie höhere und konsequentere Gefängnisstrafen für Kleinkriminelle anzustreben. Auch in ihrer entschiedenen Ablehnung von Abtreibungen oder gleichgeschlechtlichen Ehen erweist sich die Präsidentin als ausgesprochen konservativ.

Wie schon ihr Vorgänger verfügt auch Laura Chinchilla über keine eigene Mehrheit im Parlament, in dem ihre PLN 24 Abgeordnete stellt. Die PAC des Sozialdemokraten Ottón Solís, der beim Referendum über den CAFTA-Beitritt im Oktober 2007 die mit 49 Prozent nur knapp unterlegene Opposition angeführt hatte, ist bei den Wahlen im Februar von 17 auf zehn Parlamentarier geschrumpft. Hingegen hat sich die ML des stramm konservativen Otto Guevara von sechs auf neun Mandate und die von Korruptionsskandalen erschütterte ehemalige Regierungspartei Christsoziale Einheit (PUSC) von fünf auf sechs verbessert, während die restlichen Sitze auf kleine Fraktionen entfallen.

Im Umfeld Mittelamerikas, das lange Jahre von Armut, Repression und Bürgerkriegen geprägt war, hat Costa Rica in gewisser Hinsicht einen Sonderweg beschritten. Durch Abschaffung der Armee im Jahr 1948, Investitionen in Bildung und staatliche Fürsorge wie auch den Aufbau von Staatsmonopolen wurde eine extreme ökonomische und politische Polarisierung wie in den Nachbarländern vermieden. So blieben Energie, Telekommunikation, Versicherung, die einzige Erdölraffinerie und große Teile des Bankensystems sowie der Alters- und Krankenvorsorge in den Händen des Staates, der die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftete.

Costa Rica wurde zu einem der stabilsten Länder dieser Region mit vergleichsweise hoher Lebenserwartung sowie einem ansehnlichen Lohnniveau und Bildungsstand. Während in Lateinamerika als Ganzem jeder zweite Mensch in Armut lebt, gilt das nur für einen von fünf Costaricanern. Kinder und Jugendliche gehen im Schnitt zehn Jahre zur Schule, im Rest Lateinamerikas nur sechs. Das hohe Bildungsniveau und die politische Stabilität haben zahlreiche Investoren angelockt, darunter den Chiphersteller Intel, der für fünf Prozent des BIP und fast 40 Prozent der Exporte sorgt. Wichtigster Devisenbringer ist jedoch der Tourismus, der mit knapp acht Prozent zur Wirtschaftsleistung beiträgt und viele Arbeitsplätze schafft. Die einstige Bananenrepublik mit den weiteren wichtigen Exportprodukten Kaffee, Ananas und tropische Früchte hat unter Arias den Ökotourismussektor in den letzten Jahren erfolgreich ausgebaut, der zu einer wichtigen Devisenquelle geworden ist.

Staatliche Finanznöte und Freihandelsabkommen haben jedoch seit den 1990er Jahren zu einem schrittweisen Abbau des Staatsapparats und einer zunehmenden Privatisierung staatlicher Leistungen geführt. Diese Entwicklung verschärft die soziale Polarisierung der Gesellschaft und läutet das absehbare Ende des Wohlfahrtsstaats ein. Dies zeigte nicht zuletzt die weitgehende Abwesenheit der Linken im letzte Wahlkampf, in dem sich drei der vier aussichtsreichsten Kandidaten für Marktöffnung, Steuersenkungen und teilweise sogar die Privatisierung des Gesundheitswesens aussprachen.

Wenngleich man nicht wie in politisch instabileren Ländern von einem regelrechten Rechtsruck sprechen kann, erstarken in Costa Rica doch schleichend konservative Kreise, die sich dem Vormarsch emanzipatorischer regionaler Kräfte entgegenstemmen. Die einheimischen Eliten sind keinesfalls bereit, sich dem Streben nach Unabhängigkeit von der Regionalmacht USA und einer verstärkten nachbarschaftlichen Zusammenarbeit zugunsten einer eigenständigen Entwicklung anzuschließen. Der sozial abgefederte Kapitalismus unter ausgeprägter staatlicher Lenkung war auch im Falle Costa Ricas nur befristet tauglich, gesellschaftliche Widersprüche zu verschleiern und auszusteuern. Präsidentin Laura Chinchilla wird die schon unter ihrem Vorgänger Arias eingeleitete Demontage des Sozialstaats energisch vorantreiben und den dagegen erwachsenden Widerstand mit dem Ausbau der inneren Sicherheit im Dienst der besitzenden Klassen in Schach zu halten versuchen.

Anmerkungen:

[1] Costa Ricas erste Präsidentin (09.05.10)
http://bazonline.ch/ausland/amerika/Costa-Ricas-erste-Praesidentin/story/11552028

[2] Provokation statt Zusammenarbeit (23.03.10)

junge Welt

9. Mai 2010